Iran: Theater als Kampf gegen die Furcht

Iran: Theater als Kampf gegen die Furcht
Deutsche Exiliraner spielen ein Stück über die Ermordung von zwei Oppositionellen im Teheran. Die Tochter der Ermordeten fährt jedes Jahr zu ihrem Haus um ihrer zu gedenken. Dieses Jahr wäre sie fast nicht mehr zurückgekommen. Trotzdem wird sie wieder hinfahren, und erzählt von neuen Aufbrüchen im Iran.
21.01.2010
Von Georg Klein

Auf der Mitte der Bühne steht eine Frau im roten Kleid, mitunter sitzt sie auch am Rand an einem Tisch mit Telefon und Laptop, und immer stellt sie Fragen. Die Fragen werden beantwortet von zwei schwarz gekleideten Männern, manchmal melden sie sich auch selbst, schreien und drohen. Teile ihrer Texte stammen aus Protokollen, Verhören, Mitschnitten, propagandistischen Zeitungsartikeln. Die Übersetzung aus dem Persischen ins Deutsche wird mit einem Beamer über die Bühne projiziert. Gefragt wird, in dem von der Exiliranerin und Regisseurin Niloofar Beyzaie verfassten Stück "Eine Akte, zwei Morde", nach den Umständen der Ermordung der Eltern von Parastou Forouhar.

Hochstehende Hintermänner

Forouhar kam 1962 in Teheran als Tochter der Oppositionspolitiker Dariush und Parwaneh Forouhar zur Welt. Gewalt und Bedrohung muss für die heute in Deutschland lebende Künstlerin schon seit frühester Kindheit präsent gewesen sein. Ihre Eltern engagierten sich im Kampf gegen den Schah und später gegen das fundamentalistische Regime. In der kurzen Übergangsphase, bevor die Islamisten sich durchsetzen, ist ihr Vater sogar Arbeitsminister im Revolutionskabinett. Parastou Forouhar sucht ihren Weg aus Enge und Beschränkung, indem sie Kunst studiert. Zuerst unter schwierigen Bedingungen in Teheran, dann in Deutschland. Ein Weg, der zu gelingen scheint. Sie schließt ihr Studium ab und beginnt sich künstlerisch in Deutschland zu etablieren, als im Herbst 1998 ihre Eltern brutal ermordet werden.

Ein Jahr zuvor, 1997, war im Iran Mohammad Chatami als Vertreter des reformorientierten Flügels an die Macht gekommen. Viele Iraner hatten ihn gewählt, weil sie auf Anschluss an die Welt, Demokratisierung und mehr Freiheit hofften. Allerdings blieb der islamische Wächterrat weiterhin tonangebend, vor allem im Informationsministerium genannten Geheimdienst, und wollte das auch demonstrieren. Der Mord am Ehepaar Forouhar war nur der Auftakt einer ganzen Serie von Anschlägen auf Oppositionelle, Intellektuelle und Künstler im In- und Ausland. Besonders im Fall der Forouhars, aber auch insgesamt war die öffentliche Empörung diesmal so groß, dass widerstrebend ermittelt wurde. Heraus kam, nachdem viele Steine mühsam aus dem Weg geräumt waren, dass die Täter Mitarbeiter des Informationsministeriums waren. Der zuständige Minister musste zurücktreten. Allerdings verschwanden immer wieder Aussagen aus den Protokollen, die auf die hochstehenden Auftraggeber verwiesen, die Hintermänner blieben unbelangt. Zu diesen Hintermännern zählt auch der Minister, der damals gehen musste und heute Generalstaatsanwalt der islamischen Republik ist.

Angst einjagen funktioniert nicht mehr


Bis heute fährt Parastou Forouhar, inzwischen eine anerkannte Künstlerin, jedes Jahr zum Todestag ihrer Eltern in den Iran, um ihrer zu gedenken. Bis heute ist das eine hochpolitische und brisante Angelegenheit. Nachdem die Gedenkfeiern in den ersten Jahren zu großen Treffen der Opposition wurden, wird das Haus der Forouhars, in dem die Morde geschahen, heute streng abgeriegelt, die Feierlichkeiten finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Wie nervös das Regime gerade jetzt auf das fortgesetzte Beharren auf Gerechtigkeit und Aufklärung reagiert, zeigte sich im Dezember 2009: Als sie zurück nach Deutschland reisen wollte, wurde Parastou am Flughafen der Pass abgenommen und sie durfte das Land nicht verlassen. Ihre Freunde in Deutschland organisierten über Facebook eine Kampagne, schrieben Briefe und Mails an die iranische Botschaft und das Auswärtige Amt, die Medien berichteten. Wie schon so oft vorher wurde sie auf die Ämter bestellt und bekam unterschwellige Drohungen zu hören, was sie noch alles verlieren könnte, wenn sie so weitermache. Schließlich erhielt sie doch ihren Pass zurück und durfte ausreisen - kurz vor den größten Demonstrationen und neuen Verhaftungswellen.

