Kann aus einer Kirche eine Moschee werden?

Al-Nour-Moschee in Hamburg-Hornumgebaut aus Kirchengebäude
Philipp Reiss/epd-bild (M)
Die evangelische Kapernaum-Kirche in Hamburg-Horn wurde im Jahr 2022 zur Al-Nour-Moschee. Ethiker Alexander Maßmann beleuchtet die Hintergründe bei Kirchenumbauten in islamische Gotteshäuser.
Kolumne evangelisch kontrovers
Kann aus einer Kirche eine Moschee werden?
Kann ein Kirchengebäude zu einer Moschee werden, wenn eine Gemeinde es verkauft? Diese Frage birgt großes Aufregungspotential, doch ein näheres Hinsehen lohnt sich, meint unser Ethik-Kolumnist Alexander Maßmann.

Die großen Kirchen in Deutschland werden sich in den kommenden Jahrzehnten von zahlreichen Gebäuden trennen müssen. Neben Gemeindehäusern werden sie auch Tausende von Kirchen abgeben. Zuletzt hat sich der Austritt von Kirchenmitgliedern deutlich beschleunigt, und so werden die Kirchen nicht mehr in der Lage sein, ihre zahlreichen Gebäude zu unterhalten. Sollen evangelische Gemeinden die dauerhafte Nutzung von Kirchen als Moscheen ermöglichen, wenn sie ihr Gebäude nicht mehr halten können?

Gemeinden treten Kirchen ab

Schon in der Vergangenheit musste man Kirchen entwidmen. In Deutschland hat die katholische Kirche in den letzten Jahrzehnten etwa 500 Kirchen entweiht. Doch zu Moscheen hat man in Deutschland bislang fast keine Kirchen gemacht. Andererseits fragen muslimische Gemeinden immer wieder bei Kirchengemeinden an, ob sie die Kirche für einen Tag nutzen dürfen. In Zukunft aber wird es häufiger darum gehen, ob muslimische Gemeinden eine Kirche ganz übernehmen können. 

Ein bekanntes Beispiel ist die Al-Nour-Moschee in Hamburg: Sie war zuvor die evangelische Kapernaumkirche, wurde aber verkauft und stand acht Jahre lang leer, bis eine muslimische Gemeinde sie auf dem freien Markt erwarb. Die Gemeinde erneuerte das Gebäude liebevoll, teils in einer Renovierung, teils mit einem Umbau, und nutzt das Gebäude nun seit zehn Jahren als Moschee. An der Stelle des Kreuzes ist auf dem Turm nun ein arabischer Schriftzug zu sehen, der das Wort "Gott" ("Allah") wiedergibt. Zuvor musste die Gemeinde mit einer stillgelegten Autogarage vorlieb nehmen – wie so viele Gemeinden, denen nur das wenig attraktive Gewerbegebiet übrigbleibt oder die eine sogenannte "Hinterhofmoschee" betreiben. 

Geht so was?

Die Frage, ob Kirchen zu Moscheen werden können, ist sehr emotional und hat großes Aufregungspotential. Einen Muezzin-Ruf würde das wohl nicht beinhalten, zumindest keineswegs automatisch. Islamische Theologen meinen verschiedentlich, dass er nicht notwendig sei.

Umfrage

Sollen Gemeinden, die ihre Gebäude nicht mehr tragen können, ihre Kirche an eine Moschee-Gemeinde verkaufen?

Auswahlmöglichkeiten

Aus Sicht der evangelischen Theologie ist der Kirchenraum oder der Altar selbst (bzw. der Abendmahlstisch) nicht heilig. Gott ist in einer Kirche an sich nicht intensiver gegenwärtig als an anderen Orten. Dennoch haben Kirchen einen hohen symbolischen Wert. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schreibt, es könnte der pauschale Eindruck entstehen, "die Christen würden vor dem Islam zurückweichen." 

Muslimisches Leben in Deutschland

Dieser Eindruck bedeutet echte Verunsicherung. Sicherlich ist die Aufgabe von Kirchen schon für sich genommen schmerzlich, aber man könnte auch fragen, ob man sie tatsächlich Muslimen überlassen soll? Aber der Eindruck eines Zurückweichens vor "dem" Islam trügt. Vor allem neigt man in Deutschland dazu, die Zahl der Muslime zu überschätzen – etwa um das Dreifache! Das liegt auch an der Schnappatmung, mit der die Medien oft über "den" Islam berichten. Tatsächlich leben etwa 5,5 Millionen Muslime in Deutschland, machen also etwa 6,6 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. 

