Junge Männer gewaltfreier erziehen

Junge Männer gewaltfreier erziehen
Der Anschlag von Ansbach reiht sich ein in eine beängstigende Reihe von Gewalttaten in U-Bahnen und Schulen. Die Täter: Junge Männer. Das Profil ist eindeutig, aber schärfere Gesetze helfen nicht. Psychologen und Sozialarbeiter müssten her, fordern Polizei und Lehrer.

Wenn es um Ausbrüche brutaler Gewalt geht, dann sind oft junge Männer beteiligt. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer "anthropologischen Konstante", also einer unveränderlichen, festen Größe in der Menschheitsgeschichte. In dieser Woche hat sie sich wieder schockierend gezeigt in Deutschland. Beim Münchner S-Bahn-Mord und auch beim Amoklauf in Ansbach waren die Täter männlich und gerade mal um die 18 Jahre alt. Ob auch die neunjährige Kassandra aus Velbert von jemandem aus dieser Risikogruppe misshandelt und in einen Gully geworfen wurde, war indes zunächst unklar.

Viele Menschen sind nach den angstmachenden Gewalttaten dieser Woche fassungslos: Häufen sich solche Vorfälle? Wie sicher sind Deutschlands Städte, Schulen und der öffentliche Nahverkehr? Welche Gewalt geschieht wo und warum? Und: Kann es eigentlich jeden treffen?

Der Gewaltforscher Dietrich Oberwittler hat einige Antworten. Er sagt: "Männliche Jugendliche und junge Männer zwischen 16 und 24 stellen weltweit die größte Risikogruppe für extreme Gewalt." Für Deutschland aber gelte: "Jugendgewalt geht insgesamt zurück. Die ganz überwiegende Zahl der Fälle von Jugendgewalt richtet sich außerdem gegen andere Jugendliche und nicht gegen Erwachsene." Das sei auch in München zunächst der Fall gewesen, bis der mutige Dominik Brunner eingriff. Die beiden Täter fühlten sich von dem 50-Jährigen offensichtlich provoziert und traten ohne jeden Sinn und Verstand zu.

"Ich denke, es wäre zu viel hineininterpretiert, wenn man das jetzt als Tat mit kultureller Opposition auflädt, also 'sozial schwache Jugendliche gegen etablierten Manager'", sagt Oberwittler, der am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg arbeitet. Das Problem sei eher, dass in der Erziehung vieler Jungen verpasst werde, bei der Konfliktlösung von frühester Kindheit an "gewaltfreie Handlungsalternativen" aufzuzeigen.

Computerspiele verbieten bringt nichts

Während der Mord an der S-Bahn-Station, schon von seinem Ort her, ein typisches Großstadtverbrechen zu sein scheint - verübt von jungen arbeitslosen Schlägern - passieren Amokläufe meistens in kleineren und mittelgroßen Städten. Deutschland ist übrigens nach Angaben des Darmstädter Psychologen Jens Hoffmann nach den USA das Land mit den meisten (Schul-)Amokläufen überhaupt. "Amokläufer sind meistens Heranwachsende aus scheinbar intakten Milieus", sagt Forscher Oberwittler. In unauffälliger Umgebung kanalisieren sich plötzlich verdrängte Konflikte in äußerster Brutalität.

Auch bei Amokläufen gilt die "Jugendgewalt-Regel": In erster Linie sind andere Jugendliche die Opfer - aber auch Lehrer geraten ins Visier, weil die Täter sie ebenfalls als demütigende Bezugspersonen wahrnehmen und sich rächen wollen.

Auslöser und Verstärker von männlicher Gewalt? Oberwittler gibt Entwarnung bei den viel gescholtenen Computerspielen. "Es gibt keinen starken Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und echter Gewalt. Wer Computerspiele verbietet, hat erstmal nichts zur Gewaltprävention getan." Anders der Zugang zu Waffen. "Schusswaffen können instrumentell wichtig sein, um besonders verheerend zu agieren." Kurz gesagt: Man stelle sich vor, der Ansbacher Gymnasiast hätte mehr als eine Axt und Molotow-Cocktails eingesetzt, so wie es die Täter von Winnenden oder Erfurt einst machten.

