Wie Jugendliche ihre Stimme finden

Jugendliche in Spielbällen
Karsten Damm-Wagenitz
Glaube muss für den Pastor Karsten Damm-Wagenitz vor allem erlebbar sein. Deshalb will er Jugendlichen Räume eröffnen, in denen sie spielerisch und mit allen Sinnen Glauben entdecken können
Beten mit Kindern & Jugendlichen
Wie Jugendliche ihre Stimme finden
Mitten in der Pubertät suchen Jugendliche nach Halt – und stellen vieles infrage. Wie Glaube und Gebet in dieser Zeit trotzdem, oder gerade deshalb, Kraft geben können, zeigt der vierte Teil der Serie Beten mit Kindern und Jugendlichen. Der vierte Teil unserer Serie widmet sich dem Gebet mit Kindern im Alter von 12 bis 15 Jahren.

Nach und nach treten die Jugendlichen durch das große Kirchenportal – manche leise und bedächtig, andere zögerlich, wieder andere selbstbewusst. Zwei zünden Kerzen an, einige blättern Psalmen suchend in den Gesangbüchern, eine geht langsam durch das Labyrinth aus Seilen, das sich durch den Altarraum windet. Wieder andere sitzen mit Kopfhörern da, hören Musik, halten inne. So sieht es aus, wenn Jugendliche beten. Oder zumindest: wenn sie es ausprobieren dürfen – ohne Vorgabe, ohne Druck, ohne Bewertung.

Karsten Damm-Wagenitz hat bereits lange vor Corona mit Gebetsstationen gearbeitet, doch damals war es oft laut, unruhig, gruppengetrieben. "Ein Gefühl von Gebetsatmosphäre kam da kaum auf", sagt er. In der Pandemie änderte sich das: Die Jugendlichen kamen mit Abstand, einzeln. Und plötzlich war sie da: die Ruhe. 

Seit 2023 ist Karsten Damm-Wagenitz Dozent für Konfirmand:innenarbeit am Religionspädagogischen Institut in Loccum. Zuvor war er viele Jahre Gemeindepastor – mit einem Schwerpunkt, der sich wie ein roter Faden durch seine Berufsjahre zieht: die Arbeit mit Konfis. "Ich dachte mal: Als junger Mensch arbeitet man mit Jugendlichen, später dann mit Erwachsenen", erzählt er lachend. "Aber ich habe gemerkt, dass mich die Arbeit mit jungen Menschen immer noch begeistert."

Zwischen Zweifel und dem Wunsch zu glauben

Die Konfi-Zeit fällt mitten in die Pubertät – und genau das macht sie so spannend, sagt der 63-Jährige. "Da wird alles neu sortiert. Aus einem Kind wird ein junger Mensch. Das ganze Gehirn wird umgebaut." Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? In der Familie, der Klasse, der Welt? Die Jugendlichen befinden sich in einer Phase des Suchens. "Was früher vielleicht einfach gegolten hat, wird auf einmal infrage gestellt. Nicht aus Ablehnung, sondern als Entwicklungsschritt."

Damm-Wagenitz versucht in seiner Arbeit mit Konfis, genau dafür Raum zu schaffen. "Ich stelle gerne provozierende Fragen: Hat Gott auch die lästigen Mücken geschaffen? Ist das mit der Jungfrauengeburt plausibel?" Manche sagen, Gott kann das, andere finden es Quatsch. Karsten – wie ihn die Konfis ansprechen – sagt nicht: das ist richtig und das falsch. "Ich will niemandem den kindlichen Glauben nehmen, aber auch nicht so tun, als gäbe es keine Zweifel. Es geht darum, dass sie sich selbst ein Bild machen." 

