Asiatisches Dilemma: Religionen, Sexualität und Aidsprävention

Foto: Michael Lenz
Auf dem 11. Internationalen Kongress über Aids in Asien und im Pazifik: Proteste im Rotlichtviertel Bangkoks.
Asiatisches Dilemma: Religionen, Sexualität und Aidsprävention
Für ein paar Abendstunden wich am 19. November das schummerige Rotlicht der Soi Cowboy-Straße in Bangkok dem gleißenden Rot der Aids-Schleife. Der 11. International Congress on Aids in Asia and Pacific (ICAAP) hatte die Amüsiergasse mit Bars und Bordellen als Schauplatz des Eröffnungsempfangs ausgesucht. Ein Zeichen sollte gesetzt werden, um Aufmerksamkeit für das Manko der Aidsprävention in Asien zu erzeugen: Aufklärung für sexuelle Minderheiten.

Aidsaufklärung für Schwule, Transsexuelle, Sexworker und Drogenkonsumenten sollte nach über dreißig Jahren Aids Routine sein. Dass dem in Asien nicht so ist, zeigt der UNAIDS-Bericht über die Aidssituation in Asien. Steve Kraus, Direktor der Aidshilfe der Vereinten Nationen (UNAIDS) für die asiatisch-pazifische Region, spricht sowohl von "bemerkenswerten Fortschritten" als auch von "ebenso bemerkenswerten Rückschlägen".

Seit 2001 ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in der asiatisch-pazifischen Region um durchschnittlich 50 Prozent zurückgegangen. In besonders gefährdeten Gruppen wie den "Männer, die mit Männern Sex haben" (MSM) hingegen steigen die HIV-Neuinfektionen seit einigen Jahren wieder um 15 bis 25 Prozent. Kraus kritisiert: "Von den 2,2 Milliarden US-Dollar, die in der Region 2012 zur Aidsbekämpfung zur Verfügung standen, sind nur 8,8 Prozent für sexuelle Minderheiten ausgegeben worden." Insgesamt sind 4,5 Millionen Menschen in Asien mit HIV infiziert.

"Religionen tun sich schwer im Umgang mit Sexualität"

Gesellschaftliche und religiöse Tabus verhindern in den konservativen asiatisch-pazifischen Ländern eine breite Aidsprävention für Minderheiten. "Religionen tun sich schwer im Umgang mit Sexualität", sagt Sanan Wutti. Wie schwer, das weiß der Thailänder aus dreifacher Erfahrung: als protestantischer Priester, als Direktor der Aidsseelsorge der Church of Thailand und als eine treibende Kraft im Asian Interfaith Network on Aids (AINA).

###mehr-artikel###Das von Norwegian Church Aid und dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria  unterstützte interreligiöse Netzwerk aus Christen, Buddhisten und Muslimen wurde 2004 bei der Internationalen Aidskonferenz in Bangkok aus der Taufe gehoben und kämpft seitdem an vielen Fronten um Anerkennung und Akzeptanz. Von Religionen diskriminierte Minderheiten stehen den religiösen Aidshelfen skeptisch bis ablehnend gegenüber und Bischöfe und Führer anderer Religionen mieden lange das Thema Aids. Es bedurfte eines langen Atems, UNAIDS von der Bedeutung der Religionen als Partner im Kampf gegen Aids zu überzeugen. "Die Situation hat sich seit 2004 verbessert, aber nicht so schnell und so nachhaltig, wie wir uns das gewünscht hätten", sagt Sanan Wutti. Aber immerhin gebe es innerhalb der Religionen mittlerweile ein "besseres Verständnis von Aids".

Ehrgeiziges Ziel

Auf der ICAAP präsentierten sich AINA mit einem gemeinsamen Stand. In trauter Einigkeit standen christliche Priester, buddhistische Mönche und muslimische Kleriker zu Gesprächen zur Verfügung. Am Tag vor der ICAAP-Eröffnung hatten sie auf einer Vorkonferenz die "Deklaration von Bangkok" verabschiedet. Darin bekennte sich das Netzwerk zum Ziel der "dreifachen Null" der ICAAP: Null Neuinfektionen, Null Aidstote und Null Diskriminierung. "Weil wir die Macht des Glaubens in Asien verstehen und hochhalten, haben wir als religiöse Führungspersönlichkeiten die Fähigkeit, Makler des Wandels zu sein und infizierten oder betroffenen Gruppen Hilfe und Unterstützung zu bieten", betonen die Religionen in dem Dokument. Darüberhinaus wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die religiösen Lehren auf "innovative Weise" zu interpretieren, um für "aktuelle Herausforderungen und Realitäten gewappnet zu sein".

