Gemeinsam singen im Krankenhaus

Singleiterin Alexandra Köhler mit ihrem Singkreis  im St.-Laurentius-Stift Waltrop
epd-Bild/Michael Ruffert
Singleiterin Alexandra Koehler mit ihrem Singkreis im St.-Laurentius-Stift im westfaelischen Waltrop.
Musik und Heilung
Gemeinsam singen im Krankenhaus
Gemeinsames Singen macht nicht nur Spaß, es unterstützt auch die Heilungskräfte. Das nutzen Singkreise in Kliniken und Pflegeheimen. Dahinter steht ein Verein mit Angeboten in Deutschland, Österreich und der Schweiz: die "Singenden Krankenhäuser".

Sie gibt die ersten Töne vor: Altentherapeutin und Singleiterin Alexandra Köhler stimmt laut "A" und "O" an - und die Patientinnen und ein Patient im St.-Laurentius-Stift im westfälischen Waltrop summen leise mit. Erst werden die Stimmbänder vorbereitet, dann erklingt laut das erste gemeinsame Lied des Tages: "Tränen lügen nicht." Das Stift ist seit 2017 ein zertifiziertes "Singendes Krankenhaus".

Therapeutin Köhler hat sich vor zehn Jahren zur Singleiterin beim Verein "Singende Krankenhäuser" ausbilden lassen. "Dabei geht es darum, die Stimme auszubilden, neue Lieder zu lernen und Singgruppen anleiten zu können", erläutert sie im Gespräch. Gleichzeitig werden aber auch medizinische und therapeutische Grundlagen zu verschiedenen Krankheitsbildern vermittelt.

"Singen fördert die Atmung, stabilisiert das Herz-Kreislauf-System und stärkt nachweislich das Immunsystem", sagt der Vorstandsvorsitzende des Vereins "Singende Krankenhäuser" und Musiktherapeut Tom Jansen. Das gemeinschaftliche Singen führe zusammen, überwinde Isolation und schaffe Zusammengehörigkeit. Jansen weist aber auch darauf hin, dass die Singkreise keine Musiktherapien sind. Es gebe keine Behandlung mit einem medizinischen Ziel: "Die Singleiter bereiten den Raum, die die Teilnehmer und Patienten aber für sich selber füllen - in der Begegnung mit anderen."

Patienten gründen Netzwerk

Im St.-Laurentius-Stift, einer Klinik für Geriatrie, Frührehabilitation und Palliativmedizin, trifft sich der Singkreis zweimal pro Woche. "Singen bringt Geist und Körper in Schwung, fördert eine warmherzige Atmosphäre und trägt zur Gemeinschaft im Krankenhaus bei", erläutert Köhler. Das Repertoire der Lieder reiche normalerweise von Rock über Pop bis zu Volks- und Seemannsliedern: "Ich singe nicht gut, aber gerne und laut", sagt sie lachend. Das sei für die Leitung des Singkreises eher vorteilhaft: "Die Teilnehmer denken dann, 'Wenn die das kann, kann ich das auch'."

In der Adventszeit erklingen vor allem bekannte Weihnachtsweisen wie "O Tannenbaum" und "Süßer die Glocken nie klingen". Alexandra Köhler geht durch die Reihen, stimmt laut die Lieder an und animiert zum Mitmachen. Aber die rund 20 älteren Damen und ein Herr, die Patienten in der Geriatrie sind, haben ohnehin viel Spaß und singen fleißig mit.

Das St.-Laurentius-Stift ist eines von rund 100 Krankenhäusern, Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz dem Netzwerk "Singende Krankenhäuser" angehören. Es hat sich 2009 auf Wunsch von Patientinnen und Patienten gegründet, die die heilsame Kraft des Singens während eines Klinikaufenthaltes schätzen gelernt hatten.

Singen - ein Gesundheitserreger

"Singen ist eine Art Gesundheitserreger, bei dem Prozesse ablaufen, die sich ergänzen, verstärken und im besten Fall die Selbstheilungskräfte fördern", betont die Leiterin der Geschäftsstelle in Weingarten, Vera Kimmig. Durch das gemeinsame Singen werde Achtsamkeit, Selbstfürsorge und der "Spürsinn nach innen" gestärkt.

Im Laurentius Stift klappt es mit dem Gemeinschaftsgefühl: Die 85-jährige Sigrid Walter hat ihre Mundharmonika mitgebracht - und spielt fast perfekt "Leise rieselt der Schnee". Die Gruppe singt mit. "Wenn ich spiele oder singe, gehe ich richtig auf", sagt Sigrid Walter. Mundharmonika spielte sie schon als Kind, geübt habe sie "zuerst mit Butterbrotpapier auf dem Kamm".

Der einzige Mann in der Runde, Norbert Cieholeswski, kommt immer "sehr gerne" zum Singkreis. Es gefalle ihm "ganz wunderbar". Das gemeinsame Singen erinnere ihn an seine Jugend - denn in der Familie mit seinen drei Brüdern und vier Schwestern sei immer viel auf Festen gesungen worden.

Lieder wecken Erinnerungen

Als Gast ist auch die freiberufliche Singleiterin Anke Seifert mit Ihrer Ukulele dabei. Sie war vor einigen Jahren in eine schwere seelische Krise geraten und erlebte, welche Kraft das gemeinsame Singen entfalten kann. "Das heilsame Singen hat mir geholfen, Schritt für Schritt wieder Stabilität zu finden", blickt sie heute zurück auf diese schwere Zeit. Sie hat sich deshalb entschlossen, sich beruflich neu zu orientieren, die Weiterbildung bei den "Singenden Krankenhäuser" gemacht und leitet jetzt Singkreise in Krankenhäusern und Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen an.

Seifert betont die Bedeutung von "heilsamen Liedern". Das seien meist leicht zu singende Stücke, mit sich wiederholenden Melodien und Texte, "die innere Ruhe fördern, die Atmung vertiefen und das Gemeinschaftsgefühl stärken", erläutert sie.

Alexandra Köhler hat in der Altentherapie in Waltrop besonders beeindruckt, wie Demenz-Patienten reagieren, wenn alte Lieder erklingen: "Sie leben plötzlich wieder auf und erinnern sich an die Texte", erzählt sie. In ihren Singkreisen könne wirklich jeder und jede unabhängig vom Gesangtalent mitsingen, betont sie: "Es gibt keine falschen Töne - nur Variationen."