Contra: Erst aufräumen- dann sterben?

ältere Frau schaut sich ein Schwarz-Weiß-Bild eines Mannes an
Katarzyna Bialasiewicz/iStockphoto/Getty Images
Ein Bild, gefunden beim Aufräumen, kann ein schöner Anlass sein, um kurz innezuhalten und seine Gedanken treiben zu lassen.
Trend Swedish Death Cleaning
Contra: Erst aufräumen- dann sterben?
Wir Deutschen lieben Ordnung: Kein Wunder also, dass Aufräumexpertinnen wie Marie Kondo bei uns von tausenden Menschen begeistert gefeiert werden. Ballast abwerfen, sich von überflüssigen Dingen befreien, wer das mag, wunderbar. Aber ein Trend, der aus Schweden zu uns hinüberschwappt, bereitet mir Kopfzerbrechen: Swedish Death Cleaning heißt er, und knapp umrissen, ist das eine Methode des Entrümpelns, bei der man seine Besitztümer im Laufe des Lebens aussortiert, um die Angehörigen nach dem Tod zu entlasten. Ich sehe das kritisch.

Eines vorneweg: Es geht mir hier nicht darum, dass jeder Mensch rechtzeitig vor seinem Ableben alle wichtigen Unterlagen, Passwörter oder ein Testament, so vorbereiten sollte, dass Angehörige und Erb:innen damit gut zurechtkommen. Das halte ich für unabdingbar. Aber schon den Kleiderschrank leeren oder netten Nippes entsorgen, weil der Tod näher rückt und die Sorge besteht, dass die Angehörigen zu viel Arbeit damit haben könnten? Genau hier liegt für mich der Haken.

Das brauchst Du doch nicht mehr

Viele Menschen und vor allem viele ältere Menschen leben sehr gerne zwischen all den unzähligen verschiedenen Dingen, die ihr Leben geformt haben. Oft sind sie gedankliche Reisebegleiter – besonders dann, wenn die Welt sich auf die eigenen vier Wände beschränkt. Hier die Kiste mit selbstgebastelten Geschenken der Kinder oder Enkel, dort Regale voller Bücher, überall Bilder, das gute Geschirr, die Schürze, einst schon von Oma geerbt, und der Pulli, den man auf der Piste bei der ersten Abfahrt trug. Oder die wunderbare Glaskugelsammlung, die einen an die Städte erinnert, die man auf den Reisen besucht hat. Soll das wirklich alles schon weg und ich lebe dann nur noch auf Sparflamme, bevor meine Lampe völlig erlischt?

Allzu oft habe ich es erlebt, dass der Wunsch nach "Ausmisten" gar nicht von diesen Menschen selbst kommt, sondern von ihren Kindern, Enkeln oder Freund:innen geäußert wird. Also von denen, die nach dem Ableben dann aufräumen müssten. "Ich will denen dann nicht zur Last fallen", "Die Kinder fühlen sich damit überfordert" oder "Die haben ja recht, meine Frau ist ja auch schon tot", solche Sätze fallen oft, aber eher als Sorge der Betroffenen geäußert, sie könnten ihre Nachkommen belasten. "Ingrid sagte, ich brauche das doch alles nicht mehr, da ich ja nicht mehr so lange zu leben habe…" Was aber dann, wenn man nach über 30 Jahren doch nochmal Lust verspürt, klapprig und wacklig eine Waffel selbst zu backen, aber das Waffeleisen ist schon längst entsorgt worden, weil Ingrid meinte, ich brauche es nicht mehr? 

Noch eine letzte selbsterlebte Geschichte: Eine alte Dame, stets modebewusst, die auf Hilfe angewiesen war, musste zu ihrem Sohn ziehen. Das Leben schon reduziert auf drei Koffer, auch schöne Kleider und Röcke waren dabei. Immer wieder gab es die Debatte im Haus: Die drei Jogginghosen würden doch reichen, das wäre so viel praktischer und bräuchte auch weniger Platz. Das war ein zermürbender Kampf.

Oft werden Menschen über Jahre hinweg sanft manipuliert und geben nach. Es gibt noch zahllose weitere Beispiele, die ich hier aufzählen könnte, und sie passen alle zu dem Trend, der sich bereits bei der Wahl der Grabstätte durchgesetzt hat. Nur niemanden belasten. Verbrennen, verstreuen… Es geht schlicht darum, möglichst wenig Aufwand zu machen für die Angehörigen. 
Wie gesagt: Wer wirklich selbst so denkt, soll das gerne tun, und vorab verschenken ist oft eine große Freude.

Raum zum Trauern

Kommen wir zu meinem zweiten sehr persönlichen Argument: Es ist eindeutig Arbeit und oft auch ein Kostenaufwand, einen großen Haushalt nach dem Tod des jeweiligen Menschen aufzulösen. Aber, diese Belastung kann auch eine Bereicherung sein: Ich habe schon ein paar Mal Wohnungen, Keller und Garagen mit ausräumen müssen und es war wirklich anstrengend, aber irgendwie auch wunderschön. Es war eine Zeit, in der man ungehemmt traurig sein durfte, während man Bücher sortierte, alte Fotos betrachtete und Wintermäntel zum Verschenken sortierte. Immer wieder mal hinsetzen und einfach Zeit nehmen zum Weinen.

 

All diese kaleidoskopartigen Momente auf das Leben des anderen oder auf das, was einen mit diesem Menschen verband. Ebenso schön dann die Begegnungen mit all den Menschen, die vorbeikamen, um sich Erinnerungsstücke, Möbel oder Bücher abzuholen. Es gab so viele Gespräche zwischen Kartons und Seifenlauge. Mit jedem Stück, das ging, konnte man ein wenig mehr loslassen von dem Menschen, den man geliebt oder sehr gemocht hatte. Es gab neben der Trauer, Raum für viel Freude, Umarmungen und immer wieder Menschen, die ihre eigenen Erinnerungen mit mir teilten. 

Ja, Ausräumen kostet Zeit und manchmal Geld, doch das lässt sich im Nachlass sicherlich regeln. Aber die Belastung des Aufräumens sollten wir hinnehmen, wenn es dem Menschen gefallen hat, bis zum Schluss nichts von dem wegzuräumen, was ihm gefiel. Denn am Ende geht es für mich nicht um Bequemlichkeit, sondern um Würde.