Pro: Erst aufräumen- dann sterben?

Männer stehen verzweifelt in einem unordentlichen Chaos
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Wenn so mancher Besitz überhand nimmt, kann die Haushaltsauflösung nach einem Tod überfordern. Dabei sollte genau dann Zeit für Trauerarbeit sein.
Trend Swedisch Death Cleaning
Pro: Erst aufräumen- dann sterben?
Manchmal lauert hinter Türen und in Schränken die gesammelte materielle Last eines Lebens – und zwischen schamvoll Verstecktem die sentimentalen Schätze. Um schon vor dem Tod physisch und psychisch damit aufzuräumen, für sich und die Familie, gibt es Praktiken, die evangelisch.de-Redakteurin Laura Albermann befürwortet.

Aufräumen, entrümpeln, Marie Kondo, Minimalismus, Capsule Wardrobe – dass die Trends rund ums Zuhause und unseren Besitz sich darum drehen, unseren Fußabdruck in der Welt immer kleiner zu machen, stimmt irgendwie. Eigentlich ist das etwas, gegen das ich mich wehre. Nein, ich möchte nicht auf ein neues Buch verzichten, weil ich eigentlich keinen Platz dafür habe, und auch nicht auf das Paar Stiefel, in das ich mich beim endlosen Scrollen im Netz verliebt habe. Geschweige denn von meinen vielen schönen Tassen, die ich so über die Jahre geschenkt bekommen oder gekauft habe. Und jetzt das große Aber: Ich bin jung, gesund und habe keine Kinder. Und werde sicherstellen, dass mein "Zeug" nicht zur Belastung anderer wird.

Wer in einem zerrütteten Umfeld aufgewachsen ist, kennt das vielleicht. Überquellende Schränke, auf dem Boden verteilte Kleidung und Sätze wie "Vielleicht brauche ich das noch" sorgen in mir für Panik, Überstimulation und den Drang, wegzulaufen. Und es frustriert mich zutiefst, wenn meine Mutter über Jahre immer wieder ihre Lieblingsschuhe nachkauft, sechs abgelegte Paare aber weiter rumliegen. (Sorry, Mama!)

All das hat einen Grund. In dysfunktionalen Familien sind oft Kinder diejenigen, die Probleme abbekommen und ausbaden, vor allem im Haushalt. Und erwachsene Kinder sehen nach dem Auszug oft: Irgendwann helfe ich doch wieder, es macht ja sonst niemand. Und wenn die Eltern mal nicht mehr sind, muss ich mich auch kümmern. Das belastet – auch und vor allem die Beziehung zu den eigenen Eltern oder Großeltern.

Was ist mit dem Rest?

Es ist allzu leicht und oft fernab der Realität, sich darauf auszuruhen, dass es Kinder, Enkel oder Freunde nach dem eigenen Tod schon irgendwie richten werden, und sie sich ja über ein Erbe aus Bilderalben, Schmuck oder anderem Sentimentalen oder Wertvollem freuen werden.

Diese genannten Sachen sind es nicht, die in der Auflösung eines Haushalts belasten – sondern tausende aufgehobene Zeitungen, Keller voller Werkzeug, Gefriertruhen mit Eintöpfen, die vor zehn Jahren gekocht wurden, oder Schränke voller abgelaufener Kosmetik, die auf Vorrat gekauft wurde. Müll, Kaufsucht, im Schrank versteckte und verschwiegene Rechnungen: Egal, ob die Familie nun dysfunktional oder harmonisch ist, solche Zustände können hinter allen verschlossenen (Schrank-)Türen lauern. Und manchmal ist da nur die eine Person, die sich all dem annehmen muss.

Trauerarbeit der anderen Art

Wenn meine Herzensmenschen mal die Welt verlassen, möchte ich mir den Raum nehmen können, ihr Leben und die Erinnerungen an das gemeinsame Leben zu ehren, zum Beispiel zwischen Büchern, gesammelten Bastelarbeiten und dem Lieblingspullover. Trauerarbeit eben, oder ein Teil derer. Der Frust, sich auch noch um die Last eines ganzen Lebens kümmern zu müssen, und die Angst davor, was im nächsten Schrank wartet, stehen dieser Trauerarbeit im Weg.

Also appelliere ich an die Ehrlichkeit – den ehrlichen und ungeschönten Blick auf den eigenen Besitz. In Praktiken wie dem Swedish Death Cleaning, oder auch in Marie Kondos Anleitung fürs Entrümpeln, geht es nicht ums krampfhafte Aufgeben von Sentimentalem. Sondern im Gegenteil darum, diesem mehr Raum zu geben, in dem man sich von den Dingen trennt, die keine Freude mehr bringen oder gar belasten. Und wenn etwas meine Beziehung zu meinen Lieben belastet, dann belastet es auch mich.

Und was mich selbst betrifft: in dieser Form der Ehrlichkeit muss man sich üben. Und mit jeder ehrlich betrachten und schlussendlich aussortierten Kleinigkeit nehme ich ein bisschen mehr Frieden in mir selbst wahr. Ein kleines bisschen mehr Raum, zu atmen – egal, ob physisch oder metaphorisch.