TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Tu es!"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
19. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Tu es!"
Bei Anstiftung zum Mord ist der Fall klar; die Strafe fällt oft sogar ähnlich hoch aus wie die eigentliche Tat. Anstiftung zum Selbstmord ist jedoch eine rechtliche Grauzone. Im fünften gemeinsamen Fall der Kommissarinnen Katrin König und Melly Böwe (Anneke Kim Sarnau, Lina Beckmann), geht es jedoch nicht um juristische Fragen...

Im fünften gemeinsamen Fall der Kommissarinnen Katrin König und Melly Böwe (Anneke Kim Sarnau, Lina Beckmann) treibt jemand in einem Chat-Forum für Jugendliche in Krisensituationen, "Die Hoffnung", ein tödliches Unwesen: Die Person ist derart manipulativ, dass sich bereits zwei junge Leute das Leben genommen haben. Beim ersten Mal erschießt sich eine Schülerin mit dem Revolver ihres Vaters. Die zweite Selbsttötung ist noch tragischer, weil der junge Mann zuvor eine völlig willkürlich ausgewählte Frau erstochen hat. 

Schon allein dieser Teil des Drehbuchs ist enorm fesselnd erzählt. Auf einer zweiten Ebene setzt Florian Oeller fort, was Catharina Junk und Elke Schuch im letzten "Polizeiruf" aus Rostock ("Böse geboren", 2025) angestoßen haben: Böwes Tochter ist das Ergebnis einer Vergewaltigung. Die Polizistin verweigert Rose jedoch jede Auskunft über ihre Herkunft. Den Namen des Täters kennt sie selber nicht, könnte ihn jedoch jederzeit erfahren: Sie hat sich damals, da war sie 17, das Kennzeichen seines Autos notiert.

Seither verwahrt ihr heutiger Vorgesetzter, Henning Röder (Uwe Preuss), einen Umschlag mit dem Namen des Mannes. Als Böwe ihn bittet, ihr das Kuvert zu übergeben, recherchiert Röder erst mal, um wen es sich handelt. Diesen Knüller verrät der Film recht früh: Der Vergewaltiger von einst, Jan Jürgens (Thorsten Merten), ist heute Oberstaatsanwalt in Berlin. Wie Oeller diese Erkenntnis mit dem aktuellen Fall verknüpft, ist gleichermaßen brillant wie schließlich schockierend. Obwohl zu ahnen ist, was passieren wird, ist das Ende des Films erschütternd.

Auch König bekommt ihre Nebenebene: Die Kommissarin hat sich mit ihrem Vater (Wolfgang Michael) versöhnt. Der alte Wernecke hat sich seinen Fehlern gestellt ("den Kaktus umarmen", wie er sagt) und bietet Selbsthilfegespräche für junge Leute an; auch hier stoßen die Polizistinnen auf die Spur des vermeintlichen "Todesflüsterers". Sie sind überzeugt, dass es sich bei der Person, die sich hinter dem Decknamen "Wintersonne" verbirgt, um den Gesamtschullehrer Felix Lange handelt. Der Krimi lebt neben der Handlung und der vorzüglichen Umsetzung durch Max Gleschinski (Regie) und Hanno Lentz (Kamera) nicht zuletzt von der darstellerischen Leistung Sebastian Jakob Doppelbauers, der den Pädagogen mit einer faszinierenden Doppelbödigkeit versieht.

Lange wirkt einerseits wie ein Vorzeigelehrer, der sich auch privat für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen engagiert und ein besonderes Förderprogramm entwickelt hat; außerdem kümmert er sich liebevoll um seine demente Mutter. Andererseits benimmt er sich ziemlich verdächtig, ist wenig kooperativ und war Moderator der "Hoffnung". Dass er überhaupt ins Visier der Ermittlungen geraten ist, liegt an einer SMS, die er dem jungen Mann geschickt hat. Ihr verdankt der Film seinen knallroten Titel: "Tu es!". Zu der jungen Frau hatte Lange ebenfalls Kontakt.

Schließlich läuft das Leben des Lehrers derart aus dem Ruder, dass er erst die Mutter eines Schülers zusammenschlägt, nachdem sich die Frau über sein Verhalten aufgeregt hat, und dann eine Verzweiflungstat begeht, die dem Krimi ein dramatisches Vorschlussfinale beschert. Neben dem Drehbuch von Oeller, der 2022 ebenfalls für einen "Polizeiruf" aus Rostock ("Sabine") mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden ist, beeindruckt der Film vor allem durch die Inszenierung. Gleschinski ist gebürtiger Rostocker (Jahrgang 1993) und quasi mit den 2010 gestarteten Krimis aus seiner Heimatstadt aufgewachsen.

Seiner Regie ist anzumerken, dass er sich vom üblichen TV-Krimi absetzen wollte. Schon der Prolog ist eindrucksvoll, als er die Mitglieder des Ermittlungs-Teams zu den Klängen eines wenig bekannten melancholischen Lieds von Frank Sinatra einführt; Böwe sitzt, während es in Strömen regnet, in ihrem Auto und muss zur Kenntnis nehmen, dass Rose keinen Kontakt zu ihr haben will.

Auch später sorgt der Regisseur in seinem ersten TV-Krimi immer wieder für Momente der Entschleunigung. Die Musik spielt weiterhin eine besondere Rolle: Die eingespielten Songs sind weit mehr als bloß akustische Lückenfüller, die jazzige Komposition von Bert Werde fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Das gilt auch für die Kameraarbeit, die die Ratlosigkeit der Ermittlerin vermittelt, indem sie das Geschehen immer wieder durch transparente Hindernisse filmt und so den klaren Blick aufs Geschehen verhindert.