Mit 15, da habe ich mich heimlich nachts davongeschlichen, die Unterschrift für die verpatze Mathe-Arbeit gefälscht, zum ersten Mal über die Stränge geschlagen. Was die Mutter gesagt hat, ging zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Ja, mit 15, da hat man andere Dinge im Kopf. Und dennoch stand ich jeden Sonntag um 10 Uhr im Gemeindehaus und habe gemeinsam mit anderen Teamerinnen einen Kindergottesdienst geleitet. Wir haben gesungen, gebastelt, gelacht und die Texte fürs Krippenspiel geübt.
Doch wie bekommt man nun Jugendliche, die nicht gerade vorhaben, Theologie zu studieren in die Kirche? Wie vermittelt man ihnen, was Glaube leisten, wie er Halt geben kann, in einer Zeit, in der so viel so wichtig, so viel aber auch so unsicher ist? Für den fünften Teil der Serie habe ich mit Jan Crocoll gesprochen, Jugendreferent beim Evangelischen Jugendwerk im Bezirk Neuenstadt.
Jan hatte mit Kirche lange kaum etwas am Hut. Den Konfi-Unterricht fand er abschreckend, Gottesdienste besuchte er höchstens aus "Karma-Gründen". Erst mit 18 stolperte er in eine kleine, lebendige Gemeinde, in der der Glaube nicht nur erklärt, sondern wirklich gelebt wurde. Diese Erfahrung veränderte seinen Blick. Er wollte Kirche so gestalten, dass Menschen Gott wirklich begegnen und ließ sich zum Religions- und Gemeindepädagogen ausbilden.
evangelisch.de: Du arbeitest mit Jugendlichen im Konfi-Alter und darüber hinaus. Was fasziniert dich an dieser Altersgruppe?
Jan Crocoll: Es gibt da so einen Satz: "Was ich tue, formt meine Gewohnheiten. Meine Gewohnheiten prägen meine Haltung. Und meine Haltung wird zu meinem Charakter." Der hat vor allem im Bezug auf Jugendliche enorme Kraft, denn auch wenn in dem Alter einerseits eine Lockerheit, Leichtigkeit herrscht, so haben sich bestimmte Muster und Verhaltensweisen noch nicht fest eingegraben. Ich glaube, dass man Menschen in dem Alter einfach richtig tief erreichen kann und dass das, was sie da erleben, sie fürs Leben prägen kann.
Wie unterscheidet sich deine Arbeit mit Jugendlichen ab 15 von der Konfi-Arbeit?
Jan: Im Kern gar nicht so sehr, ich arbeite mit denselben Grundprinzipien. Der größte Unterschied: In der Konfi-Arbeit sind die Gruppen extrem gemischt, vom Einser-Gymnasiasten bis zum Förderschüler. Später sind die Gruppen oft homogener, da kann ich gezielter arbeiten. Aber egal wie alt, ich frage mich immer, was diese Gruppe gerade braucht und wie ich ihr so begegnen kann, wie es Jesus tun würde.
Manches hilft meistens: Freundschaft, Raum für Begegnung und Spaß. Egal wie unterschiedlich Jugendliche sind – ob Sportler, Musiker oder Künstler – die meisten lachen gern. Unsere Gesangbücher wurden jedenfalls häufiger als Spielfeldbegrenzung genutzt als zum Singen.
Was verändert sich ab 15 im Zugang zu Glauben und Gebet?
Jan: Ab 15 sind Jugendliche selbstständiger, haben eine eigene Meinung und bringen sie auch ein. Sie hinterfragen mehr, merken sofort, ob ich echt bin oder nicht. Generell spielen Vorbilder eine große Rolle. Und zwar nicht mehr so sehr die Eltern, sondern andere Menschen.
Es zählt auch nicht nur das, was ich sage, sondern wie. Und da ist schon der springende Punkt: nicht über sie, sondern mit ihnen zu sprechen! Ihre Meinung hören, ihnen Raum geben, sie ernst nehmen. Und es macht einen riesigen Unterschied, in welchem Rahmen Gespräche stattfinden. Ob ich im Stuhlkreis sitze und sage: "Erzähl mir deine Familiengeschichte", oder ob ich mit zwei Jungs draußen Holz hacke und dann einer erzählt: "Mein Vater ist damals abgehauen." Und von da aus kommen wir dann ins Gespräch über Vertrauen, über Gott und Vaterbilder.
