Die Kirche und ihr Umgang mit sexualisierter Gewalt

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Die Synode müsse den Mut haben, das Kirchenrecht so zu gestalten, dass es für Betroffene ein gutes Recht sei, sagt Jule Wolf*.
Moment der Selbstkritik
Die Kirche und ihr Umgang mit sexualisierter Gewalt
Auf der EKD-Synode sprechen die Delegierten über den Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Betroffene stellen der Kirche kein gutes Zeugnis aus. Und auch die Verantwortlichen in der Kirche gestehen ein, dass zu wenig passiert ist.

Jule Wolf* wurde als Kind vom evangelischen Pfarrer ihrer Gemeinde missbraucht. Der Täter war ihr eigener Vater. „Da er im Pfarrhaus arbeitete und alle meine Lebensbereiche außerhalb kontrollierte, hatte mein Vater es in den 70er Jahren leicht, mich eng an sich zu binden und über Jahre sexuell zu missbrauchen“, erzählt Wolf. Doch weil der Missbrauch im Pfarrhaus und damit im privaten Bereich stattfand, bleibt Wolf formell von Anerkennungs- und Entschädigungsverfahren der evangelischen Kirche ausgeschlossen. Sie zählt nicht als Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kirche, ein Ermittlungsverfahren wurde 2013 eingestellt. Sie erhielt dennoch 5.000 Euro von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau als Beteiligung an Therapiekosten.

Wolf setzt sich weiter dafür ein, dass sich die Kirche der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt stellt. Sie ist eine von sechs Betroffenen, die am Sonntag während des parallel laufenden Eröffnungsgottesdienstes der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Online-Pressekonferenz geben. Die Betroffenen sprechen zum Stand der Aufarbeitung in der evangelischen Kirche, und sie stellen der Kirche kein gutes Zeugnis aus.

Wolf hat klare Erwartungen an die Synode der EKD. Die Synode müsse den Mut haben, das Kirchenrecht so zu gestalten, dass es für Betroffene ein gutes Recht sei, sagt sie. „Das bedeutet nicht nur, den Opfern zu helfen - das ist immer leicht -, sondern dass sie sich auch an die Täter trauen, und das ist schwer. Das müsste die Synode sich zutrauen.“ Beispielsweise fordert sie eine Akteneinsicht für Betroffene in kirchlichen Verfahren und eine Unterstützung für Anwaltskosten.

Mit der bis Mittwoch digital tagenden EKD-Synode geht auch die Amtsperiode des EKD-Rats mit dem Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm an seiner Spitze zu Ende. Der bayerische Landesbischof äußerte sich in den vergangenen Tagen selbstkritisch über den Status quo bei der Aufarbeitung. In den vergangenen Jahren sei zu wenig passiert ist. Bislang geht die EKD von 942 Missbrauchsfällen in ihren Reihen aus.

Aussetzung des Beirats hat Vertrauen zerstört

Die im Mai erfolgte Aussetzung der Betroffenenbeteiligung in der EKD hat Vertrauen zerstört. Darüber wird am Montagnachmittag auf der digital tagenden Synode gesprochen, auch Mitglieder des ausgesetzten Beirats nehmen Stellung. Nancy Janz, Mitglied des ausgesetzten Betroffenenbeirats, fordert in einem gemeinsamen Statement eine Betroffenenbeteiligung auf Augenhöhe. „Augenhöhe bedeutet für uns, dass Betroffene in denen sie betreffenden Angelegenheiten für eine Kontrolle der Kirche sorgen, Einfluss auf die Entscheidungen haben und für ihre Expertise angemessen honoriert werden.“ Sie betont: „Wir engagieren uns für alle Betroffenen sexualisierter Gewalt, und wir machen das, weil wir möchten, dass Sie als Organisation, in der die Taten geschehen sind und noch geschehen, Verantwortung übernehmen.“

Viel Selbstkritisches ist auch von den Synodalen in der anschließenden Aussprache zu hören. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die zwei Jahre lang Sprecherin des Beauftragtenrats der EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt war und nun erneut für den Rat der EKD kandidiert, entschuldigt sich mit belegter Stimme bei den Betroffenen. Sie sagte, dies sei nun ein „Moment der Selbstkritik“. Es sei klar, dass das Maß an Aufarbeitung nicht gereicht habe. „Und es ist klar, dass wir Sie brauchen“, sagt Fehrs in Richtung der Betroffenen.

Das Präsidium der Synode will eine eigene synodale Kommission einrichten, die das Kirchenparlament über den Fortgang der Aufarbeitung informieren, die Synodentagungen zum Thema Missbrauch inhaltlich vorbereiten und zu der auch die ursprünglichen Mitglieder des Betroffenenbeirats eingeladen werden sollen. „Wir haben gehört, wir haben gefühlt, wir haben mitgefühlt, und wir haben verstanden: Wir sind dran als Synode“, sagte Elke König vom Synodenpräsidium, die einen entsprechenden Beschlussantrag einbrachte.

Jule Wolf indes will mit der evangelischen Kirche nichts mehr zu tun haben, wie sie selbst sagt. Sie werde sich den Umgang mit den Fällen sexualisierter Gewalt weiter von außen ansehen.

*Jule Wolf ist ein Pseudonym. Frau Wolf möchte ihre Identität schützen.