Lasst uns der gute, fruchtbringende Baum im Garten unseres allmächtigen Gottes sein. Amen!" Mit diesen Worten schließt der Pastor seine Bibel und beendet seine 45-minütige Predigt. Dann beginnt er mit den Sonntagsankündigungen: "Ich lade euch herzlich ein, euch für ein Freiwilligenjahr in Deutschland zu bewerben – über unsere Partnerorganisation. Es gibt verschiedene Einsatzorte. Für nähere Informationen sprecht mich gerne an." In diesem Moment war ich plötzlich hellwach – meine Schläfrigkeit wie weggeblasen!
"Hat er gerade gesagt, dass man für ein Jahr nach Deutschland gehen kann?" frage ich Amma (meine Mutter). Sie antwortet trocken: "Ja, aber es ist ein Freiwilligenjahr. Das ist für dich sowieso uninteressant – du machst ja nicht mal die Hausarbeiten, um die ich dich ständig bitte." Ihre Stimme klingt wie immer, wenn sie mich zum Mithelfen im Haushalt überreden will. "Ma, ich werde ganz sicher gehen!", antworte ich selbstbewusst, während mein Herz vor Aufregung pocht. Vielleicht ist das genau die Gelegenheit, auf die ich all die Jahre gewartet habe?
Wie oft habe ich mir erträumt, endlich aus Indien herauszukommen – andere Kulturen zu erleben, Neues zu lernen! Ich habe immer davon geträumt, einmal in Australien zu leben und zu arbeiten. Doch Appa (mein Vater) und Amma wollten das nie akzeptieren – aus Angst, dass eine Frau allein reist und dann nicht sicher ist. Amma sagt immer, ich soll zuerst heiraten, dann kann ich reisen und tun, was ich will. Aber warum sollte ich auf einen Mann warten, um meine Träume zu verwirklichen? Bin ich nicht selbstständig genug, allein zu reisen und mein eigenes Leben zu führen? "Diesmal werde ich meinen lang gehegten Traum nicht aufgeben", schwöre ich mir selbst.
Nach dem Gottesdienst stehen zwei Menschen unter einem kleinen Dach neben dem alten Waschbecken aus Beton und verteilen Tee und Vadai (ein indischer Snack), gesponsert von der Kirche. Appa hilft hier oft freiwillig mit, einfach um dem Sitzen in der Kirche zu entkommen – auch wenn er zu besonderen Anlässen bei uns sitzt. Die Teepause gehört zu den schönsten Momenten des Kirchganges in meiner Heimatstadt – man trifft alte Freund*innen, Cous*innen und Verwandte. Und genau jetzt ist meine Chance, Amma von meiner Entscheidung zu überzeugen. Ich bin mir sicher, dass Appa zustimmen wird, wenn ich ihn nett frage – aber Amma zu überzeugen, das wird eine echte Herausforderung.
"Woran denkst du so lange, dass dein Tee schon kalt geworden ist?", fragt plötzlich eine vertraute männliche Stimme von meiner linken Seite. Wie genau es mir gelungen ist, meine Eltern zu überzeugen, ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Ich habe sie in meinem Buch "Biryani with Kartoffelsalat" aufgeschrieben. Aber mir ist es gelungen und ich bin für mein Freiwilligenjahr nach Deutschland gekommen. Und nicht nur das: Ich bin in Deutschland geblieben.
Eine Reflexion: Mein Leben jetzt und vor sechs Jahren
Wenn ich mein jetziges Leben anschaue – ich habe viele Freund*innen, gehöre zu einem tollen Gospelchor, der wie eine Familie für mich ist, habe eine gute Arbeitsstelle mit netten Kolleg*innen, schöne Hobbys, eine wunderbare Kirchengemeinde und so vieles mehr. Aber wenn ich zurückblicke auf die Zeit vor sechs Jahren, im Juni 2019, stand ich ganz allein in einem fremden Land, mit zwei Koffern. Es war ein Sprung ins kalte Wasser: eine neue Sprache, eine andere Kultur, fremdes Essen, ungewohntes Wetter und vieles mehr.
Ich erinnere mich noch genau, was ich damals alles riskiert habe – vor allem, meinen gut bezahlten Job in Indien aufzugeben, um ein Freiwilligenjahr zu machen, ohne zu wissen, was sich wohl hinter der nächsten Tür verbirgt. Aber manchmal muss man viel riskieren, um etwas Gutes zu erreichen. Als ich aus dem ersten Flug meines Lebens ausgestiegen bin, sprach ich ein kurzes Gebet:
"Ich hatte so viele Herausforderungen und dachte, dass ich es nie bis hierher schaffen würde. Doch an einem einzigen Wochenende hat sich alles gefügt – und plötzlich bin ich in einem ganz anderen Land. Du erinnerst mich an den Vers: ‚Der HERR ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?‘ (Psalm 118,6). Halte mich fest in deiner Hand – denn wenn ich selbst versuche, dich festzuhalten, könnte ich loslassen, wenn sich Situationen ändern oder mein Vertrauen schwächer wird. Bitte sei bei mir, denn ich kenne hier niemanden außer dich!"
Während ich das jetzt aufschreibe, kommen mir Tränen – einfach durch die Erinnerung. Seitdem ist Gott bis heute mit mir gewesen. Er hat mich in schwierigen Momenten gestärkt, mich durch viele Lernprozesse begleitet und mir gezeigt, dass er treu ist.
Zwischen zwei Welten: Auch mit Glauben
Natürlich verändert sich auch das christliche Leben, wenn man von einem Land in ein anderes zieht. Ich vermisse zum Beispiel vieles aus Indien – die Jugendgruppen, die Lobpreiszeiten, Gebetsgruppen und vieles mehr. Ich war es gewohnt, in vollen Kirchen zu sitzen. Anfangs war ich hier sehr traurig, als ich sah, dass es in Deutschland so viele wunderschöne (vor allem alte) Kirchen gibt – aber oft nur mit wenigen Menschen. Ich hatte viel Sorge, dass meine Beziehung zu Gott nicht mehr so intensiv sein könnte wie in Indien – wegen all dieser Unterschiede, wie Menschen hier Gott erleben. Doch dann erinnerte ich mich an zwei Bibelverse:
Apostelgeschichte 17,24: "Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind." und
Johannes 14,23: "Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen."
Diese Verse haben mir gezeigt: Es liegt nicht an der Umgebung oder an der Gemeinde – sondern an mir, ob ich Gott glaube und ihm vertraue. Alles andere kann mich dabei nur unterstützen und ermutigen, an meinem Vertrauen zu Gott festzuhalten.
Und was ist mit Dir?
Das ist nur ein kleiner Teil meiner Erlebnisse. Ich bin mir sicher, dass jede*r von euch ähnliche Erfahrungen mit Gott gemacht hat.
Ich möchte euch ermutigen, jetzt einen Moment innezuhalten und darüber zu meditieren. Unser Leben läuft oft sehr schnell – 40-Stunden-Wochen, viele Termine. Aber wenn wir eines Tages zurückblicken, erinnern wir uns nicht an jede alltägliche Aufgabe, sondern an die schweren Momente, in denen wir uns allein fühlten – und an Gottes Eingreifen, das uns durchgetragen hat.
"Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!" (Psalm 103,2)
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