"Politik von Frau Reiche ist Sicherheitsrisiko"

Luisa Neubauer
epd-bild/Tim Wegner
Klimaaktivistin Luisa Neubauer hofft auf viele Teilnehmende bei den Protesten am Samstag (20. September)
Klimaaktivistin Luisa Neubauer
"Politik von Frau Reiche ist Sicherheitsrisiko"
Zwischen den globalen Konflikten scheint der Klimawandel als politisches Thema unterzugehen. Die Bewegung "Fridays for Future" will im Rahmen der weltweiten Aktionswoche "Draw the Line" am 20. September in ganz Deutschland auf die Straßen gehen, ausnahmsweise an einem Samstag. Luisa Neubauer stellt der Regierung kein gutes Zeugniss aus. Das sind ihre Ratschläge an die Parteien.

epd: Frau Neubauer, am Montag wurde der Monitoringbericht zur Energiewende von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) vorgelegt. Sie will jetzt die Energie-Förderung umbauen und weniger auf erneuerbare Energien setzen. Was sagen Sie dazu?

Luisa Neubauer: Der Monitoringbericht spricht erstmal für sich selbst. Da wird klar gesagt, dass es eine Energiewende braucht - und was eine Energiewende braucht, um stark voranzugehen. Empfehlung des Berichts ist es, die erfolgreiche Energiewendepolitik fortzusetzen. Frau Reiche scheint aber dieser Empfehlung nicht folgen zu wollen. Die Ableitungen, die sie zieht, halte ich für opportunistisch und unwissenschaftlich. Frau Reiche möchte vor allem die Energiewende in Deutschland blockieren, ausbremsen und ihr Gelder entziehen.

Sie behauptet einerseits, ohne Subventionen würde die Energiewende vorangehen, und andererseits behauptet sie, der Strombedarf in Deutschland würde sinken. Beides ist in meinen Augen einfach ein vorgeschobenes Argument, um einer anderen Energie mehr Raum zu geben: fossilem Gas.

Frau Reiche hat gesagt, die erneuerbaren Energien allein reichten nicht aus, um das Gesamtenergiesystem aufrechtzuerhalten. Was würden Sie entgegnen?

Neubauer: Niemand spricht davon, von heute auf morgen aus dem Erdgas auszusteigen. Was Frau Reiche und ihre Politik de facto aber gerade vorhaben: Anstatt bei kleinen Ausnahmen und Notfallsituationen beispielsweise auf Erdgas zurückzugreifen, plant sie ganz offensichtlich, die erneuerbaren Kapazitäten durch Erdgas zu ersetzen. Die Politik von Frau Reiche ist ein Sicherheitsrisiko für unsere Lebensgrundlagen, aber eben auch für ein Energiesystem, das alles braucht, außer Erdgas-Lobby-Verklärung.

"Es ist einfach utopisch davon auszugehen, dass wir - etwa in der Innenpolitik - irgendeine Art von Stabilität haben, solange wir Öl und Gas von Autokraten beziehen und uns durch mehr Extremwetter unsere Lebensgrundlagen um die Ohren fliegen."

Werden Klimaschutz-Themen gerade zwischen den großen geopolitischen Konflikten zerrieben?

Neubauer: Naja, einerseits konkurrieren alle Krisen miteinander um Aufmerksamkeit. Aber natürlich gibt es diejenigen, die ein Interesse daran haben, dass man nicht mehr auf den Klimaschutz schaut. Häufig wird dann argumentiert: "Klima muss man sich überhaupt erstmal leisten können, wir haben Wichtigeres zu tun." Das ist brandgefährlich, verantwortungslos. Und darüber hinaus wissen wir ja, dass die Krisen zusammenhängen. Es ist einfach utopisch davon auszugehen, dass wir - etwa in der Innenpolitik - irgendeine Art von Stabilität haben, solange wir Öl und Gas von Autokraten beziehen und uns durch mehr Extremwetter unsere Lebensgrundlagen um die Ohren fliegen. Und das sage nicht nur ich, sondern auch der Bundesnachrichtendienst, der die Klimakrise zum Risiko für die innere Sicherheit Deutschlands erklärt hat.

Wie kann Klimaschutz ein Gewinnerthema werden?

Neubauer: Viele, viele Menschen in Deutschland und der Welt bilden weiterhin eine Mehrheit und wollen mehr Klimaschutz. Laut einer aktuellen Studie wünschen sich 89 Prozent der Menschen auf der Welt mehr Klimaschutz, das ist ja sehr eindeutig. Bei allem Respekt, aber es reicht nicht aus, nur Klimaaktivisten danach zu fragen, wie man Klimaschutz auf die Agenda setzen kann. Man muss auch die Politik fragen: Wie wollt ihr eurer politischen Verantwortung - die ihr laut dem Verfassungsgericht auch habt - gerecht werden?

Die Grünen haben bei der Kommunalwahl in NRW am stärksten verloren, sie stürzten um 6,5 Prozentpunkte auf 13,5 Prozent ab. Scheint ja schon so, als könnte man mit Klimathemen derzeit nicht punkten.

