TV-Tipp: "Chuzpe – Klops braucht der Mensch!"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
4. September, WDR, 23.30 Uhr
TV-Tipp: "Chuzpe – Klops braucht der Mensch!"
Der "Chuzpe"-Titelzusatz "Klops braucht der Mensch!" lässt zwar Schlimmes befürchten, doch dank der für "Arnies Welt" mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Regisseurin Isabel Kleefeld ist der Film eine sanfte melancholische Komödie.

Dieter Hallervorden hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Das ist einerseits auch gut so, der Mann ist schließlich Kabarettist. Gerade in letzter Zeit hat er mit einigen seiner Äußerungen jedoch heftigen Widerspruch provoziert, erst mit seiner Kritik am "Gendern" ("Vergewaltigung der deutschen Sprache"), dann mit einer Stellungnahme zu Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas in Gaza, die ihm prompt den Vorwurf des Antisemitismus’ einbrachte. Womöglich hat die ARD auch deshalb auf eine Würdigung zum runden Geburtstag – morgen wird der gebürtige Dessauer neunzig – verzichtet. 

Vor zehn Jahren war das noch anders, da hat die ARD Hallervorden mit "Chuzpe" einen Film geschenkt, in dem er noch mal zeigen konnte, was für ein großartiger Schauspieler er ist. Dank "Nonstop Nonsens" (1975 bis 1980) und Kinoklamotten wie der "Didi"-Reihe kannte ihn alle Welt und offenbar auch die Film- und Fernsehbranche lange Zeit bloß als Komiker. In dem Drama "Sein letztes Rennen" (2013), in dem er als einstiger Marathon-Olympiasieger buchstäblich dem drögen Alltag in einem Seniorenheim davonläuft, durfte der Komödiant beweisen, dass er auch anders kann. Der Kinoerfolg "Honig im Kopf" (sieben Millionen Zuschauer!) bescherte ihm ein Jahr später, wenn man so will, endgültig den dritten Frühling.

Der "Chuzpe"-Titelzusatz "Klops braucht der Mensch!" lässt zwar Schlimmes befürchten, doch dank der für "Arnies Welt" mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Regisseurin Isabel Kleefeld ist der Film eine sanfte melancholische Komödie, die zwar ganz auf ihren Hauptdarsteller zugeschnitten ist, aber neben ihm noch viel Platz für die weiteren Mitwirkenden lässt; Hallervorden wird unter Kollegen nicht zuletzt dank seiner gewaltigen Bühnenerfahrung ohnehin als Mannschaftsspieler geschätzt. Das Drehbuch von Andrea Stoll ("Und alle haben geschwiegen") basiert auf dem gleichnamigen Roman der New Yorker Autorin Lily Brett, die 1946 in Oberbayern als Tochter zweier Auschwitz-Überlebender zur Welt gekommen ist. 

Zumindest in Teilen erzählen Buch und Film auch ihre Geschichte: Edek Rotwachs hat einst Auschwitz überlebt und ist nach dem Krieg nach Australien ausgewandert. Seit fünf Jahren ist er Witwer, seine Freunde leben nicht mehr, und deshalb überredet Tochter Ruth (Anja Kling) ihren Vater, zu ihr nach Berlin zu ziehen. Dort geht er ihr allerdings bald auf den Wecker (oder "auf die Uhr", wie Edek in seinem lustigen Deutschjiddisch sagt), denn der betagte Herr fühlt sich noch quicklebendig und hat keine Lust, still in der Ecke zu sitzen und auf den Tod zu warten.

Zunächst stiftet er allerlei Unruhe in Ruths Büro, dann lässt er sich auf ein finanzielles Abenteuer ein: Gemeinsam mit der gleichfalls verwitweten polnischen Urlaubsbekanntschaft Zofia (Franziska Troegner) und ihrer Freundin Valentina (Natalia Bobyleva) will er ein Fleischklops-Restaurant aufmachen, allerdings "jwd", wie man in Berlin sagt: janz weit draußen. Das kann nicht funktionieren, denkt sich die stets besorgte Ruth, doch der Ruf der Klopse verbreitet sich wie ein Lauffeuer, denn Zofias Fleischbällchen sind laut Edek "nicht von dieser Welt", und das schlicht "Klops" genannte Lokal wird zum "Hotspot" der Stadt.

"Chuzpe" ist zwar durchaus diesseitig, aber dennoch ein besonderer Film: vorzüglich ausgedacht, wunderbar umgesetzt, treffend besetzt und großartig gespielt. Gerade Anja Kling ist als pessimistischer Gegenentwurf zum lebensbejahenden Edek eine perfekte Ergänzung zu Hallervorden, zumal beide ihre Figuren nicht komödiantisch anlegen; komisch wird die Geschichte erst durch die Konfrontation mit den Umständen. Herrlich sind schon allein Ruths indignierte Blicke angesichts der überbordenden Herz- und Weiblichkeit von Zofia, die sich nicht nur als Edeks Geschäftspartnerin entpuppt.

Eine kleine, aber feine Rolle hat Hans-Jochen Wagner als Ruths Mann, der seine Frau regelmäßig mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren muss; zum Beispiel mit der Tatsache, dass man auch im hohen Alter noch empfänglich für sexuelle Reize ist. Ruth ist ohnehin eine hochinteressante Figur: Als Kommunikationsexpertin trainiert sie weibliche Führungskräfte, aber die eigenen Schwächen verdrängt sie. Darüber hinaus ist es den Verantwortlichen hoch anzurechnen, dass das Holocaust-Thema keineswegs versteckt wird. Gerade der Kontrast zwischen Edek, der allen Grund dazu hätte, überall nur halbleere Gläser zu sehen, und seiner ständig schwarz sehenden (und entsprechend gekleideten) Tochter macht den großen Reiz dieser sympathischen sanften Komödie aus.