Unis spielen antisemitische Vorfälle oft herunter

Kippa auf dem Kopf getragen
Norbert Neetz
Aus Angst wählen viele jüdische Studierende ihre Seminare an der Universität nicht mehr nach Themen sondern nach der Sicherheitslage aus.
Jüdische Student:innen
Unis spielen antisemitische Vorfälle oft herunter
Viele jüdische Studierende fühlen sich an Hochschulen nicht mehr sicher. Sie berichten von Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt. Die Unis bagatellisierten oft Vorfälle. Jetzt werden Konsequenzen gefordert.

Nach einer Umfrage der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) fühlen sich viele jüdische Studierende an den Hochschulen in Deutschland nicht mehr sicher. Berichtet werde von einem angespannten und feindseligen Klima auf dem Campus, von Mobbing und Ausgrenzung bis hin zu konkreten Bedrohungen, sagte JSUD-Präsident Ron Dekel am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung der Ergebnisse der Umfrage. Auch nicht-jüdische Studierende würden Ziel von Anfeindungen, wenn sie sich solidarisch zeigen.

Für die nicht-repräsentative Umfrage wurden im Frühjahr 78 Personen unter anderem online befragt. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) hat sich die Zahl der antisemitischen Vorfälle an Hochschulen im Jahr 2024 auf 450 verdreifacht. In 16 Fällen waren es körperliche Attacken.

Dekel sagte, antisemitische Äußerungen und Haltungen erlebten an den Unis eine "schleichende Normalisierung". Sie würden bagatellisiert, oder es herrsche Gleichgültigkeit. Israelbezogener Antisemitismus werde von den Hochschulleitungen vielfach stillschweigend geduldet. "Die Unis ducken sich weg", kritisierte der JSUD-Präsident.

Antidiskriminierungsstellen an den Unis, die auch für Antisemitismus zuständig sind, würden zudem als inaktiv oder inkompetent wahrgenommen. Immer wieder hingen deren Vertreter selbst der postkolonialen Theorie an, wonach Israel ein Kolonialstaat sei. Insgesamt hätten jüdische Studierende mit den "Postkolonialen" an ihren Unis den "meisten Stress", sagte Dekel.
Als Folge wählten viele jüdische Studierende ihre Seminare nicht mehr nach Themen sondern nach der Sicherheitslage aus. Andere pausierten oder überlegten, ins Ausland zu gehen.

Dekel sprach von einem "Armutszeugnis" für die deutschen Hochschulen und einem "strukturellen Problem". "Das Ergebnis des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 war nicht, dass jüdischen Studierenden Mitgefühl entgegengebracht wurde und sie Rückendeckung erhielten", kritisierte er.
Auch Lahav Shapira berichtete von einem feindseligen Klima an seiner Uni. Der Student der Freien Universität (FU) in Berlin wurde im Februar 2024 von einem Kommilitonen wegen des Nahost-Konfliktes schwer verletzt. Er erlitt eine Gesichtsfraktur und eine Hirnblutung. Der Täter erhielt drei Jahre Haft wegen antisemitischen Motiven.

Als "Rassist und Colonizer" beschimpft 

Die Stimmung sei "eindeutig pro Terror, pro Hamas". Beleidigungen und Diffamierungen gehörten zum Studienalltag, er sei als "Rassist und Colonizer" beschimpft worden, berichtete Shapira. Und es gehe weiter. Zu Beginn des jetzigen Herbstsemesters veranstalte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der FU für Erstsemester eine Infoveranstaltung über die Intifada, in der die Extistenz Israels geleugnet werde.

In einem umfassenden Forderungskatalog verlangt die JSUD eine klare Positionierung der Hochschulleitungen, die Einsetzung geschulter Antisemitismusbeauftragter, die systematische Erfassung von Vorfällen, den regelmäßigen Austausch mit Studierendenvertretungen, verpflichtende Antisemitismus-Module in Lehramtsstudiengängen sowie das Durchsetzen von Exmatrikulationen und Hausverboten. Wissenschafts- und Meinungsfreiheit höre da auf, "wo zu Hass und Hetze aufgerufen wird", sagte Dekel.