Neubauer: Man kann es auch andersrum sehen. Die Grünen haben zumindest vor der Bundestagswahl erst sehr spät auf den Klimaschutz gesetzt und dann auch nur sehr sachte. Genauso gut kann man argumentieren, dass viele Wählerinnen und Wähler sich eine klare Haltung von den Grünen erhofft hätten. Das ist genau dieses Halbherzige, was eben nicht mehr funktioniert in einer Zeit, in der sich Menschen Klarheit wünschen.

Was erhoffen Sie sich vom Klimastreik am heutigen Samstag?

Neubauer: Es ist eine weltweite Klimademo. Wir gehen in rund 100 Ländern mit Kirchen, weltweiten Bewegungen, indigenen Gruppen auf die Straße. Wir wollen für einen globalen Zusammenhalt eintreten. Deswegen gehen wir mal nicht an einem Freitag auf die Straße, sondern an einem Samstag - das ist ungewohnt, aber auch schön für uns. Wir wollen klar benennen, wer das Problem und wer die Lösung ist.

Sie sagten vor einigen Wochen bei einem Protest vor dem Wirtschaftsministerium, dass es zu Frau Reiche noch keinen Kontakt gab - im Gegensatz zu ihren Amtsvorgängern Robert Habeck von den Grünen und Peter Altmaier, der ebenfalls CDU-Wirtschaftsminister war.

Neubauer: Frau Reiche hat sich nicht bei uns gemeldet. Ich bin natürlich jederzeit bereit für Gespräche. Mit Herrn Altmaier hatte ich sehr lustige Doppelinterviews, Streitgespräche. Wir freuen uns über jede Debatte, müssen aber jetzt wohl mit dem arbeiten, was Katherina Reiche öffentlich sagt.

"In Bayern schmelzen die Gletscher, bröckeln die Alpen und gleichzeitig redet Herr Söder von Heimatschutz und kämpft weiter für Verbrenner." 

Die eher liberale Großstadtbevölkerung ist für Klimaschutzmaßnahmen zu begeistern, die eher konservative Landbevölkerung lehnt diese meistens ab. Gleichzeitig sind die Menschen auf dem Land sehr naturverbunden. Warum ist das so?

Neubauer: Das ist paradox. Allen voran die konservativen Parteien in Deutschland erzählen ein Märchen von einem Konservatismus, der für "Wohlstand, Freiheit und Fortschritt" das Klima kaputt machen kann. In Bayern schmelzen die Gletscher, bröckeln die Alpen und gleichzeitig redet Herr Söder von Heimatschutz und kämpft weiter für Verbrenner. Das ist doch Irrsinn.

Der große Auftrag der Konservativen wäre, sich zu überlegen: Was heißt Konservatismus in einem Jahrhundert, in dem unsere Lebensgrundlage bedroht ist, wie nie zuvor? Stattdessen macht sich ein Friedrich Merz drei Jahre lang über die Klimapolitik der Ampel lustig und steht jetzt da als Kanzler, der keinen Plan hat, wie er die eigenen Klimaziele einhalten kann.

Ein anderer Konservativer, Papst Leo XIV., hat dagegen vor der "Erde im Verfall" gewarnt.

Neubauer: Ja, das ist sehr beeindruckend. Kirche kann ein vermittelnder Ort sein, wo eine Haltung erarbeitet wird. Klima heißt auch, Haltung zu verändern und sich selbst zu befragen. Das kann dann auch ein schmerzhafter, kränkender Prozess sein. Und im allerbesten Falle können Kirchen Orte sein, wo man sich mit diesem Schmerz beschäftigt. Oder auch mit einer Art Scham, die sich vielleicht bei Menschen in einem höheren Alter entwickelt hat, die jetzt feststellen: Ich habe da etwas Großes übersehen und zu lange dagegen gearbeitet.

"Ich glaube auch, dass die Kirche gefragt ist, denjenigen Parteien, die das "C" im Namen tragen, den Spiegel vorzuhalten: Was macht ihr eigentlich aus diesem "christlich"?"

Ich glaube auch, dass die Kirche gefragt ist, denjenigen Parteien, die das "C" im Namen tragen, den Spiegel vorzuhalten: Was macht ihr eigentlich aus diesem "christlich"? Es geht hier schließlich um die Schöpfung.

Sie sind Aktivistin, Autorin, Podcast-Moderatorin - was würden Sie gerne in einer Welt machen, in der es keinen Klimawandel gibt?

Neubauer: Ich würde mich noch mehr als ohnehin mit dem Patriarchat beschäftigen. Als junge Frau in der Öffentlichkeit bekomme ich diese frauenfeindlichen Dimensionen stark mit. Ich würde mich auch für andere humanitäre Krisen weltweit einsetzen. Zu tun gibt es genug, aber ich würde auch gerne mehr Zeit haben für meine Familie, meine Freunde, meine Ausbildung, mein Studium. Aber es hilft ja alles nichts, die Klimakrise ist da, und die Regierung macht, was sie macht. Also müssen wir laut werden.