Die französische Philosophin Corine Pelluchon meint in ihrem Buch "Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe", dass unserer Gesellschaft ein kollektiver Horizont fehlt, der verbindet: "Das Fehlen eines kollektiven Horizonts hat zu einer Leere geführt, die jeder auf seine Weise zu füllen versucht, indem er sich um seine Karriere kümmert, seinen Terminkalender füllt, sich in sein Privatleben mit Familie oder Freunden zurückzieht" .
Für uns ist es der Wert der Verbundenheit, der einen gemeinsamen Horizont für unsere Gesellschaft schaffen kann. Da wo ich angesprochen und angerührt werde, wo etwas in mir zum Klingen kommt, wo ich mit etwas anderem in eine intensive Beziehung trete, da kommen wir in Resonanz. Das können Momente tiefer Verbindung sein. Es entsteht ein vibrierender Draht. Den Begriff der Resonanz hat der Soziologe Hartmut Rosa in den letzten Jahren stark entfaltet.
Er hat den Begriff der Resonanz als Bild für unsere Weltbeziehung verwendet. Rosa setzt ihn gegen den Begriff der Entfremdung und des Abgestumpftseins, die unsere Beziehung zur Welt heute vielfach prägt. Für Hartmut Rosa ist Resonanz deshalb kein Gefühlszustand, sondern ein Beziehungsmodus. Es geht in diesem Beziehungsmodus nicht um Verfügbarmachung und Beherrschung, sondern um das Zusammenklingen verschiedener Resonanzachsen.
Das Alleinsein verwandeln
Verbundenheit wird dort erlebbar, wo ich in Beziehung bin. Dieses In-Beziehung-sein ist vielfältig: zu mir selbst, zu anderen Menschen, zur Erde, zu Gott. Alles ist mit allem verbunden und aufeinander bezogen.
Seit der Corona-Pandemie und bis heute gibt es immer wieder Studien zum Thema "Einsamkeit". Einsamkeit kann uns alle betreffen. Einsamkeit im Sinne sozialer Isolation, des Nichtgehörtwerdens und fehlender emotionaler Austausch. Von unserem Wesen her sind wir auf andere Menschen angewiesen.
Nicht wahrgenommen, anerkannt und geschätzt zu sein, verstärkt das Gefühl der Einsamkeit. Auch in der Einsamkeit kann ich mich verbunden fühlen. Peter Schellenbaum meint, die Kunst bestehe darin, das Alleinsein in ein All-Eins-Sein zu verwandeln. Dann fühle ich mich auch allein mit allem verbunden: mit der Natur, mit Gott und mit allen Menschen. Dann fühle ich mich auch zugehörig.
Als Teil der Welt fühlen
Wenn ich gut allein sein kann, dann bin ich auch fähig, zu andern Menschen in Verbindung zu treten. Wenn wir in der U-Bahn oder S-Bahn fahren, erleben wir nur einzelne Menschen. Jeder ist für sich, schaut in sein Smartphone. Er nimmt keine Verbindung auf. Wir können mitten im Alltag Verbundenheit schaffen, indem wir den Menschen, dem wir in der U-Bahn gegenüber sitzen, anlächeln oder ihn ansprechen. Dann entsteht Verbundenheit. Dann wandelt sich die Atmosphäre um uns herum. Wir spüren die Sehnsucht der Menschen nach Verbundenheit. Überall dort, wo Verbundenheit entsteht, ist Kirche mitten in der Welt. Denn Kirche ist vom Wesen her Verbundenheit, Verbundenheit mit Gott und untereinander.
Es braucht auch Räume und Zeiten, in denen Zugehörigkeit erlebt wird. In einer Gesellschaft, in der der Einzelne gestärkt wird, braucht es auch den Wert der Gemeinschaft, also Teil einer Gesellschaft zu sein. Es braucht die Erfahrung und das innere Gefühl, nicht abgesondert oder getrennt zu sein, sondern sich als Teil der Welt mit allem Lebendigen verbunden zu fühlen.
Teil einer Schöpfungsgemeinschaft
Eine stimmige Zugehörigkeit meint nicht Abschottung gegenüber anderen Gruppen und Menschen, sondern Offenheit und Neugierde für die Welt des Gegenübers. Es ist wichtig, die eigene "Komfortzone" oder "Bubble" zu verlassen, um uns auf den Menschen neben uns wirklich einlassen, der zunächst fremd oder ganz anders erscheint. Damit ist nicht gemeint, jede Meinung zu teilen.
Den anderen jedoch in seiner Weltsicht als Gast für eine Weile zu besuchen, das kann ein Weg der Verständigung sein. Das meint wirkliches Zuhören, wenn wir uns der Welt des Anderen ganz öffnen. Diese These entfaltet Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, in seinem neusten Buch "Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen" (Hanser-Verlag, 2025).
Wir sind davon überzeugt, dass uns der Wert der Verbundenheit in eine hoffnungsvolle Zukunft führen kann. Sich als Menschen verbunden zu erfahren, das stiftet den Grund, sich in Verschiedenheit und Vielfalt zu würdigen und wertzuschätzen. Auch angesichts des Klimawandels braucht es einen Hoffnungshorizont, der aus Verbundenheit lebt. Wir sind angewiesen auf die Erde, eine Beziehung zur Erde, die sich auf sie bezogen weiß und sich als Teil einer Schöpfungsgemeinschaft versteht.
