Hering und Friedenspflaume: deutsche Gemeinden in Asien

Foto: Michael Lenz
Ein Höhepunkt des Auslandspfarrer-Treffens war der Besuch einer katholischen Kapelle in Pattaya, die im Stil eines buddhistischen Tempels gestaltet ist. Auch für Darstellung der Anbetung des Jesuskinds durch die Heiligen Drei Könige benutzte der Künstler die thailändische Bildersprache.
Hering und Friedenspflaume: deutsche Gemeinden in Asien
Gar nicht so einfach, eine deutschsprachige Gemeinde in Thailand, Indien, China oder Malaysia zu leiten. Die evangelischen Auslandspfarrerinnen und -pfarrer haben sich jetzt zu einem Erfahrungsaustausch in Pattaya (Thailand) getroffen.

"Toll, Heringsstipp mit Salzkartoffeln!" Annette Melhorn ist über das vielfältige deutsche Speisenangebot im Begegnungszentrum in Pattaya (Thailand) hellauf begeistert. Diese Leckerei aus der Heimat gibt es nicht in Shanghai, wo die Hessin seit gut einem halben Jahr als evangelische Pfarrerin der deutschsprachigen christlichen Gemeinde wirkt. In der Woche nach Ostern hat Annette Melhorn an der Regionalkonferenz der deutschen Pfarrerinnen und Pfarrer in Indien, China und Australien teilgenommen. Das Treffen endete in dem Begegnungszentrum in Pattaya, das von der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde Thailand getragen wird.

Für Claudia Ostarek (links) ist China eine "große Herausforderung". Das sorgt für ausreichend Gesprächsstoff mit Annette Melhorn (rechts), Pfarrerin in Shanghai.

Drei Tage lang hatten sich die 15 Pfarrer und Pfarrerinnen zuvor in Bangkok im Haus des Pfarrerehepaars Annegret Helmer und Ulrich Holste-Helmer über die Herausforderungen und Perspektiven, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer Arbeit im Ausland ausgetauscht. "Im Vordergrund stand die analytische und theologische Reflexion der unterschiedlichen Situationen", resümiert Claudia Ostarek, die zuständige Referentin der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), die Jahreskonferenz.

Eine Gemeinsamkeit besteht darin, dass die von der EKD entsandten Pfarrerinnen und Pfarrer oft in einem für Religionen schwierigen Umfeld arbeiten. Bangladesch, Malaysia und Indonesien zum Beispiel sind islamisch geprägt. Das kommunistische China steht Religionen sehr misstrauisch gegenüber. Indien ist der Geburtstort von Hinduismus, Jainismus und Buddhismus und hat zudem einen muslimischen und christlichen Bevölkerungsanteil. Die Religionsvielfalt des Subkontinents ist auch die Ursache für zunehmende interreligiöser Spannungen, die im laufenden Wahlkampf durch die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (BJP) noch angeheizt werden.

"Die Christen in Indien sind nervös", beschreibt Pfarrer Markus Lesinski aus Neu Delhi die aktuelle Lage. Der durch seine Arbeit in Ländern wie Russland und Ägypten krisenerprobte Theologe räumt jedoch ein, dass die deutschsprachige evangelische Gemeinde die politische Situation "aus der Distanz betrachtet". Lesinski sagt: "Wir treffen uns in sicheren Räumen. In Neu Delhi findet der Gottesdienst zum Beispiel im Konferenzraum der GIZ statt." Viele indische Christen aber hätten Angst vor einem Wahlsieg der BJP und ihres Spitzenkandidaten Modi. "Ich kenne eine Kirche in Neu Delhi, die direkt neben einem Hindutempel steht. Die Christen dort sind sehr darauf bedacht, alles zu unterlassen, was die Hindus provozieren könnte."

"Mushi She Kanghao" heißt "Pfarrer Karl-Heinz Schell"

Annette Melhorn und ihr Kollege Karl-Heinz Schell in Beijing arbeiten in einer Grauzone. "Alles, was mit Religion zu tun hat, ist in China schwierig", sagt Schell. Das hat er schon erfahren, bevor er überhaupt für die EKD nach China ging. Ein Jahr lang musste Schell in Deutschland auf sein Visum für die Volksrepublik warten. Ob Chinas bürokratischen Mühlen langsam mahlen, oder ob ein Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Dalai Lama der Grund für den langwierigen Visumsprozess war – man weiß es nicht. "Ich habe die Zeit genutzt, um chinesisch zu lernen", grinst Schell. Beim Sprachstudium am Landesspracheninstitut Bochum hat er auch seinen chinesischen Namen erhalten: Mushi She Kanghao. Mushi heißt Pfarrer, She bedeutet Opfer/Geben, Khang steht für Wohlstand und Hai für Meer. Gleichzeitig ähnelt der chinesische Name lautmalerisch Karl-Heinz Schell. Annette Melhorn ist in Shanghai auch bekannt als die Friedenspflaume oder Méi Anníng.

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Chinesische Namen und Sprachkenntnisse sind Türöffner in China. Hat man erstmal bürokratische Hürden genommen, wird es einfacher. "Im Chinesischen gibt es ein Sprichwort, das sagt, dass hinter einer Tür noch viele andere Türen sind", erzählt Schell. Will sagen, geht die eine nicht auf, versucht man es eben bei einer anderen. Auch wenn Melhorn und Schell neben ihren offiziellen Tätigkeiten als Lehrer an den deutschen Schulen nur 'nebenbei' als Pfarrer für die deutschsprachigen evangelischen Christen zuständig sind, gibt es auch offizielle Kontakte zu chinesischen evangelischen Gemeinden und zum Religionsministerium. "Wenn man es schafft, persönliches Vertrauen aufzubauen, öffnen sich viele Türen. Persönliche Beziehungen sind in China extrem wichtig", sagt Schell, der seit 2008 in China lebt.

