WM-Kritik an Brasiliens Präsidentin wird zum Eigentor

Foto: dpa/Sebastiao Moreira
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff beim Vorrunden-Spiel Brasilien gegen Kroatien.
WM-Kritik an Brasiliens Präsidentin wird zum Eigentor
Packende Spiele, begeisterte Fans, jede Menge Tore: Der Glanz der WM färbt auch auf die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff ab - entgegen allen Vorhersagen. Die Protestbewegung und die rechte Opposition geraten in die Defensive.
05.07.2014
epd
Andreas Behn

Dilma Rousseff kann aufatmen. Noch vor kurzem drohte die Fußball-WM für Brasilien und damit für die Präsidentin zu einem Fiasko zu werden. Gewaltsame Proteste, Mängel in der Organisation und Kritik von allen Seiten ließen Rousseffs Umfragewerte während der Vorbereitung stetig sinken. Doch nach drei Wochen packender Spiele ist die Stimmung im Gastgeberland prächtig, und die Kritiker sind verstummt.

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Die "Copa das Copas", also die beste WM aller Zeiten, hat Präsidentin Rousseff vorhergesagt. Was wie eine verzweifelte Durchhalteparole klang, hat sich zumindest auf dem Spielfeld bewahrheitet (auch wenn der Rasen oft zu wünschen lässt): jede Menge Tore, Außenseitersiege, begeisterte Fans in den Stadien und auf den Straßen. Die vielzitierten Probleme bei der Infrastruktur werden angesichts des Enthusiasmus' kaum noch wahrgenommen und beeinträchtigen das Fußballfest so gut wie gar nicht. Sogar die befürchtete Protestwelle blieb aus.

"Die Vorhersage, dass das Land zur WM im Chaos versinken würde, hat sich nicht bestätigt," erklärte die Anthropologin Rita de Cássia Oliveira von der katholischen Universität PUC in São Paulo. Der Beginn der Spiele und die vielen gut gelaunten Besucher aus dem Ausland seien wichtige Gründe für den Stimmungsumschwung. Die Kritik sei leiser geworden, "aber nur vorübergehend. Die Diskussion über die Missstände wird nach der WM weitergehen", zeigt sich Oliveira überzeugt.

Viel Ärger vor dem Anpfiff

Auch die WM-Kritiker, vor allem die starken sozialen Bewegungen gehen davon aus, dass die Proteste nur auf Eis liegen. Noch im Juni vergangenen Jahres waren Hunderttausende Menschen gegen die hohen Staatsausgaben und fehlende Investitionen in Gesundheit, Bildung sowie öffentlichen Nahverkehr auf die Straße gegangen.

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Heftige Streiks und Protestmärsche insbesondere der Obdachlosen hielten Brasilien in den Wochen vor dem Anpfiff in Atem. "Gegen die Fußballbegeisterung, aber auch gegen die martialisch auftretende Polizei ist schwer anzukommen," gibt Gustavo Mehl vom WM-kritischen Bürgerkomitee zu. Doch es sei ein großer Erfolg, dass die negativen Folgen solcher Sportveranstaltungen und die Fehler der Politik inzwischen von allen diskutiert würden.

Für die rechten Oppositionsparteien, die Anfang Oktober eine Wiederwahl Rousseffs verhindern wollen, ist die bislang erfolgreiche Weltmeisterschaft ein unerwarteter Rückschlag. Seit Beginn der Demonstrationen versuchten sie, den Unmut in der Bevölkerung einzig gegen die Präsidentin und deren Arbeiterpartei PT zu wenden. Auch die zumeist konservativen Massenmedien schrieben ein Scheitern des Turniers aufgrund des Missmanagements der Regierung geradezu herbei.

Kritik an der Präsidentin war ein Eigentor

Der Zweckpessimismus verleitete die beiden wichtigsten Oppositionskandidaten, die Pfiffe und unflätigen Buhrufe gegen Rousseff während der Eröffnungsfeier indirekt gutzuheißen. Sowohl Aécio Neves von der konservativen PSDB wie Eduardo Campos vom ehemaligen PT-Koalitionspartner PSB kommentierten, die "Präsidentin erntet, was sie gesät hat". Doch das Blatt hatte sich bereits zugunsten Rousseffs gewendet: Die Beschimpfung ihrer Staatschefin ging den Brasilianern entschieden zu weit - zumal deutlich wurde, dass es nur Mitglieder der reichen, weißen Oberschicht waren, die ihrem Groll gegen die als links verhasste Politikerin freien Lauf ließen.

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Mit ihrer gelassenen Reaktion nahm Rousseff das Heft wieder in die Hand: "Kinder und Familien sollten solche Schimpfworte nicht zu Ohren bekommen." Als sie wenig später offiziell zur Kandidatin der PT gekürt wurde, wies ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva bereits den Weg für den kommenden Wahlkampf. Die Hasskampagne und das Schlechtreden des eigenen Landes habe sich als Eigentor erwiesen, erklärte Lula. Und er verwies einmal mehr auf die sozialen Errungenschaften, die Brasilien in zwölf Jahren PT-Herrschaft zu einem aufstrebenden Schwellenland gemacht hätten.

Dennoch steht Rousseff ein harter Wahlkampf bevor. Zwar führt sie in Umfragen immer noch deutlich mit rund 40 Prozent. Doch Neves holt auf und liegt bereits knapp über 20 Prozent. Am Sonntag (6.7.) beginnt der offizielle Wahlkampf, und die Opposition wird die schwächelnde Wirtschaft und die hohe Inflation zum Thema machen. Viele bezweifeln, dass die von Rousseff versprochenen positiven Auswirkungen der WM spürbar werden. Bis dahin hofft die Präsidentin vor allem darauf, dass die Seleção den erträumten sechsten Titel nach Hause bringt.