TV-Tipp: "Sarah Kohr: Im Schatten"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
3. November, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Sarah Kohr: Im Schatten"
Die Handlung beginnt in der Tat mit einem entsprechenden Einsatz: In einem Supermarkt in der Hafen-City schießt ein militärisch gekleideter vermummter Mann scheinbar wahllos um sich. Die Hamburger LKA-Kommissarin Sarah Kohr stellt ihn.

"Amok" lautete der Arbeitstitel dieses elften Krimis aus der Reihe mit Lisa Maria Potthoff als in jeder Hinsicht schlagfertige Hamburger LKA-Kommissarin. Die Handlung beginnt in der Tat mit einem entsprechenden Einsatz: In einem Supermarkt in der Hafen-City schießt ein militärisch gekleideter vermummter Mann scheinbar wahllos um sich. Sarah Kohr stellt ihn, es kommt zum Zweikampf, doch er entkommt und verschanzt sich in seinem Büro, wo er sich das Leben nimmt. Diese sechs Minuten Hochspannung sind furios inszeniert, aber mit der Selbsttötung des Amokläufers scheint der Fall erledigt.

Mittmann war Soldat an einem nahen Bundeswehrstützpunkt. Dort ist ein Kommando Interventionskräfte (KIK) stationiert. Laut offizieller Sprachregelung ist der Mann beim "Potenzialfeststellungsverfahren" gescheitert und deshalb "durchgedreht". Kohrs Zweifel angesichts einiger unlogischer Verhaltensweisen wischt Kommissar Thomas Beikamp, früher ebenfalls beim KIK, vom Tisch: "Verrückte machen verrückte Dinge". Ende der Geschichte? Natürlich nicht. 

Was jetzt folgt, entwickelt eine Komplexität, die nicht immer auf Anhieb zu durchschauen ist, sich aber im Grunde auf einen einfachen Nenner bringen lässt: Mitglieder des KIK planen einen Umsturz. Die Frage ist nun, wem Kohr noch trauen kann, und das gilt nicht nur für die Bundeswehr: Auch der ehemalige Offizier und heutige Kripo-Kollege Beikamp (Torben Liebrecht) scheint Teil der Verschwörung zu sein, ebenso wie womöglich KIK-Kommandeur Fesek (Christian Berkel). Wirklich vertrauenswürdig ist allein ein junger Militärpolizist (Elmo Anton Stratz). Dass sich Kohr zu dem Feldjäger hingezogen fühlt, liegt vor allem an der gemeinsamen Abneigung gegen den Kommissar: Beikamp ist sein Vater. 

Timo Berndt hat seit dem eigentlichen Start der Reihe im Jahr 2018 sämtliche "Sarah Kohr"-Drehbücher geschrieben und seine Heldin dabei mit immer wieder neuen körperlichen Herausforderungen konfrontiert. Diesmal lässt er sie gleich vier mal gegen ihren Kontrahenten antreten. Jedes Mal schlägt sie sich buchstäblich besser, um schließlich doch noch zu unterliegen. "Im Schatten" würde zwar auch ohne diese Kampfszenen funktionieren, aber sie sind nun mal das Alleinstellungsmerkmal der Filme. Die Stärke des Drehbuchs liegt allerdings ganz woanders.

Schon die wahren Hintergründe des vermeintlichen Amoklaufs sind clever ausgedacht. Neben diversen Verletzten gab es unter der Kundschaft des Supermarkts nur einen Todesfall: Malik Otark hat als Fachinformatiker für ein großes Energieversorgungsunternehmen gearbeitet, er war offenbar ein gezieltes Opfer; aber warum musste er sterben? Wie Kohr nun nach und nach die Puzzleteile zusammensetzt, ist ausgezeichnet ausgedacht und von Christian Theede, der auch schon die ähnlich herausragende "Kohr"-Episode "Stiller Tod" (2021) inszeniert hat, durchgängig fesselnd umgesetzt. Wie dort sind gerade die Spannungsszenen das Ergebnis einer perfekten Kombination von Bildgestaltung, Musik und Montage.

Kameramann Tobias Schmidt und Komponist Boris Bojadzhiev waren auch damals schon dabei, den Schnitt erledigte diesmal Lucas Seeberger. Ein Zeitlupenmoment im John-Woo-Stil, als Kohr scheinbar schwerelos schießend durch die Luft schwebt, wirkt ein bisschen effekthascherisch, und die Kampfszenen mit ihrem Kontrahenten (Mathis Landwehr) muten mitunter wie eine Verbeugung vor der "John Wick"-Reihe mit Keanu Reeves an, sind aber wie stets überzeugend choreografiert. 

Als Vorbild für Sarah Kohr taugt allerdings eher Bruce Willis als John McClane in den "Stirb langsam"-Filmen, zumal auch Potthoff beim Kampf gegen den vermeintlichen Amokläufer im neudeutsch "Tanktop" genannten Unterhemd antritt. In Willis’ Filmografie findet sich mit "Last Man Standing" ein weiterer Titel, der wie schon bei "Stiller Tod" gut zur Kommissarin als "Last Woman Standing" passen würde: Staatsanwalt Mehringer (Herbert Knaup) hält ihre Umsturztheorie und erst recht den Verdacht gegen Beikamp für absurd.

Torben Liebrecht ist als wenig sympathischer kantiger Kommissar ohnehin eine treffliche Besetzung, zumal Berndt auf dieser Ebene erst für einen kleinen Knüller mit Gänsehauteffekt sorgt und kurz drauf noch einen weiteren Clou folgen lässt. Am Ende entpuppt sich der Rädelsführer der Umstürzler, die davon träumen, erst Chaos zu stiften und dann eine neue Ordnung zu installieren, als misogyner Wirrkopf. Für Kohr sind er und seine Mitverschwörer bloß eine "Gurkentruppe". Das klingt, als wolle das ZDF sein besorgtes Publikum nicht unnötig beunruhigen, dabei ist die Bedrohung durch schwerbewaffnete Staatsfeinde ja durchaus kein Hirngespinst.