TV-Tipp: "Schweigend steht der Wald"

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30. September, HR, 22.30 Uhr
TV-Tipp: "Schweigend steht der Wald"
Vordergründig folgen Buch und Film einem typischen Krimimuster, aber Anja (Henriette Confurius) ist alles andere als eine typische Ermittlerin und die Bodenkunde ein Metier, das selbst auf der Liste seltener Filmberufe sehr weit unten stehen dürfte.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass die junge Forststudentin ihr Praktikum ausgerechnet dort absolviert, wo einst ihr Vater während einer Wanderung unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Anja Grimm soll eigentlich den Wald kartieren, aber die Bodenproben einer Lichtung zeigen eine äußerst ungewöhnliche Anomalie, als sei hier das Unterste zuoberst gekehrt worden. Tatsächlich birgt das Waldstück ein Geheimnis, aber das ist viel grausiger, als die junge Frau ahnen kann. 

Das klingt nach Krimidrama, und in der Tat orientiert sich "Schweigend steht der Wald" (2022) am beliebten Schema jener Fernsehfilme, in denen junge Frauen an den Schauplatz ihrer Kindheit oder Jugend zurückkehren und sich dort einem Trauma stellen müssen. Das Langfilmdebüt der Schauspielerin Saralisa Volm erzählt jedoch eine Geschichte, die viel älter ist. Die Handlung spielt 1999, und auch das hat seine Bewandnis, denn die Ereignisse, um die es eigentlich geht, liegen mehrere Jahrzehnte zurück. Das Drehbuch basiert auf dem bereits 2013 erschienenen Roman von Wolfram Fleischhauer, er hat es selbst adaptiert.

Vordergründig folgen Buch und Film einem typischen Krimimuster, aber Anja (Henriette Confurius) ist alles andere als eine typische Ermittlerin und die Bodenkunde ein Metier, das selbst auf der Liste seltener Filmberufe sehr weit unten stehen dürfte. Tatsächlich entwickeln die entsprechenden Szenen jedoch einen ganz eigenen Reiz, zumal Anjas Arbeit zunächst recht rätselhaft anmutet.

Ihre Art der Spurensammlung trägt allerdings durchaus kriminaltechnische Züge, erst recht, als sie die Ergebnisse ihrer Recherche mit dem Herbarium ihres Vaters vergleicht. Die Familie hat vor zwanzig Jahren in der Gegend ihren Urlaub verbracht, und Grimm ist dabei auf ein Phänomen gestoßen, dem er garantiert auf den Grund gehen wollte; irgendjemand wollte das offenbar verhindern.

Volm, die seit einiger Zeit auch als Produzentin arbeitet, hat den Film in der Oberpfalz gedreht. Ohne die tatkräftige Unterstützung der Einheimischen wäre das für eine Kinokoproduktion vergleichsweise preiswerte Debüt vermutlich gar nicht zustande gekommen. Der Handlungsschauplatz ist mehr als bloß ein Drehort. Die Ensemblemitglieder stammen zwar größtenteils aus dem bairischen Sprachraum, aber den speziellen Dialekt der Region mussten sie erst lernen.

Die zweite zentrale Rolle neben der trotz ihrer immer noch jungen Jahre bereits ungemein erfahrenen Hauptdarstellerin spielt jedoch der Wald, den Volm und ihr Kameramann Roland Stuprich in betont düsteren, unwirtlichen Bildern zeigen. Rupert (Noah Saavedra), früher in den Ferien Anjas Spielgefährte, möchte hier einen Märchenwald mit Wipfelpfad anlegen, und dafür eignet sich dieser Forst perfekt; vorausgesetzt, man assoziiert mit "Märchenwald" nicht den künstlichen deutschen Kulturwald, sondern ein Gehölz, in dem hinter jedem Stamm das Grauen lauern kann. 

Horrorfilmszenen hat die Handlung in der Tat zu bieten, aber sie entpuppen sich meist als Hirngespinst. Allerdings wird die Forstamtspraktikantin am vermeintlichen Unglücksort von einem Zausel überrascht: Ruperts gestörter Onkel Xaver (Christoph Jungmann) ist schon drauf und dran, sie zu erschießen, als sie sich gerade noch rechtzeitig zu erkennen gibt. Prompt macht sich der Mann eilends auf den Heimweg, um seiner Mutter mit dem Spaten den Schädel zu spalten.

Die Bilder dieses Mordes zeigt Volm zwar nicht, aber dafür andere, die nicht weniger unappetitlich sind, etwa, als Anja ein zuvor erlegtes Wildschwein ausnimmt. Auf den ersten Blick trägt die Szene nichts zur Wahrheitsfindung bei, aber sie verdeutlicht, dass die junge Frau nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen ist. 

Das schwant auch dem Jagdpächter jenes Waldstücks, auf dem die Bodenkundlerin die verräterischen Spuren entdeckt hat: Gustav Dallmann (August Zirner) war vor zwanzig Jahren, als Grimm verschwunden ist, der für die Nachforschungen zuständige Polizist, Sohn Konrad (Robert Stadlober) ist sein Nachfolger. Der alte Dallmann hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Geheimnis des Waldes zu hüten; um jeden Preis, wenn es sein muss.

Sicherlich nicht zuletzt dank der Erfahrung von Stuprich und weiterer Mitwirkender hinter der Kamera ist "Schweigend steht der Wald" für einen Debütfilm überraschend stilsicher. Die düstere Bildsprache spiegelt sich auch in den gern leicht grünstichigen Innenaufnahmen wider, die Tonspur verbreitet nicht nur wegen der unheilvoll dräuenden Musik (Malakoff Kowalski) ein angemessenes Unbehagen.