Und in so einem Rahmen erzählen dir Jugendliche auch, wie oder ob sie beten?
Jan: Ja, ein bisschen schon. Viele erzählen, dass sie tatsächlich abends, vorm Einschlafen beten. Oft ganz klassisch:
"Ich bitte Gott, dass mein Haustier gesund bleibt."
"Ich bitte, dass ich die Prüfung bestehe."
"Dass meine Oma gesund wird."
"Dass mein Sportverein gewinnt."
Für viele ist Gebet: Ich rede mit Gott und sage ihm, was ich brauche. Dagegen habe ich nichts. Aber Gebet kann noch mehr sein. Für mich ist Gebet, dass ich mein Herz synchronisiere, mich ausrichte, um Gottes Willen zu erkennen. Und dass ich immer wieder neu die Entscheidung treffe, seinen Willen zu tun – soweit es mir eben mit meinen bescheidenen Möglichkeiten gelingt.
Deshalb versuche ich, Jugendlichen die Schönheit daran zu zeigen. Nicht im Sinne von: "Du musst jetzt deine stille Zeit machen!", sondern eher so: "Hey, das ist ein Schatz und er bringt dich näher zu dem Menschen, den Gott in dich hineingelegt hat." Und dann rede ich nicht nur darüber, ich probiere es mit ihnen aus.
Ich sag zum Beispiel: Setz dich hin. Leg deine Hände auf deine Beine. Mach fünf Minuten lang nichts. Keine Musik, kein Handy, keine Ablenkung. Einfach Stille. Das ist vielleicht nicht kreativ im bunten Sinne, aber für viele Jugendliche heute ist das etwas völlig Neues.
Und ich glaube, das ist gerade deshalb so wichtig. Wir sind ständig irgendwie online, ständig im Außen. Aber mal fünf Minuten einfach still sein, das kann total heilsam sein. Und für mich ist das: Gebet. Und wenn du dabei einen Gedanken bekommst – vielleicht ist er ja von Gott.
Hast du noch weitere Methoden, wie Jugendliche Zugang zum Gebet finden können?
Jan: Jeder Mensch ist anders, daher brauchen wir verschiedenste Zugänge. Doch zum Glück gibt es überall neue Wege, Gott zu begegnen. Wenn du auf eine Demo gehst – für Amnesty International oder so – und dich da für Gerechtigkeit einsetzt, kann das Gebet sein. Oder wenn du Musik hörst, die dich berührt. Oder wenn du mit anderen unterwegs bist, in einem Zeltlager mit Lichtershow, auch das kann Begegnung mit Gott sein. Es gibt nicht die eine Form.
Wie schafft man es, die Jugendlichen noch tiefer ins Erleben zu bringen?
Das Wichtigste ist, selbst Freude daran zu haben. Wenn dich etwas berührt hat, strahlst du das aus, und andere wollen es ausprobieren. Ich habe mir einmal drei Tage komplett offline gegönnt, und das hat mich so verändert, dass einige Jugendliche gesagt haben: "Das will ich auch mal." Also sind wir mit einer Gruppe 16- bis 20-Jähriger in ein Kloster gefahren, ohne Programm. Jeder konnte die Zeit frei gestalten. Und da habe ich gemerkt: Der Ort macht etwas mit Menschen. Sie hatten tiefe Erfahrungen, kamen mit Gott in Kontakt. In so einem Rahmen entsteht eine Tiefe, die etwa im Konfiunterricht selten möglich ist – einfach, weil die Gruppe selbst die Bereitschaft und die Sehnsucht mitbringt.
Gebet spielt für dich also eine große Rolle. Was bedeutet es dir persönlich?
