Die Kirche stärker machen als Anwältin der "Armen, Kranken, Verwahrlosten, Verlassenen und Ausgestoßenen": So hatten sich Pfarrer Ludwig Eibach und einige Amtskollegen ihr Ziel formuliert, das sie im November 1850 zur Gründung des "Vereins für die Evangelische Kirche im Herzogtum Nassau" bewegte. Wer mitmachen wollte, hatte sein Möglichstes zu tun, für "leiblich und seelisch Bedrängte zu sorgen und diese zu stärken".
Heute, 175 Jahre später und unter dem Namen "EVIM - Evangelischer Verein für Innere Mission in Nassau", steht die Arbeit am und mit Menschen immer noch im Fokus der Institution. Dies verdeutliche auch das neue Motto - "MitMenschen" - und sei "genau unser Auftrag", sagt EVIM-Vorstandsvorsitzender Matthias Loyal dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Es entspricht auch dem biblischen Auftrag: Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst."
Mehr als 3.400 Mitarbeitende und rund 400 Freiwillige aus insgesamt 106 Nationen leisten an über 150 Standorten in den vier Bereichen Altenhilfe, Teilhabe, Jugendhilfe und Bildung in Hessen und Rheinland-Pfalz täglich soziale Arbeit. Alleine in den vergangenen zehn seiner 175 Jahre hat sich der Verein gemessen am Umsatz und der Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdoppelt. "Das ist anhand der Bedarfe so gekommen", sagt Loyal. In der Jugendhilfe und der Bildung habe es das größte Wachstum gegeben.
Bedarf an Hilfen für Kinder wächst
"Es ist leider so, dass der gesellschaftliche Bedarf an Hilfen für Kinder und Jugendliche immens gestiegen ist und immer noch weiter wächst. Das ist aus meiner Sicht das größte Alarmzeichen für unsere Gesellschaft", so Loyal, der betont: "Wir könnten uns nur an den Bedarfen gemessen nochmals verdoppeln." Städte wie Landkreise "laufen uns die Türen ein", es gebe eine hohe Nachfrage an Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen.
Die Zahl der Inobhutnahmen sei deutschlandweit von rund 38.000 im Jahr 2010 auf fast 75.000 im Jahr 2023 gestiegen, erläutert Klaus Friedrich, EVIM-Geschäftsführer im Bereich Jugendhilfe. Dass Kinder für ihr eigenes Wohl vorübergehend aus ihren Familien geholt werden müssen, beginne schon früh: "Von den Jugendämtern gibt es auch Anfragen zu Vier- oder Fünfjährigen, aber der große Teil ist im Grundschulbereich", sagt Friedrich.
Belastung in den Familien steigt spürbar
Die Belastung in den Familien steige spürbar, finanziell wie auch bei der Sorge um den Arbeitsplatz. Zunehmend mehr Eltern hätten außerdem mit psychischen Problemen zu kämpfen. "Der Druck, der immer wieder Ausgangspunkt von Kindeswohlgefährdungen ist, wird größer", sagt Friedrich. Von psychisch überlasteten Eltern, die ihren Alltag nicht mehr regeln können, über vernachlässigte Kinder und Haushalte, in denen Kinder in jungen Jahren die komplette Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen müssen, seien in der Jugendhilfe viele Problemfelder zu erleben.
"Wir haben auch immer mehr Kinder, die erst gar nicht mehr in die Schule gehen", so Friedrich. Auch deshalb habe EVIM schon in den Nullerjahren beschlossen, eine Schule zu eröffnen. "Unser allererstes Ziel muss es sein, dass alle Kinder einen Schulabschluss machen", betont Loyal. Auch in den anderen Bereichen des Vereins, wie der Altenhilfe, ist Bewegung. "Zwischen 30 und 40 Prozent der Pflegeheim-Bewohner versterben in ihrem ersten Jahr dort", erklärt Loyal, "weil die Seniorinnen und Senioren heute zum Glück länger zu Hause bleiben als noch vor einigen Jahren."
Das Thema Quartiersmanagement wird wichtiger. Beispielsweise Betreuer, die flink mit dem E-Bike von Klient zu Klient unterwegs sind, machen es möglich, dass Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Hinzu kommt der grassierende Fachkräftemangel, der in der Pflege am schwierigsten zu bewältigen sei: "In der Altenhilfe haben wir in den vergangenen drei Jahren von rund 1.150 Plätzen ungefähr 200 abgebaut, weil wir nicht die ausreichende Zahl an Mitarbeitern finden. Aber wir mussten keine Einrichtung schließen", sagt Loyal.
Stillstand oder gar eine Form der Altersmüdigkeit seien für das diakonische Unternehmen auch nach 175 Jahren keine Option, sagt der Vorstandsvorsitzende. Denn solange es Menschen gebe, die die Arbeit mit ihren Mitmenschen auch als Haltung tragen, "mache ich mir um die nächsten 175 Jahre keine Sorgen".