"Der Advent ist nicht nur für Christen da"

Portrait von Wolfgang Reinbold, Beauftragter für Kirche und Islam, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers
epd-bild/Jens Schulze
Der Advent markiert heute in den evangelischen und katholischen Kirchen den Beginn des Kirchenjahres. Das war nicht immer so, erklärt Theologe Wolfgang Reinbold. (Archivbild)
Theologe Reinbold zum Brauchtum
"Der Advent ist nicht nur für Christen da"
In der Adventszeit mischen sich volkstümliches Brauchtum und religiöse Tradition. Manches zieht Kreise über das Christentum hinaus. Das beweisen etwa muslimische "Ramadankalender", wie der Göttinger Theologieprofessor Wolfgang Reinbold erläutert.

Advent heißt "Ankunft" - doch eigentlich ist es eine Zeit des Wartens. Worauf, erläutert der Göttinger Theologe Wolfgang Reinbold im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem verrät der Professor für Neues Testament, wie er seinen Adventskalender befüllen würde, was es mit dem Adventskranz auf sich hat - und mit muslimischen Ramadankalendern.

epd: Advent, von lateinisch "adventus", heißt so viel wie "Ankunft". Fragt sich: Wessen Ankunft wird hier erwartet?

Wolfgang Reinbold: In der lateinischen Übersetzung der Bibel wird das Wort "adventus" für das etwa gleichbedeutende griechische Wort "parousia" verwendet. Dieses Wort ist in der griechischsprachigen Antike der übliche Ausdruck für die Ankunft eines Königs oder Kaisers oder die Erscheinung eines Gottes. So lag es nahe, dass der Begriff auch im ältesten Christentum üblich wurde. Im Neuen Testament wird es zunächst zum technischen Ausdruck für die "Ankunft" des Herrn Jesus Christus zum Gericht am Ende der Zeit. In späterer Zeit verwendet man es dann auch für die erste Ankunft - also seine Geburt.

Warum dauert die Adventszeit vier Wochen?

Reinbold: Das hat sich im Laufe der Jahrhunderte so ergeben, in einer komplizierten und im Einzelnen manchmal kaum noch zu durchschauenden Entwicklung. Allerdings ist die vierwöchige Adventszeit, anders als man in Deutschland vermuten würde, nicht überall üblich. In den orthodoxen Kirchen gibt es keinen Advent, sondern eine sogenannte Weihnachtsfastenzeit. Sie beginnt bereits am 15. November - nach der orthodoxen, auf Julius Cäsar zurückgehenden Zählung der Tage -, und sie dauert nicht vier Wochen, sondern sechs. Einen ähnlichen Brauch gibt es in einigen katholischen Kirchen, etwa in Mailand, wo man nach einer alten Ordnung sechs Wochen Advent feiert.
Orthodoxe haben Fasten- statt Adventszeit

Der Advent markiert den Beginn des Kirchenjahres. Warum beginnt es ausgerechnet mit einer Zeit des Wartens?

Reinbold: Auch hier müssen wir zunächst einen Schritt zurücktreten: Der Advent markiert heute und in unseren evangelischen und katholischen Kirchen den Beginn des Kirchenjahres. Das war nicht immer so, und es ist in vielen Kirchen bis heute nicht so. In den orthodoxen Kirchen beginnt das Jahr mit dem 1. September. Die Zeit vor Weihnachten ist hier vor allem eine Fasten- und Vorbereitungszeit. Sie dauert 40 Tage, wie die Fastenzeit vor Ostern. Dieser Aspekt ist in unseren evangelischen Kirchen in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Hier ist der Advent zu einer Zeit der Vorfreude auf Weihnachten geworden, die insbesondere durch Adventskalender und Adventskränze geprägt wird.

Woher stammt der Adventskranz, und inwieweit steht er in der christlichen Tradition?

Reinbold: Das wissen wir genau: Der Adventskranz wurde im vorletzten Jahrhundert von Johann Hinrich Wichern - er lebte von 1808 bis 1881 - erfunden. Er gründete 1833 vor den Toren Hamburgs das bis heute bestehende sogenannte Rauhe Haus, das sich vor allem um arme Kinder kümmerte. In diesem Haus begann er damit, in der Adventszeit ein hölzernes Wagenrad mit 4 großen und 20 kleinen Kerzen aufzuhängen, um die Ungeduld der Kinder vor dem Weihnachtsfest zu mildern. Später hat man aus praktischen Gründen die 20 kleinen Kerzen fortgelassen. Sie leben fort in den heute überall verbreiteten Adventskalendern. Unter Muslimen werden "Ramadankalender" beliebter.

Eine Variante des Ramadankalenders

Kann der Advent auch Menschen etwas geben, die mit Kirche nichts anfangen können?

Reinbold: Das ist so, ja. Der Advent ist nicht nur für Christen da. Das Advents-Brauchtum spielt ja auch für viele Menschen eine große Rolle, die einer anderen oder keiner Religionsgemeinschaft angehören. Sie genießen das Gefühl einer Vorfreude, die festliche Stimmung, schätzen die Advents- oder Weihnachtsmärkte, nutzen Adventskalender und Ähnliches mehr. Sehr interessant finde ich, dass sich ein vergleichbarer Brauch seit einiger Zeit auch unter Muslimen in ihrer Fastenzeit, dem Ramadan, verbreitet: Sie basteln oder kaufen für ihre Kinder sogenannte Ramadankalender mit 30 Türchen, hinter denen sich Süßigkeiten für das Fastenbrechen am Abend verstecken.

Wenn Sie einen Adventskalender für die Seele basteln müssten: Was befände sich hinter Türchen 1, was hinter dem 24.?

Reinbold: Da würde ich vermutlich ganz traditionell vorgehen: Hinter Türchen 1 eine Kerze, die bis zum Weihnachtsfest brennt. Und hinter Türchen 24 ein Kopfhörer mit dem Anfang des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach.