Gottschalk macht den Wulff

Gottschalk macht den Wulff

Wird "Deutschlands größter Showmaster" für Quotenvorgaben werden, was Deutschlands ungeliebtester Präsident für den Journalistenrabatt geworden ist – ein Erlöser? Der Streit um Gottschalk und die Quote hält an.

Eine Frage, die wir uns jeden Tag aufs Neue stellen, wirft Elisabeth Binder im Tagesspiegel auf:

„Wozu die Quote?“

Sie meint allerdings etwas anderes, der Text denkt unausgesprochen über die auf pro-quote.de organisierte Initiative für eine Frauenquote in den Medienhäusern nach. Und kommt zu dem nicht so originellen Schluss:

„Besser wäre es, es ginge auch ohne Quote.“

Wird wohl keiner in Abrede stellen, aber da es ohne Quote nicht gut ist beziehungsweise zu langsam gut wird, kann man’s ja mal mit probieren. Dann würden Fragen, wie Binder sie diskutiert, mal auf anderer Ebene eine Rolle spielen - in der Praxis:

"Auch die Tatsache, dass Frauen oft besser zuhören können als Männer, wird meist nicht honoriert. Frauen halten es eher für unhöflich, einen Redner zu unterbrechen, was in hierarchischen Strukturen aber unbedingt dazugehört."

Wozu die Quote, mag sich in diesen Tagen auch Thomas Gottschalk fragen. Seine müsste über 10 Prozent liegen, liegt aber immer noch bei der Hälfte. Der schon gestern hier verlinkte Text von Kai-Hinrich Renner im Abendblatt, demzufolge die ARD-Hierarchen die Ausstiegsoption wegen schlechter Quoten zieht, bietet heute Anlass für Dementis.

Michael Hanfeld schreibt in der FAZ:

"Die Intendanten hätten, anders als in einem Zeitungsartikel angedeutet, 'ausdrücklich keine Entscheidung getroffen, die Sendung 'Gottschalk Live' zu beenden und von dem vertraglich vorgesehenen Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen’, teilt die beim WDR angesiedelte Pressestelle der ARD mit."

Die Gründe dafür werden nicht vorenthalten:

"Die Runde habe sich 'vielmehr dafür ausgesprochen, der Sendung Raum zur Weiterentwicklung zu geben'. Nach Ansicht der ARD-Vorsitzenden und WDR-Intendantin Monika Piel wäre es 'ja auch unsinnig, zeitgleich mit dem Relaunch der Sendung ,Gottschalk Live‘ deren vorzeitiges Ende zu beschließen'."

"Weiterentwickeln" ist naturgemäß schönstes PR-Deutsch - klingt immer gut, ist nicht zu konkret, heißt aber eigentlich, dass irgendwo der Hase im Pfeffer liegt und zwar gewaltig, nur kann PR das leider nicht zugeben, weil PR ja immer lächeln muss, konstruktiv sein, die gute Geschichte und so.

Was an "Gottschalk live" vor allem unsinnig ist, legt Joachim Huber im Tagesspiegel dar:

"Die Sendung wird nicht über Gebühren, sondern über Werbung finanziert, die sie – und hier wird’s ironisch – Insidern zufolge nicht verdient. Ein Zuschussgeschäft."

Das ist nicht der einzige Witz in der ganzen Angelegenheit. Huber weist auf ein weiteres Problem hin, das sich den Öffentlich-Rechtlichen so bislang nicht gestellt hat:

"Die ARD und ihre Mitarbeiter leiden zusehends unter den negativen Schlagzeilen. Das Kritiker-Gemotze halten sie schon aus, das sind sie mit 'Rote Rosen' oder 'Musikantenstadl' gewohnt, aber just diese Produktionen garantieren Zuschauerzufriedenheit und stabile Quoten. Der Misserfolg mit 'Gottschalk live' geht gegen die eigene Professionalität."

Darin steckt ein Punkt, auf den Dietrich Leder bei seiner Vier-Wochen-Kritik im Freitag [für den ich arbeite] abhob – dass "Deutschlands größter Showmaster" mit seiner Vorabendsendung behandelt wird wie ein waghalsiges Experiment, dass gegen das permanente Unterlaufen der Quotenvorgaben geschützt werden muss, weil es so lohnend, innovativ, mutig ist.

Oder vielmehr – und das könnte noch interessant werden – dass "Deutschlands größter Showmaster" mit seiner Vorabendsendung behandelt wird, wie man sich die Behandlung von Experimenten (oder auch nur qualitativ hochstehendem Fernsehen) in der ARD wünschen würde.

Dass Sendungen wegen nicht erfüllter Quotenvorgaben ihre Sendeplätze abgeben mussten, soll schon vorgekommen sein. Empfehlenswert für die Geschichte der Quotenvorgabe ist die Rede des gewesenen ARD-Journalisten Gert Monheim auf einem Symposion zum "Public Value" der Öffentlich-Rechtlichen vor zwei Wochen, die in der aktuellen Funkkorrespondenz abgedruckt ist.

Wie die Quote die Qualitätsbemessung übernahm:

"Die schlimmere Entwicklung passierte aber in den Köpfen vieler Redakteure, die – vor lauter Angst, einen Sendeplatz und damit an Bedeutung zu verlieren – zu immer mehr Zugeständnissen an Inhalte und Formen bereit waren. Diese 'Selbstkommerzialisierung' hat unser Programm, wenn man es mit dem ursprünglichen Programmauftrag und den Leistungen der vorangegangenen Jahrzehnte vergleicht, in weiten Teilen zum Spielball von quotenorientiertem Programm-Management gemacht. Ich habe Kollegen aus der obersten Führungsebene des WDR erlebt, die einen Film von mir wortreich und überschwänglich gelobt oder bodentief verrissen haben, die aber – wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellte – nur die Quote gesehen hatten."

Wenn die ARD-Hierarchen von dieser Praxis nun ausgerechnet bei "Gottschalk Live" eine Ausnahme machen sollten – wer weiß, ob daraus nicht ein Präzedenzfall erwachsen könnte, der sich letztlich gegen das bisherige Gebaren wendet, wer weiß, ob Gottschalk nicht für die Quote wird, was Christian Wulff für den Journalistenrabatt unfreiwillig schon ist.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Gottschalks Ironie (TSP)##Verklausuliertes Ende (FAZ)##Kleine Geschichte der Quotenvorgabe (FK)##Bertelsmanns Bankpolitik (Berliner)##]]

Was aus Thomas Gottschalk sonst noch wird, ist eine Frage mit offenem Ausgang. Joachim Huber sieht Thommys Los jedenfalls an diese Sendung gebunden:

"Die ARD ist, so gesehen, die Endstation für Thomas Gottschalk. Entweder findet er hier sein (neues) Millionenpublikum, oder er kann sich – mangels Senderalternative – gar nicht mehr auf die Suche danach begeben."

Auch wenn es, wie Huber schreibt, für die ARD andererseits wenig verlockend ist, als "Endlager" für Moderatoren zu gelten (weil dann keine mehr kämen), sieht der Text "eine asiatische Lösung" für "Gottschalk live" nahen:

"Das mögliche Ende mit Schrecken soll möglichst mit einem Neuanfang verbunden werden."

Die FAZ hört aus einem langen Zitat von Volker Herres Ähnliches raus:

"Die Frage ist, ob der Programmdirektor Herres gern ad hoc die Reißleine zöge. 'Gottschalk Live' zu starten, sagte Herres auf Anfrage, 'war eine einvernehmliche ARD-Entscheidung. Wir kannten die Risiken und haben auf die Chancen gesetzt, die wir in der Verpflichtung dieses ausgesprochen populären Moderators sehen. Natürlich sind seine Zuschauerzahlen am Vorabend enttäuschend. Deshalb wird ja am Format gearbeitet. Ich bin sicher, die ARD wird gemeinsam mit Thomas Gottschalk zum richtigen Zeitpunkt Bilanz ziehen, ob es lohnt, weiter zu kämpfen.' Das könnte man als leicht verklausulierte Einladung zum Ausstieg verstehen."

Die Diskussion hätte man gern einmal miterlebt, in der die Risiken (welche?) gekannt worden sind und auf Chancen (welche?) gesetzt wurde. Von außen betrachtet wirkt die Gottschalk-Verpflichtung in der ARD doch eher umgekehrt: dass sie als Chance begriffen wurde, ein quotenträchtiges Paradepferd (Wetten, dass..?) auf Nummer sicher auslaufen zu lassen, und dabei das Risiko übersehen wurde, dass dieses Paradepferd außerhalb seiner angestammten Manege (Wetten, dass..?) lahmt.


Altpapierkorb

+++ Als Mutter der Gottschalk-Verpflichtung gilt WDR-Intendantin Monika Piel, die nicht nur deshalb gerade unter Druck steht. Dieter Anschlag widmet ihr in der Funkkorrespondenz ein Portrait. Fraglich ist allerdings, ob die Angela-Merkel-Analogie ("unsichtbare Intendantin") tatsächlich weiterhilft beim Piel-Verständnis: "Wenn sie für ihre im kommenden Mai avisierte Wiederwahl als WDR-Intendantin nicht nur eine Notlösung sein soll – mangels Alternativen –, sondern für eine zweite sechsjährige Amtsperiode mit Energie und Weitblick antreten will, dann erwarten viele gerade im WDR deutlichere Ansagen für die Grundprinzipien und Stärken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, jenseits von der Nibelungentreue zu 'Gottschalk Live'. Eine grundsätzliche Veränderung der Distribution und Speicherung audiovisueller Programme steht an. Globale Mitbewerber wie Google, Apple und Facebook rütteln den Anbietermarkt für Fernsehen, Film und Radio in der Internet-Ära auf. Hier ist von der ARD-Vorsitzenden und Chefin des 1,3-Milliarden-Unternehmens WDR vor allem auch intellektuelle und strategische Führungsqualität gefragt, Leadership im angelsächsischen Sinne. Das Kalmieren und Beschwichtigen allein wird für eine zweite Amtszeit nicht reichen." Gerade bei Angela Merkel kann man ja seit 7 Jahren beobachten, wie solche Leitartikelrhetorik ("wird nicht reichen") ihr gerade nichts anhaben kann. +++

+++ Was ein Interviewer dem Interviewten anhaben sollen könnte, fragt sich Wolfgang Michal aus gegebenem Anlass (Ahmandinedschad, Maschmeyer, Wulff) auf Carta. Und kommt zu dem Schluss: "Gerechtigkeit für Journalisten, die es wagen, Leute zu interviewen, die keiner mag! Hier waren keine Anfänger am Werk, sondern ausgewiesene und gesprächs-erfahrene Journalisten. Zu kritisieren ist weniger ihre Gesprächsführung als das mangelnde Drumherum." +++ Anders als bei seinem Günther-Jauch-Interview-Versuch wurde David Denk diesmal erfolgreich vom Moderator zurückgerufen - Denk war Telefonjoker bei WWM  und berichtet von seinem erstaunlichen Fame in der TAZ"Ich war froh, dass ich meinen Namen nicht vergaß, als es nach gut zwei Stunden endlich klingelte. Einmal, zweimal, dreimal, wie von Endemol gewünscht. Dann erst ging ich dran." +++ Maschmeyers Bewertungen auf Amazon macht Meedia.de zum Thema. +++ Thomas Schuler legt an der Person des neuen Vorstandsvorsitzenden Thomas Rabe die Lage bei Bertelsmann dar in der Berliner. +++ 

+++ Die HBO-Serie "Game of Thrones" wird wie bei HBO-Serien üblich einhellig gelobt in TSP, TAZ und SZ (Seite 15). Gut gefunden wird auch die Ausstrahlungspolitik von RTL2, wie sie Harald Keller in der TAZ beschreibt: "In Deutschland war die erste Staffel bei TNT zu sehen und erlebt nun am Wochenende zwischen dem 23. und 25. März ihre Free-TV-Premiere bei RTL 2 mit jeweils mehreren Folgen pro Abend. Mit dieser Ballung reagiert der Sender auf Veränderungen im Rezeptionsverhalten namentlich des Serienpublikums, das sich insbesondere bei Fortsetzungsserien nur noch ungern auf einen wöchentlichen Sendeturnus einlässt." +++

Neues Altpapier gibt's Montag wieder.

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