"Solange wir Olivenbäume haben, fürchten wir nichts"

Foto: Petra Jacob
Palästinensische Bauernfamilie mit frischer Ernte.
"Solange wir Olivenbäume haben, fürchten wir nichts"
Die palästinensische Olivenernte ist zu einem Akt des Widerstands gegen die israelische Besatzungspolitik geworden. Auch deutsche Aktivisten helfen dabei mit.

Im Westjordanland ist die Olivenernte zu Ende gegangen. Sie ist seit Generationen ein sozialer Höhepunkt in den palästinensischen Bauerndörfern. Neben viel Arbeit, hat sie auch immer viel Freude gebracht. Vor dem Winter reiche Ernte einfahren, das wurde mit Gesängen und Feiern zelebriert. "Das Singen ist uns vergangen", gesteht Achmed Shiha*, der Schulleiter von Burin, eines der Dörfer im Norden des Westjordanlandes, die umzingelt sind von israelischen Siedlungen.

Abeds Dorf Burin liegt eingebettet zwischen zwei Bergketten. Auf den Bergen zur einen Seite befindet sich die israelische Siedlung Yitzhar, auf den Bergen zur anderen Seite Bracha, beide sind mit Stacheldrahtzäunen und  Wachttürmen versehen. Diese Siedlungen wurden Anfang der Achtziger Jahren – fast 25 Kilometer hinter der Grünen Linie - mitten ins Palästinensergebiet gebaut. Israelische Ortschaften wie diese tragen dazu bei, dass das palästinensische Land sich über die Jahre in einen verwirrenden Fleckenteppich verwandelt hat und zur Quelle von politisch motivierter Gewalt geworden ist.

Olivenernte in Palästina.

Die meisten der 30.000 Olivenbäume, die Abed pflegt, gehören Bauern, die sich aus Angst vor israelischen Übergriffen nicht mehr auf ihre Felder trauen oder im Ausland leben müssen, weil sie aufgrund israelischer Gesetzgebung kein Anrecht mehr haben ins Westjordanland zurückzukehren. Über die letzten Jahre haben viele palästinensische Dörfer die Unterstützung von ausländischen Aktivisten in Anspruch genommen. Diese helfen ihnen bei der Ernte und sollen sie vor Übergriffen schützen. Und sie sollen zu Hause erzählen, was sie erlebt haben.

"Die Realität sieht anders aus"

"Als Besatzungsmacht muss Israel nach internationalem Recht seine Pflicht wahrnehmen und palästinensische Zivilisten und deren Eigentum schützen", schreibt das UN-Büro für Humanitär Hilfe (OCHA) in einem Bericht. "Es muss den sicheren Zugang von Bauern zu ihren Feldern das ganze Jahr über garantieren und jene zur Rechenschaft ziehen, die für Angriffe verantwortlich sind." heißt es dort weiter. Die Realität sähe anders aus, meint Abed.

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Das Westjordanland ist aufgrund des Osloer Abkommens von 1993 in drei Zonen aufgeteilt. Das Dorf Burin z.B. liegt in Zone A. Hier hat die palästinensische Autonomiebehörde die Kontrolle über Ziviles und Sicherheit inne. Die Felder um Burin herum liegen in Zone B, hier ist die Palästinensische Autonomiebehörde für zivile Angelegenheiten zuständig, die Israelis sind  für Sicherheitsangelegenheiten zuständig. Die Zone C,  die israelischen Siedlungen Yitzhar und Burin und deren Zugangsstraßen liegen dort, wird völlig von Israel kontrolliert.

Abed erzählt aber, dass "jedes Stück Land von heute auf morgen von Israel zur Sicherheitszone erklärt werden kann ".  Olivenhaine, die an die israelischen Siedlungen grenzen, sind besonders davon betroffen. Israel vergrößert seine Siedlungen und braucht eine Schutzzone.  "Dann brauchen wir eine Genehmigung um auf unsere Felder zu kommen. Jedes Jahr zur Erntezeit bekommen wir für einige Tage eine Pflückerlaubnis. Dann muss die Ernte eingeholt werden, egal wie das Wetter ist oder der Zustand der Früchte." 

Ausländische Unterstützung

Es ist sechs Uhr morgens und die Sonne blinzelt durch die Fenster des Matratzenlagers im dritten Stock eines lehmverputzten Hauses im Nachbardorf Madama. Verschlafene Gestalten schlürfen über die verkachelten Böden. Sie stellen einen Topf mit Wasser auf, kochen Kaffee und putzen sich die Zähne. Eine der Frauen brutzelt Spiegeleier. Eine andere wendet Fladenbrot im heißen Olivenöl. Ein Mann mit gelocktem Haar stellt Bergthymian und Sesam auf den Tisch. Anschließend sitzen alle um den Tisch und tauchen das heiße Brot in die Gewürzmischung und lassen es sich schmecken. Kurze Besprechung, wer heute auf welchem Olivenfeld mitarbeitet. Am Horizont kriecht langsam die Sonne hoch.

###mehr-artikel###Es werden Äpfel, Guaven und Bananen in die Proviantsäcke gepackt, die Bergstiefel geschnürt und am öffentlichen Wasserhahn hinter dem Haus noch schnell die Flaschen mit Trinkwasser gefüllt. Dann zieht die internationale Erntetruppe los. Ihre Teilnehmer diesmal aus Deutschland, England und Irland ins Westjordanland gekommen, um sich mit den palästinensischen Olivenbauern zu solidarisieren. Auf dem Marsch durch das Dorf werden sie überall überschwänglich willkommen geheißen. Jedem ist klar, warum diese Europäer in verstaubten Klamotten in ihrem Dorf unterwegs sind. Und sie freuen sich sehr darüber, "von der Welt nicht vergessen zu werden", so Julie O'Connor* aus dem Ernteteam.

