So gehen Sie mit "Querdenkern" um

Querdenkerbewegung in Berlin
© epd-bild/Rolf Zoellner
Immer mehr Menschen wenden sich an die Beratungsstelle der Erzdiözese Bamberg und fragen nach Tipps im Umgang mit Verschwörungstheoretikern im eigenen Bekannten- oder Familienkreis.
Kirchenexperte gibt Tipps
So gehen Sie mit "Querdenkern" um
Bisher hat er vor allem Menschen beraten, deren Angehörige ins Sektenumfeld gerieten. Aber immer mehr Anfragen erreichen Hans Horst von der Erzdiözese Bamberg, weil sich Leute sorgen, die an Corona-Leugner im eigenen Haus nicht mehr herankommen.

Hans Horst, der die Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen leitet, gibt in einem Leitfaden unter anderem die Tipps: nicht streiten und nicht überheblich sein. Aber er hält es auch für nötig, einer gesellschaftlichen Debatte über Verschwörungstheorien nicht auszuweichen.

epd: Warum beraten Sie als Experte für Sekten nun Menschen, deren Angehörige "Querdenker" sind oder Verschwörungstheorien anhängen?

Hans Horst: Das hat sich automatisch ergeben, weil immer mehr Leute auf uns zugekommen sind, die an ihre Angehörigen nicht mehr rangekommen sind, wie es sich meist auch mit den Angehörigen verhält, die in eine Sekte gehen. Das waren die unterschiedlichsten Fälle: der erfahrene Investmentbanker, der sich fragt, wer dahintersteckt, dass er in der Coronakrise in London und in New York gescheitert ist, die Mutter, die ihren Kindern und sich Chlorbleiche gegen eine Covid-Infektion verabreicht oder ein Künstler, der in der Pandemie in die Esoterikszene abgedriftet ist. Diese Menschen befinden sich in einer biografischen Krise, in der sie nach Orientierung suchen. Die Angehörigen wollen helfen und den Kontakt nicht verlieren.

Gibt es weitere Parallelen zur Sektenszene?

Horst: Nachdem ein erster Bericht über unsere Arbeit mit Angehörigen von Querdenkern erschienen ist, hat mich ein aufgebrachter Mann angerufen und mir vorgeworfen, dass sich nun auch die Kirche dem „Medien-Faschismus“ unterwerfe und gegen Querdenker hetze. Ich habe ihm erklärte, dass es hier oft auch um das Kindeswohl geht, wenn Sie das Beispiel von der Chlorbleiche sehen.

Angenommen, man hat nun einen Menschen in der Familie, um den man sich wegen dessen "Querdenkertum" sorgt. Wie geht man denn nun an ein solches Gespräch heran?

Horst: Man sollte sich im Klaren sein, mit den üblichen Gesprächsinstrumenten wird man nicht zurechtkommen. Das Grundproblem ist, Emotionen treffen hier auf Fakten. Zunächst sollte man sich Gedanken machen, wie weit will man gehen, worüber lässt man sich auf eine Diskussion ein, wo sind die eigenen Grenzen? Eine Debatte zum Beispiel über die Verniedlichung der Shoa ergibt keinen Sinn. Und ich muss wissen, dass ich Fakten gegen Verschwörungstheorien nicht aus dem Ärmel schütteln kann, sondern mich vorbereiten muss. Es gibt zum Beispiel sogenannte „wissenschaftliche Theorien“, dass durch die Flugzeuge der Terroristen die Twin Towers in New York niemals zum Einsturz gebracht werden konnten, sondern die CIA hinter den Attentaten steckte. Ohne Vorbereitung kann man dagegen nicht argumentieren. Man sollte dem Gegenüber zu Chemotherapien oder angebliche Chips, die mit der Impfung eingesetzt werden, Fragen stellen können, das alles aber nicht ins Lächerliche ziehen.

"Man sollte sich im Klaren sein, mit den üblichen Gesprächsinstrumenten wird man nicht zurechtkommen."

Aus Ihrer Beobachtung und aus Ihrer Praxis: Kommt hier eine große Spaltung der Gesellschaft auf uns zu?

Horst: Ich glaube eher nicht. Untersuchungen zeigen, dass ein Drittel der Bevölkerung affin ist, sich für Verschwörungstheorien zu interessieren - und zwar ständig, nicht nur in Krisen. Allerdings kommt dieses Potenzial durch die Pandemie und in Krisenzeiten jetzt deutlicher zum Ausdruck. Wir sollten, was die Vernunft betrifft, nicht zu hoch von der Menschheit denken. Auch Goethe wusste, dass der Aberglaube zum Wesen des Menschen gehört. In Sachen Spaltung ist die amerikanische Gesellschaft meines Erachtens viel mehr gefährdet, als die unsere. Wir haben Instrumente, dem zu begegnen, bei uns gibt es kühlende Effekte, um sich nicht allzu verrückt machen zu lassen. Erinnern Sie sich an die Zeit, als Scientology als staatsgefährdende Macht eingestuft wurde und wir uns der Situation gestellt haben. Heute sieht keiner mehr eine echte Gefahr in Scientology.

Es ist das also alles schon mal da gewesen?

Horst: Bis ins 20. Jahrhundert hinein sah man Verschwörungstheorien als Teil des legitimen Wissens der breiten Mehrheit an. Erst der Philosoph Karl Popper prägte eine abwertende Verwendung des Begriffs. Er deutete moderne Verschwörungstheorien religionssoziologisch als „Verweltlichung eines religiösen Aberglaubens“. Er sagte: „Die Götter sind abgeschafft. Aber ihre Stelle nehmen mächtige Männer oder Verbände ein - unheilvolle Machtgruppen, deren böse Absichten für alle Übel verantwortlich sind, unter denen wir leiden.“ Wir modernen Menschen müssen mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen und dürfen nicht über die realen Gefahren hinwegschauen, die sich durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien ergeben. Es ist gut, dass wir uns jetzt mit der Entwicklung auseinandersetzen und dabei auch deutlich sehen, dass wir es vielfach mit Antisemitismus zu tun haben, der aus dem Verborgenen nach oben kommt. Bei Demonstrationen gegen das Impfen tragen Menschen den Gelben Stern, eine junge Frau vergleicht sich mit Sophie Scholl und die Verschwörungstheorie von den Juden, die eine neue Weltordnung schaffen wollen, wird erzählt.

Was raten Sie also?

Horst: Hinter vielen Verschwörungstheorien steckt die Furcht vor Kontrollverlust angesichts von Klimakrise, Flüchtlingskrise oder der Pandemie, und man möchte die Deutungshoheit zurückgewinnen. Hinter biografischen Krisen der Querdenker stecken also auch die gesellschaftlichen Krisen. Wir müssen uns mit Beherztheit der Situation stellen, uns über Hintergründe und Fakten informieren, wissen, welche Blasen wie entstehen und welche Algorithmen mich in den sozialen Netzwerken bedienen. Wer die Gesellschaft zusammenhalten will, darf einerseits nicht mit Stammtischparolen auf den anderen eindreschen und sich andererseits auch nicht zurückziehen.