TV-Tipp des Tages: "Tatort: Angezählt"

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TV-Tipp des Tages: "Tatort: Angezählt"
TV-Tipp des Tages: "Tatort: Angezählt", 15. September, 20.15 Uhr, ARD
Im Gegensatz zu den Sonntagskrimis aus der Schweiz ist der "Tatort" aus Österreich immer für eine Überraschung gut. "Angezählt" setzt auf die Intensität des Spiels zwischen seinen Figuren im Milieu der Wiener Zwangsprostitution.

Mal sind die Filme ungewöhnlich leichenreich ("Kein Entkommen"), mal geht es um eine rechtsnationale Verschwörung ("Zwischen den Fronten"). Sehenswert aber, ein weiterer Unterschied zu den eidgenössischen Beiträgen, sind sie immer, meist aufwändig produziert und stets ausgezeichnet gespielt. "Angezählt" aber ist anders, wenn auch nicht in qualitativer Hinsicht: Die Inszenierung verzichtet völlig auf Action- oder Spannungselemente und setzt statt dessen ganz auf die Intensität, die sich zwischen den Figuren entwickelt.

Ähnlich wie in früheren Krimis geht es wieder um eine konkrete Einwandergruppe: Nach Chinesen und Serben sind nun die Bulgaren an der Reihe.
Hauptfigur der psychologisch ausgesprochen reizvollen Handlung (Buch: Martin Ambrosch) sind diesmal Moritz Eisners Partnerin Bibi Fellner (Adele Neuhaus) sowie ein kleiner Junge, der zu Beginn des Films ein furchtbares Verbrechen begeht: Er bespritzt eine rauchende Frau mit Benzin. Prompt geht ihre Kleidung in Flammen auf, kurz drauf stirbt sie an den Verbrennungen. Lässt man mal die Frage beiseite, ob sich das Benzin tatsächlich umgehend entzünden würde, ist die Tat natürlich ungeheuerlich. Der Junge ist erst zwölf und daher nicht strafmündig, wie ein Zettel dokumentiert, den er Eisner (Harald Krassnitzer) in die Hand drückt: "Darf nicht strafen" steht drauf. Um so schockierter reagiert Kollegin Fellner, als sie die Identität des Opfers erfährt: Es handelt sich um eine frühere Zwangsprostituierte, deren Aussage dazu führte, dass der bulgarische Zuhälter Aziz ins Gefängnis musste. Da der Mann mittlerweile wieder auf freiem Fuß ist, wissen die Wiener Ermittler, wer für den Mord verantwortlich ist; aber Beweise haben sie nicht.

Psychoduelle statt Action

Abgesehen von zwei körperlich geführten Zweikämpfen beschränkt sich Regisseurin Sabine Derflinger weitgehend auf Psychoduelle, die ausgesprochen glaubwürdig gespielt sind. Muruthan Muslu, zuletzt schon in einem "Polizeiruf" aus München bemerkenswert ("Der Tod macht Engel aus uns allen"), versieht den Verbrecher mit einem eindrucksvollen körperlichen Charisma, und sein Mann fürs Grobe (Zafer Gözütok) ist ein Exemplar von seltener Vierschrötigkeit. Während Eisner auf die Provokationen der Gangster mit beinahe übermenschlicher Gelassenheit reagiert, rastet Fellner aus, zumal sie sich die Schuld am Tod der Frau gibt.

Ausgezeichnet geführt ist auch der Junge (Abdul Kadir Tuncel), den das Ermittler-Duo nicht als Täter, sondern als Opfer sieht. Dass sich Fellner besonders zu ihm hingezogen fühlt, wird mit einem psychologischen Überbau erklärt, der zunächst allerdings wie ein Fremdkörper wirkt: Eisners Kollegin erzählt einer Analytikerin in mehreren Sitzungen von ihrer eigenen Kindheit.

Der Film ist ohnehin recht dialogreich, zumal ebenfalls Fellner gleich mehrere engagierte Plädoyers gegen die herrschende Doppelmoral hält: Jeder wisse von der Zwangsprostitution, aber niemand unternehme was, weil die Honoratioren zum Teil selbst zur Kundschaft gehörten. Auch Eisner muss seiner Empörung Ausdruck verleihen und ausgerechnet seinem Vorgesetzten entsprechende Statistiken runterbeten. Kein Wunder, dass die wortlosen Szenen ungleich eindrucksvoller sind; gerade Krassnitzers Blicke sagen mehr als alle Monologe.