TV-Tipp: "Wolfsland: Böses Blut"

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2. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wolfsland: Böses Blut"
Thriller beginnen dieser Tage gern mit einem Ausrufezeichen: Held oder Heldin schweben in größter Gefahr, dann folgt eine Einblendung à la "Drei Wochen zuvor".

Meist erzielt der dramaturgische Kniff seine erhoffte Wirkung, selbst wenn völlig klar ist, dass die Hauptfigur ihren Kopf am Ende irgendwie aus der Schlinge ziehen kann. Ähnlich effektvoll, aber anspruchsvoller ist es jedoch, zum Auftakt ein Fragezeichen zu setzen, das fortan über den Bildern schwebt: In einer Siedlung hat ein Mann offenbar zwei Menschen ermordet. Das scheint ihn aber nicht weiter zu bekümmern; er löffelt seelenruhig seine Suppe und schlägt beiläufig eine lästige Fliege tot.

Die Frage, was dieser Prolog mit dem Rest der Handlung zu tun hat, rückt allerdings erst mal in den Hintergrund, selbst wenn die Musik (Andreas Weidinger) ihren dräuenden Tonfall beibehält: Burkhard „Butsch“ Schulz (Götz Schubert), der nicht immer einfache, aber sympathische männliche Teil des Görlitzer Ermittlerduos Schulz und Delbrück (Yvonne Catterfeld), hat ein echtes Problem, als ihn eine Frau der Vergewaltigung bezichtigt. Die Tat liegt schon sechs Jahre zurück, damals hat der Kommissar ihr gegen den gewalttätigen Gatten beigestanden. Den Sex räumt Schulz bereitwillig ein, er sei jedoch einvernehmlich gewesen; aber das sagen Männer in solchen Fällen immer. Als er die Frau zur Rede stellen will, findet er nur ihre Leiche; prompt wird er nun auch noch des Mordes verdächtigt. Kriminaldirektor Grimm (Stephan Grossmann) scheint die Gelegenheit nutzen zu wollen, an dem unbequemen Mitarbeiter ein Exempel zu statuieren. Er hat dem Duo zwar gerade erst die Ehrennadel der sächsischen Polizei überreicht, aber in Schulz’ Personalakte wimmelt es nur so von Dienstaufsichtsbeschwerden, weil sich der Hauptkommissar nicht immer an die Regeln hält. Deshalb scheint der Fall auch für die Staatsanwältin Anne Konzak (Christina Große), zuständig für Sexual- und Gewaltdelikte gegen Frauen, klar zu sein. Viola Delbrück ist die einzige, die dem Kollegen glaubt, obwohl sämtliche Indizien gegen ihn sprechen. Wenn es ihr nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen, muss Schulz ins Gefängnis.

Die Suche nach dem wahren Täter ist das dominierende Thema des Films, aber fast noch interessanter ist eine zweite Ebene. Geschickt greifen Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser, die bislang alle „Wolfsland“-Filme geschrieben haben, die losen Enden aus den letzten beiden Episoden („Kein Entkommen“ und „Das Kind vom Finstertor“, 2020) auf: Irgendjemand hat es auf den Hauptkommissar abgesehen; daran lässt auch der Prolog keinen Zweifel, als die Kamera einen kurzen Blick auf ein typisches Verschwörungsensemble mit Fotos von Butsch wirft. „Man kann nicht vorsichtig genug sein in der Wahl seiner Feinde“, zitiert Kriminaltechniker Böhme (Jan Dose) Oscar Wilde. Clever bieten die Autoren schon früh einen entsprechenden Verdächtigen an, aber Juro Schwarzbach (Uwe Preuss), Butschs nach Jahrzehnten im Westen zurückgekehrter bester Freund aus der Vorwendezeit, ist viel zu sympathisch für derartige Schurkereien.

 Regisseur Alexander Dierbach hat einige sehenswerte „Helen Dorn“-Episoden gedreht und auch dieses Drehbuch sehr dicht umgesetzt. Ein weiterer Reiz der Geschichte liegt in der Entwicklung, die viele Figuren durchlaufen. Grimm zum Beispiel ist zwar regelmäßig der einzige, der sich über seine schlechten Witze amüsiert, und immer der letzte, der die Zusammenhänge durchschaut, aber ansonsten harmlos. Anfangs preist er das Ermittlerduo als Glücksfall für die Görlitzer Polizei, dann verwandelt er sich in einen gnadenlosen Inquisitor; Stephan Grossmann spielt das wie immer famos. Yvonne Catterfeld verkörpert ihre Kommissarin diesmal zunächst betont fragil und schutzbedürftig, was prompt entsprechendes Mitgefühl weckt; außerdem leidet Delbrück nach wie vor unter dem vom Ex-Mann verursachten Stalker-Trauma, weshalb sie sich von ihrem Freund Daniel (Christoph Letkowski) trennt. Und dann ist da noch ein immer wiederkehrender Alptraum, der jedes Mal damit endet, dass sie einen Menschen erschießt. Angesichts der Hexenjagd auf den Kollegen geht jedoch ein regelrechter Ruck durch die Polizistin: Delbrück wird wieder zu der starken Frau, die sie eigentlich ist; bis ihr Alptraum am Ende Wirklichkeit wird. Dass schließlich Schulz seine große Klappe verliert, ist nicht weiter verwunderlich, doch selbst die nicht nur aufgrund von Rückenproblemen stets streif auftretende Staatsanwältin zeigt ein anderes Gesicht. Der Thriller endet, wie andere beginnen: mit einem Ausrufezeichen.