Niebel: Weg vom Armutsministerium

Niebel: Weg vom Armutsministerium
Neuer Kopf, andere Schwerpunkte: Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (46) will die Zusammenarbeit mit Afghanistan und Kolumbien ausbauen. In Afrika plant der FDP-Politiker eine verstärkte Kooperation mit Israel und China. Der Erhöhung der Entwicklungshilfe nach dem EU-Stufenplan auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2010 erteilt er eine Absage. Dennoch will der Diplom-Verwaltungswirt und ausgebildete Fallschirmjäger für einen höheren Etat kämpfen und betont das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015.
18.11.2009
Die Fragen stellten Elvira Treffinger und Ellen Großhans

Frage: Herr Niebel, was wollen Sie als FDP-Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung anders machen als Ihre Vorgängerin, Frau Wieczorek-Zeul von der SPD?

Niebel: Ich möchte wegkommen vom klischeehaften Armutsministerium zu einem Ministerium, das es schafft, andere Staaten in die Lage zu versetzen, auf Augenhöhe mit uns als Partner zu agieren. Also das klassische System der Hilfe zur Selbsthilfe.

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Frage: Also ein Selbsthilfeministerium?

Niebel: Nein, wenn Sie mich in Kurzform ansprechen, dann bitte als Entwicklungsminister. Aber es gehört natürlich enorm viel zu dem Ressort dazu, insbesondere an den Schnittstellen zur klassischen Außenpolitik und zur Außenwirtschaftsförderung. Es ist ein große Chance, dass die FDP alle drei Ressorts leitet: Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungsministerium. Man kann dann wie bei einem Staffellauf, von Hand zu Hand, die Partner weitergeben, um das Engagement an anderer Stelle weiterzuführen.

Frage: Können Sie für diese Form der Weitergabe ein konkretes Beispiel nennen?

Niebel: Ich spreche mit dem chinesischen Botschafter darüber, dass China ein wirklich gleichberechtigter Mitspieler in der Welt geworden ist. Dieser Gleichberechtigung sollte man auch dadurch Ausdruck verleihen, dass man zu einer partnerschaftlichen Beratung kommt, die Kompetenzen von Deutschland und China kombiniert - und damit wieder dritten Ländern hilft.

China und Deutschland gemeinsam nach Afrika

 

Frage: Das erinnert an das Konzept der Ankerländer ihrer Amtsvorgängerin, große Entwicklungs- oder Schwellenländer als Vorbild und Lokomotive für andere Staaten zu nutzen.

Niebel: Ja, aber es wurde mit China noch nie ausprobiert. China steht mit seinem Engagement in Afrika in der europäischen veröffentlichten Meinung nicht gut da, weil unterstellt wird, es gehe nur um die Sicherung strategischer Rohstoffreserven. Das mag ein Argument sein, greift aber als alleinige Interpretation zu kurz. Es wäre ganz interessant, wenn Deutschland und China gemeinschaftlich in einem afrikanischen Land Projekte entwickelten, um deutlich zu machen, dass man als Entwicklungspartner nach Afrika geht.

Frage: Der Weltklimagipfel steht vor der Tür. Die Bundesregierung rechnet nicht mehr mit einem verbindlichen Klimaschutzabkommen. Wollen Sie trotzdem die Investitionen in den Klimaschutz erhöhen?

Niebel: Wenn es ein Klimaministerium gibt, dann ist es das Entwicklungsministerium. Aus unserem Haushalt wird schon eine Milliarde Euro für Klimaprojekte weltweit pro Jahr bereitgestellt. Wenn wir das intensivieren wollen, werden wir auch mehr Geld in die Hand nehmen. Das muss dann auch bei uns angesiedelt sein, da wir im Vergleich zum Umweltministerium die größeren Möglichkeiten haben, auch in Kombination mit der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Wir können aufstocken, umschichten und neue Wege gehen.

Frage: Stichwort Geld. Sie haben angekündigt, den Haushaltsentwurf Ihrer Vorgängerin für 2010 fortzuführen. Also eine Erhöhung Ihres 5,8-Milliarden-Etats um 23 Millionen Euro?

Niebel: Die Bundeskanzlerin hat deutlich gesagt, dass das Ziel gilt, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2015 zu erhöhen. Der Haushalt des Entwicklungsministeriums muss aufwachsen, um die internationalen Verpflichtungen erfüllen zu können. In einem Jahr ist das aber nicht zu erreichen.

Frage: Für 2010 gibt es das Ziel, die Entwicklungshilfe auf 0,51 Prozent aufzustocken. Ist das noch erreichbar?

Niebel: Die Vorgängerregierung ist auf dem Stand von derzeit ungefähr 0,38 Prozent. Das heißt, unser großes Ziel muss sein, die 0,7 Prozent bis 2015 zu schaffen. Auch Zwischenziele sollten so nah wie möglich erreicht werden, sie sind aber nicht dogmatisch zu betrachten.

Frage: Aber die 0,51 Prozent sind doch im EU-Stufenplan festgelegt.

Niebel: Der EU-Stufenplan beschreibt eine Willensbekundung, aber keine völkerrechtliche Verpflichtung. In einem Jahr von 0,38 auf 0,51 Prozent zu kommen, ist in der derzeitigen Situation nicht darstellbar.

