Engel mit Kamm und Schere

Concettina Michaelis schneidet Haare
epd-bild/Hagen Tronje Grützmacher
Concettina Michaelis ist Friseurin und engagiert sich bei "Barber Angel" in Bremen. Bei ihr bekommt man einen kostenlosen Haarschnitt und ein nettes Gespräch oben drauf.
"Me time" für Wohnungslose
Engel mit Kamm und Schere
Sie helfen Obdachlosen und immer häufiger auch Rentnerinnen und Rentnern: Die "Barber Angels" schneiden kostenlos Haare, wenn sich Menschen einen Friseurbesuch nicht leisten können. Über mangelhafte Nachfrage können sie sich nicht beschweren.

Concettina Michaelis ist seit 30 Jahren Friseurin, aber heute ist für die erfahrene Stylistin kein Arbeitstag wie jeder andere. Ihr Friseursalon an diesem Tag ist ein Pavillon auf dem Bahnhofsvorplatz in Bremen. Ihre Kunden: Menschen ohne festen Wohnsitz, ohne Arbeit und vor allem ohne Geld.

"Wir wollen heute mit einem kostenlosen Haar- oder Bartschnitt den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern", sagt die 53-Jährige. Schon seit 2018 ist sie bei den "Barber Angels" aktiv. Insgesamt elf Friseurinnen und Friseure der Initiative sind an diesem Tag im Einsatz. Der Andrang ist groß. "Wir werden heute bestimmt bis zu 150 Gäste haben", sagt Michaelis.

Die gemeinnützige Organisation ist in ganz Deutschland aktiv. In Schleswig-Holstein gibt es vier Mitglieder an verschiedenen Standorten, in Hamburg sind es insgesamt sechs. Im Einsatz tragen die "Barber Angels" schwarze Lederwesten mit Patches im Bikerstil. "Die Idee der Barber Angels ist es, weltweit mit unserem Handwerk den Menschen ein bisschen Würde zurückzugeben, für die, die es sich nicht leisten können", erklärt die Bremerin.

Einer ihrer Kunden ist Michael. Er kommt mit langem Bart und Zottelmähne und verändert sich total. Ein ordentlicher Kurzhaarschnitt entsteht. Aus gutem Grund, denn in gut drei Wochen fängt Michael einen neuen Job an. "Ich bin auferstanden von den Toten", meint der großgewachsene Mann, der lange arbeitslos war. Sein Sozialarbeiter hat ihm den neuen Job vermittelt, die "Barber Angels" unterstützen mit ihrem Handwerk für den passenden Auftritt beim Arbeitgeber. "Jetzt kann ich wieder ins Berufsleben einsteigen", sagt Michael zufrieden.

Die "Barber Angels" sind eine gemeinnützige Organisation von Friseur:innen und europaweit aktiv.

Es ist eng und voll unter dem kleinen Pavillon. Scheren klappern, Rasiergeräte brummen, Menschen reden durcheinander. Die Warteschlange draußen ist lang. Zwei Ordner verteilen Nummern und rufen die Kunden nacheinander auf. In einer Ecke steht ein Tisch mit Shampoo und Pflegeprodukten, die kostenlos verteilt werden. Trotz des Gewusels ist die Stimmung gut. Es sei schon "etwas stressig", gibt Concettina Michaelis zu, aber das nehme sie gern in Kauf. "Diese Einsätze geben jedem, der dabei ist, so viel."

2016 wurde die "Barber Angels Brotherhood" in Deutschland gegründet. Mittlerweile gibt es sogenannte Chapter in vielen Ländern weltweit, darunter Brasilien, Chile, Norwegen und Südafrika. 900 Mitglieder hat der deutsche Club, der sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert. Die Anzahl der Menschen, die auf ihr Angebot angewiesen sind, hat in den vergangenen Jahren zugenommen, sagt Michaelis.

"Wir haben nicht nur Menschen von der Straße", erzählt die 53-Jährige. "Immer mehr kommen auch ältere Menschen, für die es utopisch ist, zum Friseur zu gehen. Und nicht, weil der Friseur jetzt horrend teuer geworden ist, sondern, weil es nicht drin ist." Tatsächlich sitzen auf den Stühlen der "Barber Angels" in Bremen viele grau- und weißhaarige Gäste. Altersarmut sei ein wachsendes Problem, meint die Friseurin.

Rund drei Stunden dauert die Aktion am Hauptbahnhof in Bremen. Schon an den kommenden Wochenenden sind anderswo in Deutschland neue Einsätze geplant. Für Friseurin Michaelis war es schon der 77. Einsatz für die "Barber Angels". Aber, so sagt sie, es wird nicht der letzte gewesen sein.