Aber wir liegen nicht nur falsch mit unserem Bauchgefühl, was die Zahlen angeht, sondern auch, was "den" Islam angeht – also mit dem Eindruck, es handle sich um eine einheitliche Gruppe, deren religiöse Praktiken und Überzeugungen wir kennen. So halten wir es für ein Erkennungsmerkmal der Muslime, dass Frauen ein Kopftuch tragen – aber etwa 70 Prozent der muslimischen Frauen in Deutschland tun das gerade nicht. 

Laut einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2020  gibt fast ein Fünftel der Muslime in Deutschland an, gar nicht oder eher nicht gläubig zu sein. Unter Menschen mit türkischem Migrationshintergrund – nach wie vor der größten muslimischen Gruppe in Deutschland – ist der Anteil derer gesunken, die sich als stark gläubig bezeichnen. Die Abnahme von 41 Prozent (2008) auf 27 (2020) fällt überraschend deutlich aus. Außerdem beten von allen Muslimen mit Migrationshintergrund in Deutschland 40 Prozent täglich. Zum Freitagsgebet besucht etwa ein Drittel regelmäßig die Moschee; etwa 60 Prozent tut das selten oder nie. In Deutschland lassen also nicht nur im Christentum die Bindekräfte der traditionellen Religion nach, sondern auch unter Muslimen, wenn auch dort nicht so deutlich wie im Christentum.

Deutscher Rechtsextremismus

Ohnehin irrt sich, wer die Muslime in Deutschland besonders unter dem Vorzeichen der Bedrohung wahrnimmt. Zwar stellt der islamistische Terror in Deutschland eine gewisse Gefahr dar, z.B. seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016. Doch die vielen normalen Moschee-Besucher sind hier vollkommen unverdächtig. Wahrscheinlicher ist es, dass sie Opfer rechtsextremistischer Terrorgruppen werden. 2020 erschoss ein Deutscher beim Attentat von Hanau 10 Menschen, von denen die Mehrheit Muslime waren. Die Terrorgruppe "NSU" ermordete bis 2006 acht türkischstämmige Bürger. 

Sehr viel weniger Aufmerksamkeit erfährt die Tatsache, dass deutsche Moscheen zunehmend zum Ziel von Angriffen werden. Sie reichen von der Verunstaltung mit übergriffigen Aufklebern und aggressiven Schmierereien bis hin zu Brandanschlägen. Der Vorsitzende der Al-Nour-Gemeinde hat gleich ein paar Rechtschreibfehler entdeckt, als sich auch dort aggressive Schmierereien fanden. Ein Forschungsprojekt zählte 140 Übergriffe im Jahr 2021, doch die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Polizei und Medien interessieren sich oft nicht für diese Vorfälle.

Der deutsche Islam-Diskurs

Dieses Desinteresse steht im Kontrast dazu, wie die deutschen Medien von einer Umfrage berichtet haben, laut der eine klare Mehrheit der Deutschen "den Islam" nicht für einen "Teil Deutschlands" halten. Das ist aber eine suggestive Frage, die in die Irre führt. Was mit dem abstrakten Begriff "der Islam" gemeint sein soll, ist viel zu schwammig. Vorsicht, Aufreger: vielleicht auch eine diffuse "Scharia", mit der sich die Mehrzahl der Muslime ohnehin wenig auskennt?

Bundespräsident Christian Wulff hatte ja 2010 gesagt, "der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland". Diese ungeschickte, vage Formulierung hatte er entweder aus politischer Unbedarftheit gewählt oder weil er hoffte, sich damit zu profilieren. Würde man stattdessen konkreter fragen, ob "die Muslime, die hier leben", zu Deutschland gehören, würde man deutlich mehr positive Antworten erhalten. So hat etwa Wulffs Nachfolger Joachim Gauck versucht, die Debatte zu versachlichen.

In einer Studie, die die EKD vor sechs Jahren durchführte, befürworteten immerhin 63 Prozent der Deutschen eine Fortsetzung oder Verstärkung des Dialogs zwischen den Kirchen und den Muslimen in Deutschland. Die große Mehrheit der Befragten gaben an, das Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist schon Grund genug, die gemeinsame Verständigung zu pflegen. 

Was soll mit den Kirchengebäuden geschehen?

Wenn eine Kirche, die die Gemeinde abgestoßen hat, ungenutzt verfällt oder abgerissen wird, ist das auf seine eigene Weise schmerzlich. Wesentlich besser ist es natürlich, wenn aus einer ehemaligen Gemeindekirche eine Gemäldegalerie wird, eine Bibliothek, ein Kulturzentrum oder vielleicht auch ein Wohnheim für Studierende. Auch als Suppenküche könnte man sich eine Kirche vorstellen. Allein: Schon die bestehenden kulturellen und karitativen Einrichtungen kämpfen mit Kürzungen.