Kirchen und NGOs stärken

 

Frage: Sie haben das Abschmelzen der Zusammenarbeit mit China angekündigt. Die Kooperation mit den Schwellenländern Indien, Brasilien und Südafrika wird geprüft. Bekommen andere Länder dafür mehr Hilfe?

Niebel: Wir werden mit dem Wachstum unseres Etats neue Schwerpunkte setzen, zum Beispiel mit mehr Engagement im Norden Afghanistans. Ich bin fest davon überzeugt, dass Entwicklungszusammenarbeit dort, wo wir mit der Bundeswehr auch für die Sicherheitsstruktur zuständig sind, zusätzlich befriedend wirken kann. Auch mit Kolumbien sollten wir ideologiefreier umgehen. Dort hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Und, das sage ich mit Blick auf die Regierungskonsultationen mit Israel: Ich bin gewillt, gemeinschaftliche Projekte mit Israel in Afrika zu initiieren, zum Beispiel im Bereich Bewässerung.

Frage: Warum ausgerechnet mit Israel?

Niebel: Weil Israel bei Bewässerungstechniken über ein hohes Maß an Kompetenz verfügt. Wassermangel ist eines der größten Probleme in Afrika, deswegen muss die modernste Technologie angewendet werden. Darüber hinaus hat Deutschland einen leichteren Zugang in muslimische Staaten. Durch eine gute und vernünftige Zusammenarbeit können wir auch in den palästinensischen Gebieten wieder aktiver werden.

Frage: Sie haben angekündigt, die Kirchen, politischen Stiftungen und privaten Entwicklungsorganisationen stärken zu wollen. Bedeutet das auch mehr Geld?

Niebel: In der Entwicklungszusammenarbeit ist es wie im richtigen Leben: Nicht alles muss der Staat machen. Andere haben manchmal ganz andere und viel bessere Zugänge, um Probleme lösen zu können. Das muss sich natürlich auch im Haushalt widerspiegeln.

Frage: Wie sieht die angekündigte Auflösung von Doppelstrukturen innerhalb der Regierung aus?

Niebel: Ich möchte das Entwicklungsministerium satisfaktionsfähig machen. Ich will die Leitungsebene umstrukturieren und einen Planungsstab wie den im Außenministerium auch hier installieren. Die strategische Planung der Entwicklungszusammenarbeit, die Arbeit an den Grundsätzen, ist verbesserungswürdig. Ein solcher Planungsstab ist Voraussetzung dafür, um auf Augenhöhe über die Verzahnung und den Abbau von Doppelstrukturen zu sprechen. Das soll so schnell wie möglich geschehen.

Frage: Wie stimmen Sie jetzt die Außenpolitik ab? Telefonieren Sie jeden Tag mit Herrn Westerwelle?

Niebel: Ich muss nicht jeden Tag mit Herrn Westerwelle telefonieren. Das musste ich auch als FDP-Generalsekretär nicht. Wir haben miteinander telefoniert, wenn wir der Ansicht waren, dass es Gesprächsbedarf gibt. Das werden wir auch in Zukunft tun.

Ergebnisoffene Evaluierung des Zivilen Friedensdienstes

 

Frage: Herr Westerwelle hat im letzten Jahr vorgeschlagen, die Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern einzustellen, die Frauen oder Homosexuelle diskriminieren. Werden Sie sich daran halten?

Niebel: Herr Westerwelle hat im Grundsatz völlig recht. Wenn wir aber allen Ländern die Kooperation verweigern würden, die Frauen oder Homosexuelle diskriminieren, dann fielen viele Länder heraus und wir würden uns auch Einflussmöglichkeiten nehmen. Aber wir müssen auch einen Punkt für den Ausstieg aus der Zusammenarbeit setzen. Er ist erreicht, wenn man der Ansicht ist, dass nichts mehr geht. Dann muss der Kontakt zu staatlichen Stellen, die rechtsstaatswidrig und menschenfeindlich vorgehen, beendet werden. Mit einem Land wie Uganda, das gerade die Diskriminierung von Homosexuellen als Gesetz debattiert, muss aber beispielsweise das Gespräch gesucht werden.

Frage: In wenigen Tagen feiert der Zivile Friedensdienst sein zehnjähriges Bestehen. Warum ist im Koalitionsvertrag eine Evaluierung vereinbart?

Niebel: Es geht um eine Überprüfung dessen, was dabei herausgekommen ist, ergebnisoffen. Dass wir beim Zivilen Friedensdienst in der Vergangenheit skeptisch waren, daraus mache ich kein Geheimnis. Wir waren der Ansicht, dass der Zivile Friedensdienst oft realitätsfern handelte. Er hat gesagt, es muss generell alles gewaltfrei, alles friedlich ablaufen. Wir sind aber Vertreter der wehrhaften Demokratie. Die Skepsis bedeutet aber nicht, dass man von vornherein ein Urteil fällt.

Frage: Haben Sie schon Reisen in Entwicklungsländer geplant?

Niebel: Ich möchte im Januar mit Afrika beginnen. Wir stimmen das gerade ab, deshalb kann ich noch keine Länder nennen. Im Februar möchte ich, wenn es möglich ist, nach Vietnam und Kambodscha.

epd