Streit ums Original: Das sagt ein "Danke"-Lied-Erbe

Evangelische Gesangbücher in einer Kirche
epd-bild/Jens Schulze
Das Lied "Danke für diesen guten Morgen" steht im Evangelischen Gesangbuch (EG) unter der Liednummer EG 334.
"Kein offener Materialpool"
Streit ums Original: Das sagt ein "Danke"-Lied-Erbe
Das "Danke"-Lied von von Martin Gotthard Schneider ist seit 1961 für Millionen ein Stück Glaubenskultur. Im Interview spricht einer der Erben, Jörg Schneider, über Kindheitserinnerungen, den Wunsch seines Vaters – und warum er sich heute als Hüter eines geistlichen Erbes sieht. "Grönemeyer dichtet man auch nicht einfach um", sagt Schneider.

evangelisch.de: Sie sind einer der Erben des "Danke"-Liedes – was bedeutet dieses Lied für Sie persönlich? Haben Sie eine besondere Erinnerung daran?

Jörg Schneider: Ich bin mit dem Lied aufgewachsen – es war sozusagen immer da. Mein Vater hat es kurz vor meiner Geburt geschrieben, und ich erinnere mich gut an die erste Schallplatte mit dem Botho-Lucas-Chor; sie lag bei uns zu Hause herum. In der Familie war das Lied aber nie ein Thema, mit dem er hausieren ging. Erst viel später habe ich die Tragweite verstanden – wie sehr das Lied Menschen berührt hat, quer durch Generationen, Konfessionen und Kontexte. 

Eine persönliche Anekdote bleibt mir bis heute in Erinnerung: Im Religionsunterricht der 5. Klasse war das "Danke"-Lied Thema einer Klassenarbeit– und ich habe nicht die volle Punktzahl bekommen, weil ich Fragen dazu teilweise falsch beantwortet hatte. Das war mir damals etwas peinlich - aber mein Vater hat nur herzlich gelacht.

Was mich heute besonders bewegt, ist diese seltene Verbindung von Tiefe und Einfachheit: Der Text ist schlicht, aber nicht platt. Die Melodie ist eingängig, aber nicht beliebig. Das macht das Lied so stark – und so verletzlich gegenüber Veränderungen. Und noch etwas fällt mir auf, je länger ich mich mit dem Lied beschäftige: Es sagt nicht "Sei dankbar!", sondern "Danke, wenn …" – es lässt Raum. Raum für Brüche, Zweifel, Wirklichkeit. Es ist keine Moralpredigt, sondern eine Einladung. Und vielleicht ist genau das in einer immer komplexer werdenden Welt die eigentliche Stärke dieses Liedes.

Warum ist es Ihnen so wichtig, dass das Lied nicht verändert oder in neuen Versionen veröffentlicht wird?

Schneider: Weil es der ausdrückliche Wunsch unseres Vaters war. Was mich immer wieder irritiert, ist die Frage an sich: Warum wird gerade bei diesem Lied so oft infrage gestellt, was bei anderen selbstverständlich ist – nämlich das Recht des Urhebers auf sein Werk? Kein Mensch käme auf die Idee, einen Song von Grönemeyer einfach umzudichten und online zu stellen. Aber bei diesem Lied scheint das irgendwie verhandelbar zu sein. Ich glaube, es liegt daran, dass Melodie und Sprache so zugänglich sind – was manche verleitet zu denken, es sei leicht, so etwas selbst zu machen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade diese Schlichtheit ist Kunst. Meine Brüder und ich wollen das geistliche Anliegen des Liedes bewahren – weil es über Jahrzehnte so viele Menschen begleitet hat und immer noch populär ist, selbst außerhalb kirchlicher Kreise. Und auch wenn das Lied heute vielleicht nicht mehr auf Hitparadenplätzen landet oder "modern" klingt, bleibt es für viele ein Stück gelebter Frömmigkeit.

Jörg Schneider ist einer der Erben von Martin Gotthard Schneider.

Viele Gemeinden singen das Lied regelmäßig. Wo sehen Sie die Grenze zwischen kreativer Freiheit im Gottesdienst und dem Schutz des Originals?

Schneider: Die Grenze ist klar: Auch im Gottesdienst darf der Liedtext nicht ohne unsere Genehmigung verändert werden. Der Gottesdienst ist kein rechtsfreier Raum, in dem alles erlaubt ist. Wer den Originaltext abändert, etwa durch neue Strophen oder Umformulierungen, braucht vorher unsere Zustimmung. Viele meinen, es sei im Gottesdienst "nicht so schlimm", wenn man etwas anpasst – doch das greift in das geschützte Werk ein. Besonders problematisch wird es, wenn solche veränderten Fassungen danach verbreitet werden – etwa durch Gemeindebriefe, Internet, Livestreams oder Tonträger. Dann wird daraus ein rechtlich relevanter Vorgang, den wir nicht dulden können.

Wie haben Sie die Resonanz auf das Verbot erlebt – sowohl von kirchlicher Seite als auch von der Öffentlichkeit?

