Die Pietisten im Heiligen Land

In der israelischen Hafenstadt Haifa siedelten sich im 19. Jahrhundert württembergische Pietisten an – bis heute sind ihre Spuren in der "Deutschen Kolonie" sichtbar.
Foto: Thomas Becker
"Befiehl dem Herrn deine Wege": Deutsche Spuren in Haifa.
Die Pietisten im Heiligen Land
Württembergische Pietisten zogen im 19. Jahrhundert nach Haifa, um sich als das neue Volk Gottes auf die Wiederkunft Christi vorzubereiten. Ihre Spuren sind bis heute in der Stadt zu finden - und ihre Nachfahren auch.

Seine Frau meint, er sei wohl der letzte seiner Art. Vielleicht ist er es wirklich, so genau weiß das niemand in Haifa, Israels drittgrößter Stadt. Fest steht: Hans Meir, Jahrgang 1922, ist einer der wenigen Nachfahren der Templer – nicht zu verwechseln mit den Tempelrittern –, die in der Deutschen Kolonie in Haifa leben. Dass Hans Meir zuvor nicht aus Israel vertrieben wurde, verdankt er der Tatsache, dass er Schweizer ist, kein Deutscher.

In Haifa sind die Spuren württembergischer Pietisten noch immer sichtbar.

Es ist eine lange, verworrene Geschichte, voller missionarischem Eifer: Im 19. Jahrhundert zogen Pietisten, die sich von der evangelischen Kirche losgesagt und der "Tempelgesellschaft" angeschlossen hatten, aus Württemberg ins Heilige Land, um sich als das neue Volk Gottes auf die nahende Wiederkunft Christi vorzubereiten. Die Bewegung der Templer fand rund 3.000 Anhänger, auch aus der Schweiz und Nordamerika.

Ihre Spuren sind noch heute in sieben ehemaligen Templerkolonien in ganz Israel zu finden, etwa in Jerusalem, Tel Aviv – und eben in Haifa. Dort gründeten Christoph Hoffmann und Georg David Hadegg, die beiden Gründer der Gemeinschaft, im Jahr 1869 mit ihren Familien und einigen Anhängern die erste Templerkolonie in Palästina.

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Haifa war damals noch ein kleines, orientalisches Dorf, das sich durch die Neuankömmlinge rasch wandelte: Entlang der heutigen Ben-Gurion-Avenue bauten die Templer innerhalb weniger Jahre eine Siedlung mit zweigeschossigen Häusern und blumengeschmückten Vorgärten. Bis 1914 entstanden rund 150 Gebäude, eine deutsche Schule, Bäckereien, Hotels, etliche Handwerksbetriebe, eine Ölseifenfabrik und ein deutsches Konsulat.

Heute ist die Ben-Gurion-Allee eine Hauptschlagader der Stadt. In Restaurants und Bars pulsiert das Leben: Auf dem Speiseplan stehen aber weder Apfelstrudel noch Maultaschen, angeboten wird typisch israelisches-arabisches Essen: Falafel, Hummus, Couscous und Techina. Von den Veranden aus ist auch das Wahrzeichen der Stadt zu sehen, die sich am Ende der Ben-Gurion-Allee am Berg Karmel erhebt: Es sind die Hängenden Gärten der Bahai, einer Religionsgemeinschaft, die im 19. Jahrhundert im Iran gegründet wurde. Die Gärten beherbergen den Schrein des Bab, eines ihrer wichtigsten Heiligtümer.

Deutsche Bibelverse an Hauseingängen

Das sichtbare Erbe der Templer, von denen sich später einige wieder der evangelischen Kirche zuwandten, sieht dagegen bescheidener aus: An manchen Hauseingängen auf der Ben-Gurion-Allee sind noch Bibelverse in deutscher Sprache zu lesen: "Befiel dem Herrn seine Wege, und hoffe auf ihn; Er wirds wohl machen" steht etwa über der braunen Holztür, gleich neben der Hausnummer 61.

Hans und Esther Meier im Seniorenheim Eben Ezer.

Vor sieben Häusern rund um die Ben-Gurion-Allee wurden zudem Schrifttafeln angebracht, die auf den Beitrag der Templer auf die Stadtentwicklung hinweisen. Der gilt als enorm: Die Templer, darunter viele fleißige Schwaben, revolutionierten die Landwirtschaft, den Handel, den Wein- und Städtebau und bauten die ersten befestigten Straßen, um die Küstenregion mit Jerusalem im Innern des Landes zu verbinden.

Auch Hans Meir, ein gelernter Elektriker, hatte seinen Anteil daran. Er kann sich nicht mehr an alles so genau erinnern. Mit seinen 92 Jahren leben er und seine Frau heute im christlichen Seniorenheim Eben Ezer, genau dort, wo in den 1920er Jahren ein Kindergarten stand, den er besuchte – mitten in der Deutschen Kolonie.

"Nach dem Ersten Weltkrieg fiel Palästina unter britisches Mandat", erzählt Esther Meir, 77, und schaut zu ihrem Mann. "Die Briten haben viele Nachfahren der Templer aus den Häusern rund um die Ben-Gurion-Allee vertrieben, auch die Großeltern meines Mannes." Die gesamte Familie zog 1930 wie viele andere Deutsche in die Kolonie nach Waldheim, ins heutige Alonei Abba, in die Nähe von Nazareth.

Hakenkreuze in Haifa

Ein anderer Teil der Templer blieb in Haifa und durfte später in ihre Häuser rund um die Ben-Gurion-Allee zurückkehren. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten traten einige der Templer in die NSDAP ein und schwenkten Hakenkreuzfahnen auf offener Straße. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die meisten deutschen Templer und Nichtjuden deswegen in ihren Kolonien auf dem Land interniert, ins Deutsche Reich ausgewiesen oder nach Australien deportiert. 1948, kurz vor der Staatsgründung Israels, verwiesen die Engländer die noch verbliebenen Deutschen aus dem Land.

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Geforscht hat darüber vor allem der aus Berlin stammende und mittlerweile verstorbene israelische Historiker Alex Carmel. Seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass die Deutsche Kolonie in Haifa unter Denkmalschutz gestellt und in den vergangenen Jahren aufwendig renoviert wurde.

Hans Meir, als Schweizer, durfte bleiben. Lange lebte er mit seiner Frau auf dem Berg Karmel, von wo aus er eine gute Sicht auf die "Moshava Germanit" hatte, die Deutsche Kolonie. Dort lebt er nun seit einiger Zeit wieder - als einer der letzten Zeitzeugen des zwiespältigen Erbes von Templer- und Deutschtum im Heiligen Land.