Hungerstreik in der Kirche

Hungerstreik in Belgien
© Nils Quintelier/BELGA/dpa
Gesundheits-Mitarbeitende kümmern sich um Migrant:innen vor der Kirche Saint-Jean-Baptiste au Beguinage in Brüssel. Die Kirche wurde von Menschen ohne Papiere besetzt, um eine kollektive Regularisierung zu erreichen.
Menschen ohne Papiere
Hungerstreik in der Kirche
Wir sind Keine Flüchtlinge, keine Obdachlosen - dem Sprecher der "Papierlosen" in Brüssel ist diese Abgrenzung wichtig. Seit zwei Monaten sind rund 500 Männer und Frauen in der belgischen Hauptstadt im Hungerstreik und wollen ihre Anerkennung erreichen.

Zwischen zwei Beichtstühlen hängt eine Wäscheleine, auf der Treppe zur Kanzel stehen Schuhe. Vom Portal bis kurz vor den Altar reihen sich in den Seitenschiffen Dutzende Bettstätten. Viele der hier Campierenden haben sich die Decke bis unters Kinn oder über den Kopf gezogen. Zeigt einer sein Gesicht, sind die Augen häufig geschlossen oder scheinen leer - die sogenannten "Papierlosen" in der Kirche Heiliger Johannes der Täufer bei den Beguinen im Zentrum Brüssels sind im Hungerstreik, manche sollen sich sogar weigern zu trinken.

"Papierlos" heißt, dass sie illegal in Belgien leben. Mit dem Hungerstreik, der offiziell am 23. Mai begann, wollen sie die "Regularisierung" erzwingen, den legalen Aufenthalt. In der Kirche seien es 253 Männer und Frauen und noch einmal 222 in zwei Universitäten der Stadt, sagt Ahmed, der sich als gewählter Sprecher vorstellt.

"Arbeiter und Arbeiterinnen ohne Papiere" nennt er die Hungernden, die seit fünf, zehn oder gar dreißig Jahren im Land lebten, eine Wohnung hätten und Miete und Rechnungen bezahlten, Freunde und Familie besäßen - keine Obdachlosen oder Flüchtlinge: "Diese Personen sind bestens integriert in Belgien." Für das Land seien sie von Wert, ein ökonomischer Faktor, meint der 53-jährige Marokkaner, der ein blütenweißes Hemd und eine glänzende Uhr trägt, und beruft sich dafür auf Zahlen der Belgischen Nationalbank.

Ausbeutung bis zum Maximum

Doch ohne Papiere heißt oft auch ohne Rechte. Ahmed spricht von Ausbeutung und Arbeitsunfällen, misshandelten Frauen und ihrer Machtlosigkeit: "Wenn sie auf ein Polizeikommissariat gehen, riskieren sie, festgenommen zu werden, dann werden sie ausgewiesen." Er selbst kenne die Ausbeutung von seiner Arbeit in einer Brüsseler Bar - von fünf Uhr abends bis sechs oder sieben Uhr morgens für 50 Euro Lohn. Zuvor war er Elektriker und musste Überstunden schlucken. Wenn der Chef wisse, dass man keine Papiere habe, "wird er dich bis zum Maximum ausbeuten".

Ein Sanitäter vom Roten Kreuz kümmert sich um einen Mann in der Kirche Saint-Jean-Baptiste-au-Beguinage. Dutzende Migranten ohne offizielle Papiere, die die Kirche seit letztem Februar mit Erlaubnis des Pfarrers als Unterkunft nutzen, sind seit dem 23. Mai in einen Hungerstreik getreten, um die Aufmerksamkeit der Brüsseler Behö†rden auf ihre Notlage zu lenken.

Pater Daniel Alliet kennt solche Schicksale und fühlt mit ihnen. Der Ort der Hungerstreikenden war bis zur Pensionierung seine Kirche und ist es gewissermaßen immer noch. Der 77-Jährige, der mit dem Fahrrad gekommen ist, kennt aber auch die politische Lage. Belgiens Migrations-Staatssekretär Sammy Mahdi "ist unter dem Druck der extremen Rechten". Das erschwere ihm Konzessionen an die Migranten, glaubt der Priester.

Unter Druck der extremen Rechten

Mahdi hat seine Position vergangene Woche noch einmal klargemacht. Für alle gälten dieselben Regeln, erklärte er. "Eine kollektive Regularisierung ist nicht gerecht." Die könnte man zum Beispiel den 15.000 Migranten von außerhalb Europas nicht erklären, die sich um eine Arbeitserlaubnis bemüht und sie bekommen hätten. Der Christdemokrat mit flämisch-irakischen Wurzeln, der in der öffentlichen Diskussion Zielscheibe von Forderungen und Kritik ist, fühlt sich mit Blick auf die Streikenden überdies falsch verstanden: "Der Vorwurf, dass ich diesen Personen keine würdige Existenz zugestehe, verletzt mich."

"Negativ, negativ, negativ." So fasst Ali aus Algerien seine Versuche zusammen, einen legalen Aufenthalt zu erwirken. Seit 2005 sei er in Belgien und habe hart gearbeitet - unter anderem Möbel aus Häusern geräumt, für 30 oder 40 Euro am Tag. Ali sitzt in der Nähe des Kirchenportals im Unterhemd auf seiner Matratze, er hat dunkle Ringe unter den Augen und nach eigenen Worten im Hungerstreik 17 Kilogramm verloren. Wie lange er schon mitmache? "Vielleicht 57 oder 56 Tage", seit drei Tagen trinke er auch nicht mehr. Ob er an einen Erfolg glaube, die belgische Regierung einlenken werde? "Das weiß ich nicht", sagt Ali schleppend und leise. "Es sind sie, die entscheiden, nicht wir."