Beschwerlicher Aufstieg

Über staubige Feldwege geht es diesmal hoch hinauf zu den terrassierten Olivenhainen von Familie Fahrhat*. Beschwerlich ist der Aufstieg über jahrhundertealte, errichtete Steinwälle. Die Felder der Familie liegen direkt unterhalb der israelischen Siedlung Yitzhar und Vater Yasser blickt den ganzen Tag den Berg hoch, dorthin wo der Zaun verläuft und wo die Wachtürme der Siedlung stehen. "Heute ist Shabbat, da arbeiten die Siedler nicht und dann sind sie öfters auf den Berghängen unterwegs", weiß er aus Erfahrung.

Internationale Erntehelfer in Palästina. Foto: Petra Jacob

Unter Anspannung pflückt das internationale Team mit ihm und seiner Familie. Es ist früher Nachmittag als Yasser plötzlich zusammenzuckt. Vier junge Männer mit Kipas auf dem Kopf und Schläfenlocken tauchen auf zweihundert Meter Luftlinie über ihnen auf. Sie schlendern eine Weile den Berghang entlang – den Blick unentwegt auf die Bauernfamilie gerichtet. Über ihren Schultern hängen Maschinengewehre. "Sie wollen uns einschüchtern", nuschelt Yasser. Dreißig Minuten später sind sie verschwunden. "Hamdi-li-la - Gott sei Dank", seien sie heute nicht heruntergekommen, atmet Yasser auf. "Und dank euch". 

"Unsere Anwesenheit schreckt israelische Siedler oft ab, auf die Felder zu kommen", weiß Julie aus Erfahrung. Seit nunmehr zehn Jahren kommt sie zur Olivenernte angereist. "Dank uns können Angriffe von Siedlern auf Palästinenser vermieden werden und wir können über Vorfälle berichten und Informationen an die zuständigen Stellen weiterleiten". Auch eine andere Teilnehmerin berichtet: "Unsere Präsenz macht aber auch Druck auf die israelische Armee und Polizei, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen“.

Jetzt findet Yasser endlich auch die Ruhe ein Feuerchen zu schüren. Er setzt den rußgeschwärzten Teekessel in die Flammen, lässt ein paar frisch gepflückte Bergsalbeiblättchen in das brodelnde Wasser fallen und schüttet reichlich Zucker dazu. Sumaya entfaltet eine Plastikplane. Auf Papptellern verteilt sie Kichererbsenbrei, gekochte Eier, frische Tomaten, knackige Gurken und Bohnenmuss. Die Erntetruppe setzt sich auf den steinigen Boden. Anstatt Besteck nimmt jeder die Fladenbrote in die Hand und taucht es in die Soßen. Palästinensische Gastfreundschaft vom Feinsten.  "Für einen Palästinenser wäre es eine Schande, uns ohne Bewirtung von dannen zu schicken", weiß Julie.

Alle halten an

Der Fußmarsch zurück zur Unterkunft wird wieder begleitet von großer Resonanz. Autofahrer halten, weil sie  die Erntehelfer unbedingt ein Stück mitnehmen und mit ihnen reden möchten. Menschen unterbrechen die Arbeit für ein Gespräch und laden zum Tee ins Haus ein. Der Metzger schenkt der Gruppe ein frisch geschlachtetes Hähnchen, der Falafel-Verkäufer Kichererbsenbälle, der Eiskrem-Verkäufer gibt eine Rund Eiskrem aus. "Freundlichkeit und Großzügigkeit Fremden gegenüber ist für Palästinenser eine Ehre", merkt Julie an.

Abends auf der flachen Terrasse, mit Blick auf das Dorf, finden sich Nachbarn und Freunde ein. Sie bringen im häuslichen Lehmofen frisch gebackene Fladenbrote und Pizzen vorbei, selbst angesetzten Joghurt, selbst gebackene Dattelkekse, Eier und Gemüse, in ausgedienten Colaflaschen abgefülltes Olivenöl, selbst hergestellte Olivenseife und eingelegte Oliven. Es flattern Abendesseneinladungen von Familien ins Haus, auf dessen Feldern die Gruppe die Tage vorher gepflückt hatte. 

Olivenanbau ist überlebenswichtig geworden

"Die Palästinenser schämen sich, nicht großzügiger sein zu können", weiß Julie. "Ich sehe wie es den Familien jedes Jahr schlechter geht." Die Einkommen seien zurückgegangen. Ein Viertel aller Menschen im Westjordanland sind offiziell arbeitslos. In den letzten Jahren ist der Olivenanbau für viele palästinensische Familien überlebenswichtig geworden.

Im Westjordanland sind dreiviertel aller Bäume Olivenbäume, fast jede Familie hat zumindest einige. Und darüber sind die palästinensischen Bauern sehr froh. Denn so können sie zumindest Olivenöl für den Eigenbedarf und etwas für den Verkauf pressen und für die kargen Wintermonate einige Kilogramm Oliven in Salzlake einlegen. "Solange wir Olivenbäume haben, brauchen wir nichts zu fürchten" heißt ein palästinensisches Sprichwort.

* Namen von der Redaktion geändert.