Nachrichten im Echtzeit-Strom

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Nachrichten im Echtzeit-Strom
Was auf der Welt passiert, erfahren junge Menschen heute eher aus sozialen Netzwerken als aus Zeitung und Fernsehen. Die Beiträge stammen von Usern selbst und sind deshalb keine "Nachrichten" im journalistischen Sinne. Wie sollen Journalisten mit der Entwicklung umgehen und was können sie von sozialen Medien lernen? Eine Diskussion beim MainzerMedienDisput in Berlin.

Das Ergebnis der neuen Untersuchung zum Informationsgehalt öffentlich-rechtlicher Fernsehprogramme ist ernüchternd. Im Auftrag der gewerkschaftsnahen (IG Metall) Otto Brenner Stiftung hat der Medienwissenschaftler Joachim Trebbe von der Berliner FU die Dritten Programme von SWR und NDR untersucht. Gerade einmal 10-13 Prozent der Berichte widmen sich kontroversen und politischen Themen.

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Ähnlich der Ausrichtung im privaten Fernsehen dominieren Sendungen zu Traditionen, Brauchtum, Heimat, kurz gesagt eben alles rund um Garten, Kochen oder Tiere. Daneben werden so genannte Human-Touch-Themen auffallend oft bearbeitet. Dabei werden in erster Linie emotional berührende Geschichten erzählt, ohne dem Zuschauer einen echten Informationsgewinn zu liefern.

Kein Wunder also, dass das klassische Fernsehen immer weniger als erste Informationsquelle genutzt wird. Vor allem junge Menschen vertrauen eher sozialen Netzwerken wie Facebook, auf denen Nachrichten aus der eigenen Altersgruppe quasi in Echtzeit zu haben sind.

Cherno Jobatey will Nachrichten und Boulevard mischen

"Aber Vorsicht! Bei Twitter geht es nicht um journalistische Inhalte, sondern 99 Prozent der Tweets stammen von Kumpeln und Verwandten. Hier ist der User der Publizist. Twitter ist kein Nachrichtenkanal, in dem Journalisten Inhalte erst filtern", erklärt Trebbe jetzt beim Mainzer Medien-Disput in der Berliner Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz.

Vor allem müsse man auf die ansprechende Darreichungsform von Informationen setzen, meint der frühere Morgenmagazin-Moderator Cherno Jobatey, der heute Editorial Director bei der deutschsprachigen Huffington Post ist. Es reiche längst nicht mehr aus, einfach nur Nachrichten zu produzieren, sondern man müsse sie auch an den oder die Jugendliche bringen. Der Medien-Kunde von heute komme eben auf Grund von Tipps und Empfehlungen in den sozialen Netzwerken. Also brauche man Aufmerksamkeitssteigerungen, Eyecatcher, Prominenz, eine Mischung aus Seriosität und Boulevard.

"Die Sender funken an zwei Generationen vorbei. Nur zwei Prozent junge Leute gucken noch öffentlich-rechtliches Fernsehen. Die alte Gerhard-Schröder-Gleichung, um alle Leute zu erreichen, brauche man nur Bild, BamS und Glotze, funktioniert heute nicht mehr. Aber wenn wir Miley Cyrus in unsere Nachrichten einbauen, dann gehen die Klicks sofort nach oben", schwärmt Jobatey.

Twitter als Ideenquelle für Nachrichten

Doch da sei der gute Journalismus davor, wehrt sich der Erste Chefredakteur bei ARD aktuell, Kai Gniffke. Tagesschau und Tagesthemen würden sich auch in Zukunft nicht auf das Niveau der Regenbogenpresse hinab begeben. "Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir Sylvie van der Vaart in die 20-Uhr-Nachrichten nehmen würden. Wir machen keine Gutelauneparty", verspricht der ARD-Newsmann.

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Aber das bedeute nicht, dass sein Medium nicht auf alle verfügbaren Nachrichtenkanäle zurückgreifen würde. Nur müsse etwa jedes vermeintlich aufsehenerregende und informative Youtube-Material erst auf seinen Echtheitsgehalt überprüft werden. "Diese Gegenprüfung ist eine Scheißarbeit! Bei jedem Video ist es ein kleiner Indizienprozess, ob es authentisch ist oder nicht", stöhnt Gniffke. Aber es komme eben nicht auf Schnelligkeit an, sondern auf seriöse Inhalte. Lieber warte man eine Sendung ab, als falsche Informationen vorschnell in die Öffentlichkeit zu transportieren.

SWR-Chefredakteur Fritz Frey nutzt durchaus auch Twitter, aber nicht etwa, um die dort ständig versandten Tweets ungefiltert weiterzumelden und so kostengünstig Programm und Online-Content zu füllen. Twitter ist für ihn eine Quelle, um eventuell auf neue Themen zu stoßen, zu denen seine Redakteure und Reporter weiter recherchieren können. Was bei Twitter einen hohen Gesprächswert hat, kann durchaus bald zu einer Nachricht werden. "Übrigens gibt es auch Jugendliche, für die ist Ulrich Deppendorf Kult", unterstreicht Frey die Relevanz öffentlich-rechtlicher Sender auch für die jüngere Generation.

Mitmach-Aufgabe: Die Afrikakarte auf taz.de

Es bleibe aber dabei: Die Nachrichtensendungen würden immer eine hochseriöse und sturztrockene Angelegenheit bleiben, meint Frey. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Das US-Nachrichtenportal Buzzfeed etwa mischt recht erfolgreich journalistisch anspruchsvolle Texte mit boulevardesken Themen oder Ratgeber-Tipps. Die 25 besten Rezepte zu Thanksgiving neben Nachrichten zu Obamas aktueller Iranpolitik müssen kein Widerspruch sein.

Bei der Online-Ausgabe der taz setzt man neben der Qualität der Informationen auch auf Originalität und Phantasie. Es gab zum Beispiel einen Bericht darüber, dass US-Schüler die Europa-Karte mit Ländernamen versehen und die jeweiligen Hauptstädte richtig eintragen sollten. Die meisten amerikanischen Jugendlichen sind an dieser Aufgabe grandios gescheitert.

Doch anstatt sich über die mangelnde Allgemeinbildung jenseits des Atlantiks lustig zu machen, stellte die Redaktion eine Afrika-Karte ins Netz und forderte die User auf, nun dort die gleiche Aufgabe zu bewältigen. Es war kaum verwunderlich, dass die deutschen Bildungsbürger und Mediennutzer an dieser geopolitischen Aufgabe genauso scheiterten.