Weite Teile der Bevölkerung macht der S-Bahn-Mord vielleicht betroffener als der erneute Schul-Amoklauf. Veit Schiemann von der Opferschutzorganisation Weißer Ring in Mainz sagt: "Der Münchner S- Bahn-Mord ist geeignet, eine verzerrte Realität zu erzeugen." Die Gewalt im öffentlichen Nahverkehr gehe zwar zurück, trotzdem fühlten sich viele Menschen immer weniger sicher. Züge und Bahnhöfe würden als Brennpunkte einer auseinanderdriftenden Gesellschaft wahrgenommen - als Orte, in denen es zwischen den sonst nebeneinander lebenden Milieus zu Konflikten kommen müsse. Doch das sei falsch, sagt Schiemann: "Wenn verschiedene Niveau-Gruppen aus der Gesellschaft zusammenkommen, kommt es nicht gleich zu Gewalt. Wenn das so wäre, gäbe es in Deutschland ganz andere Verhältnisse." Noch immer sei Deutschland ein Land mit vergleichsweise niedrigem Gewaltpotenzial.

Nichtsdestotrotz hat die Gewalt junger Männer als Thema auch den Bundestagswahlkampf erreicht. Politiker zeigen sich besorgt um die gefühlte Sicherheit in der Republik. Von der Politiker-Forderung nach mehr Polizeipräsenz und Videoüberwachung hält der Soziologe Oberwittler dagegen nicht viel. "Weder Kameras noch Polizei lösen das eigentliche Problem."

Sozialarbeiter und Psychologen an die Schulen

In der Debatte um die Sicherheit von Schulen kritisierte die Deutsche Polizeigewerkschaft Versäumnisse und forderte ein flächendeckendes Frühwarnsystem für Deutschlands Schulen. Der Gewerkschaftsvorsitzende Rainer Wendt sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitagsausgabe): "Die schreckliche Tat von Ansbach belegt leider einmal mehr, dass Deutschlands Schulen keine sicheren Orte sind. Wir brauchen endlich ein flächendeckendes Frühwarnsystem für Schulen." Trotz aller politischen Versprechen nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden fehle es nach wie vor massiv an Schulpsychologen und Sozialarbeitern, die Probleme der Schüler frühzeitig erkennen könnten, kritisierte Wendt.

"In jede Schule in Deutschland gehören mindestens ein Sozialarbeiter und ein Psychologe", forderte der Chef der Polizeigewerkschaft. Er machte den Bundesländern schwere Vorwürfe: "Die Landesregierungen müssen endlich ihre Hausaufgaben machen und massiv in die Schulsicherheit investieren, statt nach jedem Amoklauf mit Rufen nach schärferen Gesetzen von ihren großen Versäumnissen in der Schulpolitik abzulenken."

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sagte der Zeitung: "Wir müssen in den Schulen eine Kultur des Hinsehens etablieren." Er sprach sich für "flächendeckende Schulungen von Klassensprechern aus, um sie für mögliche Probleme und Außenseiter in ihren Klassen zu sensibilisieren". Dringend erforderlich sei zudem, "die Zahl der Schulpsychologen in Deutschland in einem ersten Schritt zu verdoppeln", sagte Kraus. Derzeit müsse ein Psychologe im Schnitt 10.000 Schüler betreuen. "Das kann nicht funktionieren." Trotz gegenteiliger Ankündigungen aus der Politik habe sich die Versorgungsquote in den vergangenen Jahren kaum verbessert, sagte Kraus.

Mittelfristig müsse zudem jede der 42.000 deutschen Schulen auf einen Schulsozialarbeiter zurückgreifen können: "Davon sind wir heute weit entfernt." Der Chef des Lehrerverbandes betonte aber, dass es gegen Amokläufe kein Patentrezept gebe: "Absolute Sicherheit in Schulen ist trotz allem Bemühen nicht möglich."

dpa/epd