TV-Tipp: "Die Diplomatin: Mord in St. Petersburg"

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18. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Diplomatin: Mord in St. Petersburg"
Mag sein, dass Episodentitel bei Reihen und Serien Schall und Rauch sind, aber "Mord in St. Petersburg" ist dennoch eine unglückliche Wahl: Der sechste Film mit Natalia Wörner als Botschafterin spielt keineswegs in Russland, sondern ausschließlich in Berlin; und die Frage, ob es sich bei dem Todesfall um Mord, Suizid oder ein tragisches Unglück handelt, bleibt lange offen.

Selbst die Krimi-Assoziationen, die der Titel weckt, führen in die Irre, denn Drehbuchautorin Rebecca Mahnkopf erzählt eine Geschichte, die so ungeheuerlich ist, dass sie in ihrer Komplexität genug Stoff für einen Roman bieten würde. Clever lockt der Film zunächst jedoch auf eine völlig andere Fährte: Mitglieder des russischen Geheimdienstes entführen am Berliner Flughafen einen deutsch-russischen Journalisten. Nikolaj Petrow, Spitzname Kolja (Beat Marti), ist ein alter Freund von Karla Lorenz, die nach ihrer Zeit in Prag vor dem Wechsel an die deutsche Botschaft in Rom steht. Durch Zufall kommt sie schließlich einem Komplott auf die Spur, das die deutsche Demokratie kurz vor der Bundestagswahl aus den Angeln heben soll.

Die Handlung hat zwar großen Erklärungsbedarf und wird zudem immer komplizierter, aber Mahnkopf hat es mit großem Geschick verstanden, die vielen notwendigen Erläuterungen ohne lange Monologe zu vermitteln. Gelungen ist auch die Balance zwischen Emotions- und Informationsebene: Kolja und Karla sind seit ihrer Kindheit beste Freunde. Der Kontakt ist jedoch abrupt abgebrochen, als der Kriegsreporter vor sechs Jahren während des Bürgerkriegs in Syrien zwölf Monate in Geiselhaft verbringen musste. Damals ist er nicht nach Berlin zurückgekehrt, sondern nach St. Petersburg, wo er mit einer bekannten Moderatorin des russischen Staatsfernsehens zusammenlebt. Diese Frau ist kürzlich vom Balkon der gemeinsamen Wohnung gestürzt. Kolja steht nun unter Mordverdacht, daher auch die Entführung, aber Karla ahnt, dass noch mehr dahinter stecken muss.

„Mord in St. Petersburg“ ist Roland Suso Richters vierte Arbeit für die Reihe. Wie alle seine in der Regel stets sehr aufwändig wirkenden Inszenierungen imponiert auch diese durch die herausragende Kameraarbeit von Max Knauer und Andrés Marder; gerade mit Knauer hat Richter einige visuell bemerkenswerte Episoden für die ebenfalls von der ARD-Tochter Degeto verantwortete Donnerstagsreihe „Der Zürich-Krimi“ gedreht. Da sich die Handlung größtenteils abends oder nachts zuträgt, spielen viele Szenen im Zwielicht.

Das passt perfekt zu diesem Stoff aus der Schattenwelt der Diplomatie: Vordergründig werden lächelnd Höflichkeiten ausgetauscht, aber im Hintergrund bekämpfen sich die Systeme mit allen Mitteln. Das hier „GT“ genannte russische Auslandsfernsehen ist unschwer als „Russia Today“ zu erkennen; der deutsche Ableger des Senders soll mit Hilfe von falschen Fakten und Desinformation dazu beitragen, die Demokratie zu destabilisieren. Mahnkopf geht allerdings noch einen Schritt weiter, und das ist das gleichermaßen Erschreckende wie auch Fesselnde an ihrem Szenario, in dem schließlich die Grenzen zwischen Gute und Böse verschwimmen: Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen.

Etwa in der Mitte kommt dem Film kurz die Spannung abhanden, aber er fängt sich wieder. Die Bildgestaltung bleibt ohnehin eindrucksvoll: Über vielen Aufnahmen scheint ein Grauschleier zu liegen; eine passende optische Analogie zu den diversen Verschleierungsversuchen.

Die spannungsfördernd mit elektronischer Musik von Chris Bremus unterlegten Bilder sind ohnehin geprägt von dunklen Tönen; der rote Mantel von Koljas kleiner Tochter Manja (Rena Harder) ist der einzige Farbtupfer im gesamten Film. Das Mädchen steht für die emotionale Ebene: Vor seiner Entführung ist es Kolja gerade noch gelungen, das Kind in Sicherheit zu bringen. Karla nimmt Manja zu sich. Die entsprechenden Szenen mit ihr und Jan als Ersatzeltern sorgen nicht bloß für gefühlvolle Momente: Ausgerechnet Manja besitzt den Schlüssel zur größten Verschwörung, die die Bundesrepublik je erlebt hat.

Das Berliner Intermezzo der Botschafterin ist ein Corona-Kollateralschaden, weil wegen der Pandemie nicht in Rom gedreht werden konnte. Die Verantwortlichen haben jedoch das Beste draus gemacht; mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesnachrichtendienst rücken Behörden in den Blick, über deren Tätigkeit im Grunde nicht viel bekannt ist.

Das gilt erst recht für die Parallelen der Geschichte zu Ereignissen der jüngeren Vergangenheit: Die mutmaßlich im Auftrag der russischen Regierung durchgeführte Ermordung des Georgiers Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten (2019) oder der höchstwahrscheinlich ebenfalls von Russland aus gesteuerte Hackerangriff auf den Bundestag 2015 verleihen dem Film eine beunruhigende Brisanz. Die Dreharbeiten (inklusive zweier Verfolgungsjagden) im weitgehend menschenleeren Flughafen Berlin Brandenburg haben ebenfalls einen gewissen Reiz, ganz zu schweigen vom Nebelfinale auf dem wohl berühmtesten Symbol für den Kalten Krieg, dem Teufelsberg.