Schneider: Die Reaktionen sind sehr gemischt – was uns nicht überrascht hat. Viele Menschen verstehen und begrüßen unsere Haltung, gerade weil sie das Lied selbst sehr schätzen. Sie erkennen an, dass es um Schutz, nicht um Besitzstandswahrung geht. Andere empfinden es als Einschränkung ihrer pastoralen oder kreativen Freiheit und wünschen sich situationsbedingte Anpassungen des Textes. In den sozialen Netzwerken sehen wir das ganze Spektrum – von offener Zustimmung bis zu Spott oder Unverständnis. Gleichzeitig fällt auf: Je mehr Menschen sich wirklich mit dem Ursprung und der Intention des Liedes beschäftigen, desto mehr wächst das Verständnis für unsere Haltung. Viele wussten gar nicht, dass es Übersetzungen in mehr als zwei Dutzend Sprachen gibt. Das zeigt, wie tief dieses Lied weltweit berührt. Und es erklärt, warum es uns nicht gleichgültig ist, was damit passiert.

Das "Danke"-Lied ist für viele ein Stück evangelische Kulturgeschichte. Fühlen Sie sich als eine Art "Hüter" dieses Erbes?

Schneider: Ja, vielleicht kann man das so sagen – nicht im Sinne eines Museumswächters, sondern als jemand, der Verantwortung für etwas übernommen hat, das weit über den ursprünglichen Moment hinausgewachsen ist. Mein Vater hat das Lied aus einem sehr konkreten geistlichen Impuls heraus geschrieben, inspiriert von einem einfachen Dankgebet französischer Arbeiterpriester. Diese Demut und Unaufgeregtheit steckt bis heute im Lied. Und ja: Es ist eben keine Bühnennummer, kein Karnevalsschlager, keine Gebrauchsmusik, sondern ein geistliches Lied, das seinen Platz behalten darf. Dass wir das Lied nicht "freigeben", ist also kein Rückzug in Rechthaberei, sondern Ausdruck von Verantwortung. Wir wünschen uns, dass das Lied in der Originalfassung stehen bleibt – als geistliches Zeugnis, nicht als offener Materialpool.

"Solche Einzelfälle klären wir gerne unbürokratisch – aber eben im Dialog, nicht im Selbstbedienungsprinzip"

Wie erleben Sie die Kreativität und Vielfalt der vielfachen Umdichtungen des Liedes – gibt es Varianten, die Sie amüsant oder wenigstens gelungen finden?

Schneider: Natürlich. Wir haben viele Umdichtungen gesehen – manche sind liebevoll gemacht, manche unbedarft, manche irritierend, andere unfreiwillig komisch. Einige berühren uns durchaus, weil sie zeigen, wie tief das Lied im Leben der Menschen verankert ist. Ein schönes Beispiel für eine gelungene, aber nicht genehmigte Fassung kam vom Religionspädagogischen Institut Loccum. Dort hatte jemand einfühlsam einen neuen Einschulungstext zur Melodie geschrieben. Wir haben ihn dennoch nicht freigegeben, weil der Gottesdienstentwurf in der gesamten hannoverschen Landeskirche digital verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden sollte. Die Ablehnung erfolgte in diesem Fall nicht wegen des umgedichteten Textes an sich, sondern zum Schutz vor unkontrollierbarer Streuung.

Was überzeugt Sie, Ausnahmen zuzulassen?

Schneider: Wenn jemand freundlich anfragt, klar benennt, in welchem Kontext etwas verändert werden soll, und wenn es sich um einen sehr begrenzten, nicht-kommerziellen Gebrauch handelt – dann sind wir gesprächsbereit. Ein gutes Beispiel ist eine Mutter, die mir etwas verzweifelt ihre Situation schilderte: Sie hatte zur Hochzeit ihres Sohnes eigene Strophen auf die Melodie des Danke-Liedes gedichtet und erst im Nachhinein erfahren, dass dies ohne Genehmigung nicht erlaubt ist. Die Hochzeit war in fünf Tagen. Natürlich haben wir ihr die Erlaubnis gegeben, den Liedtext bei der Feier zu singen – unter der Maßgabe, dies nicht zu veröffentlichen oder zu filmen. Solche Einzelfälle klären wir gerne unbürokratisch – aber eben im Dialog, nicht im Selbstbedienungsprinzip.

Was raten Sie Kirchengemeinden und Musikgruppen, die das Lied kreativ nutzen möchten – gibt es einen "Wegweiser" für einen respektvollen Umgang mit dem Original?

Schneider: Ja: Das Wichtigste ist, uns anzusprechen, bevor etwas veröffentlicht wird, an die E-Mail-Adresse: info@mgschneider.de. Für den internen liturgischen Gebrauch ist einiges möglich. Aber sobald es in den öffentlichen Raum geht, sei es in einem Gemeindebrief, auf einer Webseite oder in einem Video, gilt das Urheberrecht. Wir haben auf unserer Website alle Informationen gebündelt – auch mit Ansprechpartnern und Erläuterungen, warum uns der Schutz wichtig ist. Wir lehnen Kreativität nicht ab – sondern den Eingriff ins Werk ohne Rückfrage.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Liedes? Soll es so gesungen werden, wie es ist – oder könnten Sie sich unter bestimmten Bedingungen doch einmal eine neue Fassung vorstellen?

Schneider: Ich wünsche mir, dass das Lied weiterlebt – als das, was es ist: ein Lied des Dankens, schlicht, offen und tief zugleich. Es braucht nicht ständig neu erfunden zu werden. Und es hat sich längst bewährt. Aber wenn jemand heute ein neues Lied schreiben will, inspiriert vom Gedanken des "Danke", dann freuen wir uns. Nur: Dann soll es ein eigenes Lied sein, mit eigenem Text und eigener Melodie – und nicht eine Umarbeitung. Das Original steht. Und das soll es auch bleiben.