Neue Ideen für die Umnutzung von Kirchen

Sektglas auf der Emporenbrüstung der ehemaligen Martini-Kirche Bielefeld
epd-Bild/Norbert Neetz
Seit 20 Jahren gibt es das Restaurant "Glückundseligkeit" in der früheren Martini-Kirche Bielefeld. Die Umnutzung von Kirchen ist seither immer mehr zum Thema geworden.
Kirchbautag und Denkmaltag
Neue Ideen für die Umnutzung von Kirchen
Kirchengebäude sind weiter sehr präsent im öffentlichen Raum. Für Städte und Dörfer haben sie oft geradezu ikonische Bedeutung. Sie sind Orte der Geschichte - kulturelles Erbe. Doch den Kirchengemeinden, die in ihnen zuhause sind, werden ihre Gebäude zunehmend zur Belastung. Nach Personalkosten steht die Gebäudeunterhaltung in den Haushalten meist an zweiter Stelle. Ausgaben, die in Zeiten schrumpfender Mitgliederzahlen und damit Steuereinnahmen zunehmend in Frage stehen. Veränderungen sind unvermeidbar.

Rund 40.000 Kirchengebäude gibt es in Deutschland, knapp die Hälfte davon in der evangelischen Kirche. Etwa jedes dritte von ihnen dürfte einer Experten-Prognose zufolge in den nächsten 40 Jahren aufgegeben werden – weil es von den kleiner werdenden Gemeinden nicht mehr genutzt und/oder erhalten werden kann. Bei Pfarr- und Gemeindehäusern ist der Trend zur Auf- und Abgabe seit Jahren schon sichtbar, doch zunehmend sind auch Sakralbauten selbst betroffen.

Ist der Verkauf auf dem Immobilienmarkt, der Übergang in eine private Nutzung von kirchlichen Gebäuden und Grundstücken die einzige Option? Oder gibt es andere Perspektiven? Mit dieser Frage beschäftigt sich schwerpunkthaft auch der diesjährige Kirchbautag vom 11. bis 13. September in Berlin. Das im Vorfeld erschienen Buch "Leben statt Leere – Überlegung zum Umgang mit unseren Kirchen" greift das Thema in umfassender Form auf. Es führt Perspektiven von Stadtplanung, Architektur, Denkmalschutz, Bildung, Kirchengemeinden und Kommunen zusammen und plädiert für einen Erhalt kirchlicher Orte als Frei- und Sozialräume für alle.

Fähigkeit zum Kompromiss gefragt

Durch viele Verordnungen und Regeln habe man Kirchen in ihrer Nutzung beschränkt und so vielen Menschen entfremdet, so sagt es der Mitautor von "Leben statt Leere", Klaus-Martin Bresgott vom Kulturbüro der EKD, im Interview mit dem Magazin chrismon. Er verweist auf Luther, für den der Kirchenraum stets Mittel zum Zweck gewesen sei, "nur heilig, wenn darin gebetet wird". Für die Sonderstellung als rein sakraler Ort fehle inzwischen aber oft das Fundament. "Früher waren Kirchen vielfach offenere Orte – auch in der DDR", so Bresgott.

Im Osten Deutschlands knüpft man heute an diese Traditionen an. Nicht mehr genutzte Dorfkirchen werden von privaten Initiativen, Freundeskreisen, Vereinen saniert und mit neuem Leben gefüllt – als Kino, Kulturkirche oder als Dorfgemeinschaftshaus, das verschiedenen Gruppen offensteht. "Die Leute wollen ihre Kirche erhalten – auch wenn sie mit den christlichen Inhalten wenig anzufangen wissen", so Bresgott. Der Kunsthistoriker berät und begleitet viele Umnutzungsprozesse und empfiehlt, von Anfang an mehrere Partner und wenn möglich auch die Kommune ins Boot zu holen. Dies helfe schon bei der Beschaffung von Geld für Sanierung und Umbau und beim Umgang mit dem Denkmalschutz.

Von der Entfernung alten Kirchengestühls bis hin zur Frage, wer den Raum wann nutze und wofür – stets sei Kompromissfähigkeit gefragt. Kirchengemeinden müssten sich von ihrer Rolle als alleinige Hausherrin verabschieden – ein manchmal schmerzhafter Lernprozess. Bresgott rät dennoch zur Offensive: "Raus in den Stadtteil gehen oder auf Suche-brauche-Portalen posten: Wir haben Platz, wer braucht welchen?"