"Ich hatte aber das Gefühl, dass dieses Angst einjagen, auf dem das System basiert, nicht nur bei mir nicht mehr richtig funktioniert. Die Leute merken, dass ein kostbarer historischer Wendepunkt da ist, den sie sich nicht mehr aus der Hand lassen nehmen wollen. Damit es nicht wieder zu einer langjährigen Depressionsphase kommt." Als Parastou Forouhar das bei der Diskussion nach der Aufführung im Internationalen Theater Frankfurt sagt, brandet spontan Beifall im Saal auf, wie schon öfter an diesem Abend. Sie sitzt neben der Regisseurin am Bühnenrand und beantwortet die Fragen der Zuschauer. Es ist bei aller Traurigkeit des Themas so etwas wie Euphorie zu spüren. Viele Exiliraner sind im Publikum, viele, die schon zu lange gewartet haben.

Eine Bewegung von unten

Auch als ein Zuschauer einwendet, dass er nicht den Eindruck hat, dass die Bewegung über ausreichend starke Führungsfiguren verfügt, tut das der Stimmung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Das liege daran, sagt Forouhar, dass die Bewegung von unten komme, sogar etablierte Oppositionsführer wie Mussawi und Karubi gäben das zu. Stattdessen, sagt sie, gebe es immer wieder Symbolfiguren, die über die neuen Medien blitzartig Bekanntheit erlangten. Ihr Lieblingsfall ist der des radikalen Studenten, der versuchte sich der drohenden Verhaftung zu entziehen, indem er unter einem Kopftuch versteckt flüchtete. Die staatliche Presse veröffentlichte Bilder von ihm und versuchte ihn so als unmännlich und feige zu diskreditieren. Was aber stattdessen geschah: Viele Iraner im In- und im Ausland ließen sich mit Kopftuch fotografieren und stellten Bilder davon ins Internet. "Es wurde eine große Debatte daraus, was diese Männlichkeit überhaupt bedeutet", sagt Forouhar und wieder klatschen die Zuhörer begeistert. "Das sind Figuren", sagt sie, "die für einen kurzen Zeitraum eine tragende Rolle spielen, aber nicht dauernd als Führer auftauchen." Solche Menschen gebe es aber viele, in unterschiedlichsten Netzwerken und Zusammenhängen, auch unter den Frauen.

Für die Rolle der Frauen hat sich Forouhar schon immer interessiert, besonders in ihren künstlerischen Arbeiten. In ihnen werden Themen wie Folter, Unterdrückung und Gewalt in ornamentalen Bildern aufgelöst. Sie nehmen Bezug auf traditionelle iranische und weiblich besetzte Formensprachen. Auch jetzt berichtet sie vom iranischen Netzwerk der Mütter für den Frieden und anderen Frauengruppen, die sich maßgeblich beteiligen. Führende weibliche Persönlichkeiten, die für sie die Aufgabe haben, in wichtigen Momenten die Bewegung, trotz aller Gewalt, friedlich und auf die Zukunft gerichtet zu halten.

Bilder auf der leeren Bühne

Dabei bleibt die Gewalt auch im Stück immer spürbar. Nach und nach werden im Verlauf der Handlung gerahmte Erinnerungsfotos der Ermordeten am vorderen Bühnenrand aufgestellt. Am Ende bleibt eine lange Reihe von Fotos, die nun nicht mehr von einem privaten Nachttisch, sondern von einer leeren Bühne aus ins Publikum blicken. Monatelang, erzählt Regisseurin Beyzaie, sei sie mit der Künstlerin durch die Akten gegangen und habe sich angehört, was sie in dem geplanten Buch über ihre Eltern zu sagen hat. Herausgekommen ist dabei ein Stück, das vom Kampf gegen die Furcht erzählt.

Zum Schluss wird Forouhar noch gefragt, ob sie nach der diesjährigen "Warnung" nicht noch mehr Angst habe, im nächsten Jahr in den Iran zurückzukehren. Doch, sagt sie, natürlich habe sie mehr Angst, aber machen werde sie es trotzdem. Noch einmal brandet der Beifall auf.


"Eine Akte, zwei Morde" wird in den nächsten Monaten in Kopenhagen, Vancouver, Berlin, Delft, Wien und Berlin gezeigt.

Weitere Infos:
Das Stück und wo es gespielt wird
Parastou Forouhars Webseite

Georg Klein lebt als freier Autor in Offenbach a. M.