In der Stadt Genua dagegen hat eine Geschäftsbank eine Filiale in einer aufgegebenen Kirche eingerichtet. (Vgl. Johannes 2,15–16!) In Italien wurden Kirchen außerdem zu Nachtclubs und Discotheken, zu Fitnessclubs und Kleiderboutiquen, ja sogar zu Parkhäusern. In den Niederlanden hat man verschiedentlich aus Kirchen Kaufhäuser gemacht. 

Im Vergleich mit solchen Konsumtempeln gefällt mir die Al-Nour-Moschee in Hamburg ganz gut. Eine Mitarbeiterin der damaligen Hamburger Kirchengemeinde meinte ebenfalls: "Ich persönlich bin ganz froh über diese Entwicklung". 

Unsicher bin ich mir nur bei dem "Allah"-Schriftzug, der auf dem hohen Kirchturm die umgebenden Gebäude überragt. Dennoch sollten Kirchen nicht meinen, es geht schon in Ordnung, das Gebäude stattdessen an irgendeinen Investor abzutreten, solange es nicht zur Moschee wird. Sollte es nicht auch Christen Eindruck machen, dass hier ein Gebäude für Menschen eine tiefere Bedeutung erlangt und nicht der schnöden Zwecklogik des Alltagsgeschäfts dient?

Chancen und Umstände eines Besitzerwechsels

Zu fragen wäre im Einzelfall, ob die muslimische Gemeinde z.B. der Organisation DITIB angehört und ob sie sich vom türkischen Präsidenten Erdogan für dessen politischen Ziele einspannen lässt. Doch das dürfte nicht pauschal für die türkischen religiösen Verbände gelten, und ohnehin ist bei weitem die große Mehrheit der Muslime in Deutschland mit keiner dieser Dachverbände assoziiert.

Wenn eine Gemeinde ihre Kirche abtreten muss, bietet das Gespräch mit einer interessierten Moschee-Gemeinde immerhin die Chance, dass sich eine Gesprächspartnerin findet, die ebenfalls karitativen Zielen und nicht dem Profit verpflichtet ist. Teilweise leisten Moschee-Gemeinden bereits einen wichtigen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen.

Fazit und Ausblick

In den kommenden Jahrzehnten werden evangelische Gemeinden verstärkt Gebäude verkaufen müssen. Dabei wird sich verschiedentlich die Frage stellen, ob das Gebäude an eine muslimische Gemeinde gehen soll. In dieser sensiblen Angelegenheit ist Fingerspitzengefühl gefragt, weil christliche Kirchengebäude einen hohen Symbolwert haben. Eine Umwidmung in eine Moschee wird keineswegs zur Regel werden. Doch im Einzelfall stellen sich verschiedene Argumente gegen einen solchen Verkauf oft als fragwürdig heraus. Die Alternative, ein Verkauf an nicht-religiöse Investoren, scheint nahezuliegen, doch das ist oft nicht einfach die bessere Lösung. 

Wenn eine muslimische Gemeinde Interesse am Gebäude zeigt, werden Kirchengemeinden gut daran tun, die Gesprächspartner besser kennenzulernen. Viele Moschee-Gemeinden verdienen größere Solidarität. Die Berichterstattung über Muslime schürt oft Ressentiments. Sinnvoll wäre es dagegen zu fragen: Wie ernst nimmt die Gemeinde ihr karitatives Engagement? Gehört sie zu der Minderheit, die sich vor Erdogans Karren spannen lässt, oder ist ihr Blick viel klarer darauf gerichtet, die Menschen in ihrem Alltag als reguläre Mitglieder der deutschen Gesellschaft zu begleiten? 

Wenn man die Frage diskutiert, ob aus einer Kirche eine Moschee werden kann, müsste der christlich-muslimische Dialog deutlich größeren Raum einnehmen, als es hier möglich war. In einer Handreichung zum christlich-islamischen Dialog gibt die EKD etwa zu bedenken, dass die christliche Position einerseits klar auf die Verkündigung von Jesus Christus ausgerichtet sein soll. Andererseits heißt es aber auch: "Die Bibel nennt viele Beispiele, wie sich im Nächsten, im Anderen und im Fremden Gott den Menschen zeigt." Praktisch könnte das z.B. bedeuten, dass die christliche und die muslimische Gemeinde eine Vertrag schließen, mit dem das Gebäude zwar verkauft wird, aber die muslimische Gemeinde zumindest für einige Jahre darauf verzichtet, demonstrativ einen arabischen "Allah"-Schriftzug auf dem Kirchturm anzubringen.