Kirchen als öffentliche Orte erhalten

Ob auf dem Land oder in der Großstadt – die Frage nach der Um- und Neunutzung von Kirchen wird sich überall stellen. Und Ideen, was alles noch möglich wäre, sind vorhanden. Bresgott berichtet aus einem Seminar mit Architekturstudierenden, die ihre Vorstellungen einer "Kirche für alle" entwickelt haben: Die Liste reicht von Ausbildungsstätten für Handwerker, Küchen und Gärten, Restaurants, Bibliotheken, Ausweichräumen für Schulen bis hin zu Schutzhäusern für Frauen und Sozialstationen. Zuvor hätten die Studierenden die jeweilige Nachbarschaft untersucht und gefragt, was vor Ort gebraucht werde.

Eine "Verbindung zwischen Kirche und Kiez" soll in der Genezarethkirche Berlin-Neukölln geschaffen werden. Hier zum Beispiel bei einer Pop-Up-Taufe.

Ihn habe "begeistert, wie die Studierenden Kirche und Kommune in gemeinsamer Verantwortung sehen". Bei aller Skepsis werde Kirche als gesellschaftlicher Akteur ernst und beim Wort genommen: "Wenn sich Kirchen als offene Sozialräume verstehen, dann müssen sie sich darum kümmern, was die sozialen Bedürfnisse ihrer Umgebung sind, nicht nur die eigenen."

Kirche als Orte kultureller Praxis und bürgerschaftlicher Begegnung zu erhalten, fordert auch die Petition "Kirchen sind Gemeingüter! Manifest für eine neue Verantwortungsgemeinschaft", die auf der Plattform change.org seit Mai 2024 rund 23.000 Unterstützer gefunden hat. Um das Ziel zu erreichen, schlagen die Initiatoren ebenfalls neue Trägerschaften etwa in Form von Stiftungen vor. Als Modell führen sie die "Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur" in Nordrhein-Westfalen an.

Kirchen werden als "Vierte Orte" charakterisiert, die "offene, spirituell bedeutsame Chancenräume einer sorgenden Gemeinschaft" anbieten. Sie seien "nachhaltiges Kulturerbe", indem sie "vergangene Energieflüsse und CO2-Emissionen speichern" und damit heute das Klima entlasten sowie "kühle öffentliche Räume in den sich erhitzenden Städten" sind. Diese wichtigen Funktionen erfüllten auch nicht denkmalgeschützte Bauten, betonen die Initiatoren und weisen darauf hin, dass gerade Kirchen der Moderne besonders gefährdet seien.

evangelisch.de dankt der EKD für die inhaltliche Kooperation.

https://www.ekd.de/neue-ideen-fuer-nutzung-von-kirchen-91818.htm

Beim 31. Evangelischen Kirchbautag (11. bis 13. September) treffen sich Architekt:innen, Theolog:innen und Verantwortliche aus Bauämtern und der Denkmalpflege und tauschen sich über die Zukunft von Kirchenbauten in einer sich wandelnden Gesellschaft aus, so das Kulturbüro des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Tagung steht unter dem Motto "Wirklichkeiten und Wege".

Mehr als 500 Menschen aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz wurden zu dem Fachkongress in Berlin erwartet. Auf dem Programm: Exkursionen, Diskussionen, Workshops und Gespräche zu den Themenbereichen "Bedarfe und Realitäten", "Nutzungspartnerschaften" und "Teilhabe".

Der alle drei Jahre an einem anderen Ort stattfindende Kirchbautag ist nach 1957 erstmals wieder in Berlin. Die Tagung wird inhaltlich und organisatorisch vom Kulturbüro des Rates der EKD getragen und findet in Kooperation mit der Bundesstiftung Baukultur, dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK) - Kulturerbe in Bewegung, der katholischen Akademie in Berlin und dem KulturBüro Elisabeth statt.

Denkmaltag öffnet bundesweit rund 6.000 historische Gebäude

Zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals am 14. September werden bundesweit rund 6.000 historische Gebäude, Kirchen und Bodendenkmale ihre sonst häufig verschlossenen Türen öffnen. Beteiligt sind rund 2.300 Kommunen - ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren. Häufig kombinierten die öffentlichen oder privaten Gastgeber die Präsentation der Denkmäler mit kostenlosen Veranstaltungen. Sowohl die Zahl der geöffneten Gebäude als auch die Begleitangebote seien in den vergangenen Jahren stetig angewachsen. 

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ist die größte private Initiative für die Denkmalpflege in Deutschland. Seit 1993 koordiniert sie jeweils zum zweiten Sonntag im September den bundesweiten Tag des offenen Denkmals. Der Aktionstag verzeichnet regelmäßig viele Millionen Besucherinnen und Besucher.