Die religiösen Aidshilfen arbeiten in einer Grauzone innerhalb der Strukturen ihrer Religionen. Irgendwie haben sie den Segen ihrer Oberen, aber die sind auch froh, jemand für dieses unangenehme Thema zu haben, ohne sich selbst damit allzusehr befassen zu müssen. "Einzelne Moscheen stehen dem Thema Aids offen gegenüber. Sie nehmen Aidskranke auf, die von ihren Familien verstoßen wurden", sagt Apinya Jaelee, 47, Koordinatorin des muslimischen Aidsnetzwerks in Thailand. "Manche Moscheen lassen uns auch in Gemeindezentren und Schulen, um über Aids und Safer Sex zu sprechen. Aber in der breiten muslimischen Öffentlichkeit ist das Thema noch Tabu." Allerdings sei es "schwierig", über Homosexualität, Transsexualität und Prostitution zu sprechen. Aber es gebe auch immer wieder Zeichen der Toleranz. "Transsexuelle dürfen im Frauenbereich der Moscheen beten", sagt die geschiedene Mutter eines dreizehnjährigen Sohns.

Aidshilfe im Tempel

Im buddhistischen Tempel Asokarama in Okkalapa am Rande der birmanischen Metropole Rangun ist Sexualität kein Tabuthema. "Wir klären junge Leute über HIV, Sexualität und Möglichkeiten des Schutzes vor einer Infektion mit HIV und Geschlechtskrankheiten auf", erzählt der Mönch Jadila. Sein Kloster sei seit 2005 in der Aidshilfe aktiv. "Wir betreuen Aidskranke. Aber wir sind auch eine Herberge für HIV-Positive aus der Provinz, die nach Rangun kommen, um sich untersuchen zu lassen und ihre Medikamente zu bekommen. Die sind meist zu arm, um sich ein Hotel leisten zu können."

In Pakistan kann Aidshilfe und das Eintreten für die Rechte sexueller Minderheiten lebensgefährlich sein. Die pakistanischen Taliban bedrohen jeden mit Gewalt, der sich nicht ihrer Sichtweise des Islams beugt. "Wir arbeiten unsichtbar", sagt Bushra Rani, Mitarbeiterin  der NAZ Male Health Alliance in Lahore. Das aber ziemlich erfolgreich. Immerhin sind laut eigenen Angaben 35 000 sogenannte MSM (Männer, die mit Männern Sex haben) bei NAZ registriert. "Die meisten sind Arme aus den unteren Schichten, die sich ihren Lebensunterhalt als Stricher verdienen", sagt Bushra Rani. Dann fügt die Tochter eines Khalifen der in Pakistan von den Taliban verfolgten islamischen Sufis mit einem leisen Lächeln hinzu. "Auf diesem Weg haben wir auch Kontakt zu islamischen Klerikern, von denen so manche Kunden von Strichern sind. Wenn sie Probleme haben, kommen sie zu uns."

Razzien im Rotlichtmilieu

Eine Vielzahl von weltlichen Gesetzen gegen Homosexuelle, gegen Sexarbeiter und Drogenkonsumenten behindern oder verhindern gar zusätzlich die Aidsprävention für sexuelle Minderheiten. In 18 Ländern dieser Region ist beispielsweise Homosexualität verboten. Bei Razzien im Rotlichtmilieu wertet die Polizei den Besitz von Kondomen oft als "Beweis" für Prostitution. "Das Ziel der dreifachen Null können wir nur erreichen, wenn Diskriminierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung von Minderheiten wie Homosexuellen, Transsexuellen und Prostituierten abgebaut werden", betont UNAIDS-Experte Kraus.

Kronzeuge für diese These ist Fidschi. Der kleine, sehr christliche Südseestaat verzeichnet neuerdings Erfolge bei der Aidsprävention, nachdem 2010 Gesetze, die sexuelle Minderheiten diskriminieren, abgeschafft wurden. Epeli Nailatikau, Präsident von Fidschi, verrät gerne das Patentrezept: politischer Wille und Beharrlichkeit. Schmunzelnd erzählt der mit einer Katholikin verheiratete Methodist: "Anfangs wollten die Kirchen davon nichts wissen und haben gemauert. Sie wollten nicht mal mit uns darüber reden. Aber wir haben nicht aufgehört, das Gespräch mit ihnen zu suchen. Jetzt unterstützen sie uns."

AINA hat auf der ICAAP mit dem Start einer Zusammenarbeit mit der homosexuell geprägten "Asiatisch-pazifischen Koalition für die sexuelle Gesundheit von Männern" (APCOM) Neuland betreten. AINA-Präsident Rungrote Tangsurakit, ein Katholik, betont: "Es gibt Gemeinsamkeiten, aber wir haben auch unterschiedliche Werte. Wir werden sehen, wohin uns der Dialog führt." Roy Wadia, Vizepräsident von APCOM ist froh, dass beide Seiten ihre gegenseitigen Berührungsängste überwunden haben: "Ich freue mich, dass die Debatte um die Themen Sexualität und Religion Schwung bekommt."