epd: Inwieweit berücksichtigt die aktuelle Rentenreform die besondere Lage von Frauen?
Katja Möhring: Relativ wenig. Wenn wir zum Beispiel auf die Aktivrente schauen, die ja eigentlich eine Steuerbefreiung ist und keine Rente, dann kommt die vermutlich eher privilegierten Menschen zugute. Man muss ja überhaupt erstmal weiterarbeiten können nach der Regelaltersgrenze. Und dann muss man auch entsprechend verdienen, damit sich diese Steuerbefreiung lohnt.
Das trifft etwa auf Facharbeiter zu. Wir wissen aus der Forschung, dass Frauen, die im Rentenalter weiterarbeiten, das eher als Männer aus finanzieller Not heraus tun, und zwar in der Regel in Minijobs. Da bringt die Aktivrente natürlich gar nichts.
Es arbeiten auch heute schon mehr Männer als Frauen über die Altersgrenze hinaus.
Möhring: Das hängt damit zusammen, dass im Moment die Geburtsjahrgänge in Rente gehen, bei denen die Frauen insbesondere in Westdeutschland insgesamt nicht so viel gearbeitet haben. Viele sind nach der Geburt eines Kindes aus der Arbeitswelt ausgestiegen und dann auch nicht wieder eingestiegen.
Wer nach dem Renteneintritt weiterarbeiten will, braucht dazu erstmal eine Gelegenheit, und die hat man dadurch, dass man vorher schon im Berufsleben eingebunden war. Wenn jemand lange eher nebenbei gearbeitet und sich auf Kinderbetreuung oder vielleicht auch Pflege von Familienangehörigen fokussiert hat, dann fehlt diese Gelegenheit.
"Geld fließt nach dem Gießkannenprinzip"
Teil des Rentenpakets ist auch die Mütterrente III - hilft die den Frauen weiter?
Möhring: Nein. Es kommt bei der einzelnen Frau relativ wenig an, die Rede ist ja von etwa 20 Euro im Monat. Und die werden auch noch ohne jede Vermögens- oder Einkommensprüfung verteilt, also nach dem Gießkannenprinzip. So kommen für den Staat insgesamt hohe Kosten zusammen, während die Maßnahme aber die finanziellen Nachteile von Müttern über ihren Lebenslauf nicht ausgleichen kann.
Was genau meinen Sie damit?
Möhring: Wie viel Rente jemand bekommt, hängt schlicht damit zusammen, wie viel und mit welchem Einkommen er oder sie im Laufe des Lebens gearbeitet hat. Wenn die Person schon in der Rente angekommen ist, lässt sich daran logischerweise nichts mehr ändern. Bei Müttern ist es so, dass gerade in Westdeutschland viele erst einmal lange nicht gearbeitet haben und dann nur in Teilzeit tätig waren. Entsprechend niedrig ist die Rente. Das wird durch zusätzliche Rentenpunkte für drei Jahre, wie es die Mütterrente vorsieht, nicht aufgewogen.
"Teilzeitquote von Frauen extrem hoch"
Was sagen Sie zu dem Argument, dass es letztlich eine individuelle Entscheidung ist, inwiefern eine Frau nach der Geburt eines Kindes weiterarbeitet?
Möhring: Das ist höchstens die halbe Wahrheit. Es ist natürlich so, dass auch Arbeitgeber da mitspielen müssen, wenn zum Beispiel flexible Arbeitszeiten gebraucht werden oder eine Frau nach der Teilzeit wieder voll arbeiten will. Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind ebenfalls ein Faktor. Das funktioniert nicht überall gleich gut und vor allem der Nachmittag ist oft ein Problem.
Grundsätzlich gibt es von staatlicher Seite teils gegenläufige Anreize. Zum Beispiel fördert das Ehegattensplitting in der Einkommensteuer sehr ungleiche Einkünfte von Ehepaaren. Andererseits setzt das Elterngeld Anreize, dass Mütter relativ bald nach der Geburt wieder in den Job einsteigen. Man muss auch sehen, dass die Teilzeitquote von Frauen in Deutschland im europäischen Vergleich extrem hoch ist. Das lässt sich nicht einfach durch individuelle Entscheidungen erklären.
Was müsste sich also ändern, um zumindest bei den jungen und künftigen Frauengenerationen für eine auskömmliche Rente zu sorgen?
Möhring: Eigentlich geht es da weniger um Rentenpolitik als um Familienpolitik. Das zeigen auch internationale Vergleiche. Ein Punkt ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, der nächstes Jahr startet. Da wird es interessant sein, zu beobachten, ob das etwas bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen ändert. Und natürlich geht es auch ein Stück weit um einen kulturellen Wandel. Ich lebe in Westdeutschland und hier ist es häufig so, dass es zwar Angebote für Nachmittagsbetreuung von Kindern gibt, aber die Familien das oft gar nicht nutzen. Wir haben es bei diesem Thema mit jahrzehntelang eingeübten Verhaltensmustern zu tun.
"Im Osten fehlt private Altersvorsorge"
Inwieweit gibt es da Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?
Möhring: Wir sehen auf der einen Seite, dass die ostdeutschen Frauen wesentlich besser dastehen in der gesetzlichen Rente, weil sie lange Erwerbsbiografien haben. Hinzu kommt, dass die Einkommen beim Übergang ins gesamtdeutsche Rentensystem etwas höher bewertet wurden, was die Renten ein bisschen aufbessert. Auf der anderen Seite fehlt aber im Vergleich zum Westen einfach Vermögen und damit auch private Altersvorsorge. Die betriebliche Rente ist ebenfalls vor allem in den großen westdeutschen Betrieben üblich - Ostdeutsche profitieren davon deutlich seltener.
Die Koalition aus Union und SPD hat am Freitag ihr Rentenpaket mit der Kraft eigener Stimmen durch den Bundestag gebracht. Mit 318 Ja-Stimmen verabschiedete das Parlament in Berlin die zentralen und umstrittenen Punkte des Gesetzes: die Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 und die Ausweitung der Mütterrente. Auch die sogenannte Aktivrente mit Steueranreizen fürs Weiterarbeiten im Rentenalter und der Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge wurden beschlossen.