Trotzdem ist die Arbeit als Pfarrer in China immer eine Gratwanderung. Melhorn erzählt von einer Chinesin, die plötzlich in ihren Gottesdiensten im Hamburghaus in Shanghai auftauchte. Chinesen in ausländischen Gottesdiensten, überhaupt alls was auch nur im Entferntesten an Missionierung erinnert, ist für die kommunistischen Machthaber ein rotes Tuch. "Sie war nicht einmal getauft", erinnert sich Melhorn. "Ich wusste nicht, was sie wollte, ob sie vielleicht gar von den Behörden geschickt war. Ich habe ihr eine chinesische Gemeinde empfohlen. Sie ist dann auch dorthin gegangen", erzählt Melhorn erleichtert.

Hohe Fluktuation in der Herde

In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong melden sich hingegen die örtlichen christlichen Kirchen lautstark auch zu politischen Themen zu Wort. Vor allem, wenn es um die Durchsetzung der Forderung der Hongkonger gegenüber den Herren in Beijing nach einem allgemeinen, freien Wahlrecht geht. Der für Juli geplanten großen Massenprotestaktion Occupy Central für das Wahlrecht hat auch das Hong Kong Christian Council (HKCC), der Dachverband der Protestanten und Anglikaner, seinen Segen gegeben. "Das ist das Schöne in Hongkong, dass Kirchen sich äußern können", sagt Hanns Hörschelman, Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde, die Mitglied im HKCC ist.

Mitglieder der Gemeinde Pattaya plaudern bei Heringsstipp und Mandarinensahne mit den versammelten Auslandspfarrinnen und -pfarrern über evangelisches Leben im Ausland.

In den asiatischen Großstädten bilden junge Expatfamilien die Basis der Gemeinden. In den australischen Metropolen hingegen sind Auswandererfamilien, oft schon in der zweiten oder dritten Generation, der Kern der Gemeinden. Das Pfarrerehepaar Helmer in Thailand zählt in Bangkok eher Expats und Diplomaten zu ihrer Herde, während es in Pattaya und Hua Hin deutsche Senioren sind. "Jede Gruppe hat andere Erwartungen an Pfarrer und Gemeinde", weiß Ulrich Holste-Helmer. Die Erwartungshaltung hängt vom Alter ab, aber auch von der Aufenthaltsdauer der Gemeindemitglieder im Gastland. Die Expats arbeiten meist nur für drei, vier Jahre für deutsche Unternehmen im Gastland, bevor sie nach Deutschland zurückkehren. Die hohe Fluktuation der Gemeindemitglieder macht die Arbeit schwierig, wie Schell weiß: "Ich hatte in sechs Jahren fünf Gemeinderatsvorsitzende."

Die Erwartungshaltung ist noch größer in jenen Städten und Regionen, in die die Pfarrer nur ein paarmal im Jahr reisen können. Die Helmers betreuen seelsorgerisch auch noch Laos und Kambodscha. Schell in Beijing ist für ganz Nordchina zuständig, Melhorn für Südchina. Lesinskis Gemeinde umfasst neben Neu Delhi auch Mumbai, Kalkutta plus Kathmandu in Nepal und Dhaka in Bangladesch. "Im islamischen Dhaka wünschen sich die deutschen Expatprotestanten, dass Gemeinde auch ein Ort des intellektuellen Austauschs ist", sagt Lesinski.

Posaunenchor und Kantorei

Die EKD leistet nur einen Zuschuss, der Löwenanteil des Gemeindebudgets – inklusive des Pfarrergehalts – muss über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert werden. Daran gewöhnen sich die Auslandsdeutschen nur schwer. "Die Auslandsgemeinden sind freikirchlich organisiert. Wie aber kann das mit Leuten funktionieren, die seit über 400 Jahren ein landesherrliches Kirchenregiment gewöhnt sind, das erst von den Fürsten und heute über die Kirchensteuer getragen ist?", fragt Helmer.

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Beispiel Konfirmandenunterricht: in Deutschland kostet der selbstverständlich nichts. Karl-Heinz Schell in Beijing nimmt dafür von Konfirmandeneltern, die nicht zahlende Gemeindemitglieder sind, eine Gebühr in Höhe des Jahresbeitrags von 750 Euro. "Mir ist klar, dass das theologisch grenzwertig ist. Aber wir müssen uns finanzieren", seufzt Schell.

Die Mittel der EKD für die Auslandsgemeinden sind knapp. Wie derzeit aus Kuala Lumpur in Malaysia, Goa in Indien oder chinesischen Metropolen, in denen große deutsche Autobauer Produktionsstätten errichtet haben, erreichen die EKD immer wieder Anfragen zur Gründung neuer Gemeinden. Trotz oder gar wegen der Herausforderungen hält die EKD an der Auslandsarbeit fest. "Es leben rund zwei Millionen Deutsche im Ausland. Diese Menschen zu verantwortlich zu begleiten und ihnen die Möglichkeit zu bieten, in vertrauter Sprache und Liturgie das Evangelium zu erfahren, ist eine der ältesten Aufgaben der EKD", betont Claudia Ostarek. Zudem seien die Auslandsgemeinden gleichzeitig "Brücken zwischen den Kulturen" wie auch Kulturträger. Dafür sind Projekte wie der Posaunenchor in Singapur, die Kantorei in Beijing oder eben das Begegnungszentrum in Pattaya mit Schweinebraten und Heringsstipp lebendige Zeugnisse.