Kluft zwischen Theorie und Praxis
In der Natur begegnen wir einem Du, zu dem wir in Beziehung treten können. Das ist kein herrschaftliches Verhältnis, sondern ein Geschwisterliches. Es ist eine Beziehung, die in allem die Stimme des Lebens hört. Wenn wir regelmäßig in der Natur spazieren gehen, dann dürfen die Worte von Albert Schweitzer nie fehlen: "Wir sind Leben inmitten von Leben, das leben will." Dieses Gespür für diese tiefe Verbindung zur Natur kann der Hoffnungshorizont der Gegenwart sein.
Auf diesem Weg braucht es neben Theorien, Erklärungen und Studien auch eine spirituelle Weisung. Ohne einen kontemplativen Blick auf die Erde und das erfahrene Eingebundensein wird es nicht gehen. Es braucht das Herz, die innere Ansprache des Menschen. Davon ist Corine Pelluchon auch überzeugt und meint: "Es gibt zahlreiche Berichte, die uns den Klimawandel erklären. Doch es herrscht eine Kluft zwischen Theorie und Praxis. Wir benötigen Philosophen und Autoren, die sich an die Seele der Menschen wenden. Nur so können die Menschen Freude daran finden, ihre Lebensweise zu ändern."
Geheimnis des Lebens
In der christlichen Tradition ist die Liebe die Kraft, die verbindet. Die Liebe ist nicht nur ein Gefühl, sie ist eine kosmische Kraft. Die Evolutionsforscher haben erkannt, dass nicht die fittesten Lebewesen, sondern die, die Verbindung zu andern aufnehmen, überleben. Und Gehirnforscher sagen uns, dass das Gehirn des Kindes viele Verbindungen (Synapsen) knüpfen kann. Doch die kreativsten Verbindungen entstehen dort, wo sich das Kind verbunden fühlt mit den Eltern, Geschwistern, Verwandten, mit der Welt.
So kann man sagen: Dort wo Verbundenheit ist, ist Kreativität. Das gilt auch für den Klimawandel. Nur durch moralische Forderungen gelingt uns da kein Fortschritt. Wo wir uns verbunden fühlen miteinander und mit der Natur, werden wir auch anders mit der Schöpfung umgehen.
Verbundenheit erleben wir in der Beziehung zu Gott. Das Wort "Religion" wird etymologisch von dem lateinischen Wort religare abgeleitet und meint eine Rückbindung an das Geheimnis des Lebens, das wir Gott nennen. Dieses Rückbinden ist für uns auch eine Rückbindung an das Wesentliche des Lebens: Was brauchen wir zum Leben? Was zählt letztlich im Leben? Die Ansprüche an das Leben sind enorm gestiegen. Das überfordert das Leben zum Teil.
Eine sanfte, leise Ahnung
Für den Heiligen Benedikt braucht es die Verbundenheit in einer Gemeinschaft, dass die Mönche angemessen mit ihren Bedürfnissen umgehen. Er schreibt: "Wer weniger braucht, danke Gott und sei nicht traurig. Wer mehr braucht, werde demütig wegen seiner Schwäche und nicht überheblich wegen der ihm erwiesenen Barmherzigkeit. So werden alle Glieder der Gemeinschaft in Frieden sein." (Regel Benedikts, Kapitel 34). Benedikt will vor allem nie das Laster des Murrens aufkommen lassen. Denn Murren zerstört die Verbundenheit. Die überhöhten Ansprüche an das Leben, die uns heute ständig begegnen, schaffen Unzufriedenheit und Spaltung. Das rechte Maß ist die Bedingung eines guten Miteinanders.
Eine geerdete Spiritualität klammert die Krisen und Sorgen des Lebens nicht aus. Sie weiß um die inneren und äußeren Spannungen des Lebens. Zugleich gibt es da Worte, die uns daran erinnern, dass unser Leben von Gott begleitet ist und dass es da noch eine andere Wirklichkeit gibt. Wir denken an Worte aus dem 46. Psalm: "Gott ist unsre Zuversicht und Stärke". Es gibt da in uns eine sanfte und leise Ahnung: Gott weiß um mich und um uns. Das ist keine Theorie, keine Erklärung, kein Programm. Es ist eher ein zärtliches Gefühl.
Diese leise Ahnung in diesen Zeiten zu schützen und zu bewahren, ist uns beiden wesentlich. Letztlich Gott selbst, der in uns wohnt, zu bewahren. Sich in dieses Gefühl hinein zu versenken, dort Vertrauen zu schöpfen und wieder aufzusteigen, das lässt uns hoffnungsvoll leben. Die Krisen der Welt nicht zu verdrängen und trotzdem die Hoffnung nicht aufzugeben, das kann das sanfte Licht in der Dunkelheit sein, eine Ur-Hoffnung, die in Gottvertrauen gründet. Das ist eine Hoffnung, die nie erlöscht und unsere Welt heller macht.
Anselm Grün (80), Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach und Günter Hänsel (32), Pfarrer in Berlin-Schlachtensee verbindet die gemeinsame Suche nach Gott und die Begleitung von Menschen auf dem spirituellen Weg.