Jan: Gebet ist für mich ein Mysterium. Ich versteh’s nicht, aber ich glaube, dass Gott in die Geschichten von Menschen eingreift. Ein Erlebnis hat sich mir eingebrannt: Eine Jugendliche, die ich mal konfirmiert hatte, war plötzlich nicht mehr in der Gruppe. Später habe ich erfahren, dass sie Magersucht hatte. Wir haben uns getroffen – es ging ihr sehr schlecht. Ich konnte nichts sagen, was sie nicht schon in der Therapie gehört hatte, aber ich habe angeboten, für sie zu beten. Ich habe gebetet – ohne besonderes Gefühl, ohne Regenbogen oder Trompeten. Danach haben wir uns wochenlang nicht gesehen und ich habe auch nicht ständig daran gedacht. Ein paar Wochen später traf ich ihren Vater bei einer Veranstaltung. Er nahm mich in den Arm, mit Tränen in den Augen, und sagte: "Danke, danke, danke." Drei Tage nach unserem Gespräch habe seine Tochter wieder angefangen zu essen. Da krieg ich heute noch Gänsehaut.
"Entweder es wird toll oder es wird ein Erlebnis"
Wie kann man denn Gebete zu Hause gut umsetzen und was können Eltern tun?
Jan: Ich glaube, man sollte niemanden langweilen und auch niemanden zwingen. Wenn ich mich selbst nur aus Pflichtbewusstsein durch etwas quäle, merken Jugendliche das sofort. Ehrlicher ist es zu sagen: "Für mich ist das wichtig, weil ich glaube, dass es etwas Gutes sein kann. Ich würde mich freuen, wenn du dich darauf einlassen kannst." Ein Satz, den ich da ganz gern verwende, ist: "Entweder es wird toll oder es wird ein Erlebnis."
Man kann dann Verschiedenes ausprobieren: Gebetskarten mit einem kurzen Psalm, gemeinsam spazieren gehen, eine Kerze anzünden. Was auch viele mögen ist, das Gebet aufzuschreiben. Für manche ist das leichter, als ins "Nichts" zu sprechen. Es darf einfach sein. Gleichzeitig können Eltern nicht alles steuern – manche Jugendliche hören mit 15 schlicht nicht mehr so auf ihre Eltern, und das ist nicht böse gemeint. Ich glaube, wenn man erst mit 15 anfängt, wird es schwer. Besser ist es, schon im Kindesalter positive Erfahrungen mit Glauben zu ermöglichen.
Was ist wichtig, wenn sie es ausprobieren?
Jan: Dass sie ihren eigenen Zugang finden. Und das geht oft nur über Beziehung und Vertrauen. Auf einer Freizeit haben wir zum Beispiel ganz kleinschrittig erklärt, wie Beten geht: "Setz dich hin. Du kannst die Hände falten – musst du aber nicht. Du kannst die Augen schließen – musst du aber nicht. Du kannst laut beten – oder in Gedanken." Für viele, die nicht christlich sozialisiert sind, war das neu und total hilfreich, weil sie gemerkt haben, wie unkompliziert Beten sein kann.
Manchmal beten wir auch einfach reihum füreinander. Es war total berührend, denn da merkt man auf einmal: Hey, der andere wünscht mir ja nur Gutes.
Was auch richtig toll war: Wir haben mal im Kreis gesessen und über eine Person gesprochen. Also nicht irgendwie über sie geredet, sondern jeder hat gesagt, was er für einen Eindruck von ihr hat. Es ging um eine Teamerin, die war selber erst 18 oder so. Und die Jugendlichen haben sowas gesagt wie: "Ich glaube, Gott will dir sagen, dass du richtig toll bist – und dass du geliebt bist." Sie hat geweint vor Freude, sie hat sich so gefreut.
Solche Momente wirken aber eben nur, weil vorher schon echte Verbindung entstanden ist – durchs gemeinsame Spielen, Anfeuern, Zusammen-Lachen und -Leiden. Wenn diese Basis da ist, trauen sich Jugendliche eher, sich zu öffnen.
Zum Schluss: Gibt es einen Gedanken, den du Jugendlichen besonders gern mit auf den Weg gibst?
Jan: Ja. Mein Lieblingssatz ist: "Wenn du etwas Verrücktes erleben willst, dann mach … nichts." Setz dich fünf Minuten still hin, sag: "Ich bin da. Gott ist da." und schau, was passiert. Ich mag diesen Widerspruch. Was erstmal langweilig klingt, kann das Verrückteste überhaupt sein. Manchmal machen die Jugendlichen das mit und sagen hinterher, dass sie es spannend fanden. Und wenn einige denken: "Das waren die langweiligsten fünf Minuten meines Lebens." – dann ist das auch okay. Wichtig ist für mich einfach, dass sie es ausprobieren.