Wenn Beten ganz anders klingt als gedacht

"Man darf nicht voraussetzen, dass viele Jugendliche heute noch mit Beten aufgewachsen sind", weiß der Pastor. Kaum jemand kommt mit einer klaren Vorstellung oder festen Praxis in die Konfi-Zeit. "Vielleicht kennen sie Gebete aus dem Gottesdienst: vorne sagt jemand was, am Ende sagt man Amen. Aber selbst beten? Für viele völlig ungewohnt." 

Gerade deshalb will er zeigen: Gebet kann ganz unterschiedlich aussehen. Es ist viel mehr als vorformulierte Floskeln. Es darf persönlich sein. Fragend. Etwas Eigenes. "Die Konfis sollen merken: Du kannst beim Beten nichts falsch machen. Da sitzt keiner und sagt: Du hast jetzt falsch gebetet."

Der Pastor Karsten Damm-Wagenitz ist fünffacher Vater und Dozent für Konfirmand:innenarbeit.

Und eben weil Beten jetzt so persönlich geworden ist, gibt es in diesem Teil der Serie keine nachzusprechenden Beispiele. Stattdessen stehen mögliche Zugänge im Mittelpunkt. Die Ideen aus der Konfi-Arbeit von Karsten Damm-Wagenitz lassen sich auch zu Hause umsetzen.  

Impulse für den Alltag – Sieben Stationen, sieben Zugänge

Kerze anzünden

In vielen Kirchen gibt es eine Ecke, in der man Kerzen anzünden kann. Kurz still werden, Licht entzünden, vielleicht an jemanden denken – das hat eine große Wirkung.

"Wenn ich am Ende frage, was ihre Lieblingsstation war, ist das fast immer diese", lächelt Damm-Wagenitz. 

Labyrinth gehen

Im Altarraum liegt aus Seilen ein Weg, der sich wie ein Labyrinth schlängelt. "Manchmal kommen die Konfis dem Altar ganz nahe, dann geht der Weg wieder weg, und irgendwann sind sie in der Mitte." Dort können sie ein Gebet sprechen, die Klangschale anschlagen oder einfach nur ankommen. "Manche spüren dabei: Ich bin mit etwas unterwegs. Vielleicht sogar mit Gott." 

Gebetshaltungen ausprobieren

An dieser Station liegen Fotos mit verschiedenen Gebetshaltungen aus – offen, gefaltet, segnend. Es gibt eine Kniebank, manchmal auch einen Sitzsack. " Es geht einfach darum, mal auszuprobieren, wie sich das Gebet auch körperlich anfühlen kann", erklärt der Pastor. 

Psalm lesen

Gesangbücher liegen aus, einige Psalmnummern sind vorgeschlagen, aber auch eigene Auswahl ist möglich. Wer will, geht damit leise durch die Kirche, liest einen Psalm für sich – manchmal mehrfach. "Es geht dabei nicht darum, alles zu verstehen, sondern die Worte auf sich wirken zu lassen."

Gebet schreiben

Hier geht es darum, zu einem Thema ein persönliches Gebet zu formulieren. Zur Auswahl stehen Alltagssituationen wie: ‚Ich schreibe morgen eine Klassenarbeit‘, ‚Ich hab Ärger mit meinen Eltern‘ oder ‚Ich bin verliebt‘. "Manche schreiben nur: ‚Lieber Gott, mach, dass ich morgen eine Zwei schreibe.‘ Andere fangen an, wirklich ein kleines Gespräch zu führen", erzählt Damm-Wagenitz. 

Beten mit Musik

Ein ruhiges Musikstück, gehört über Kopfhörer. "Für viele ist das ungewöhnlich. Aber wenn sie sich darauf einlassen, kann es sehr intensiv sein. Einfach mal sitzen, hören, da sein. Auch das kann Beten sein." 

Gebet spielerisch entdecken 

In Apps wie z.B. Actionbound kann man Schnitzeljagden, Rallys oder Stationen erstellen, etwa das Vaterunser oder das Glaubensbekenntnis durcheinanderwürfeln lassen. Die Jugendlichen versuchen dann, alles wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen. "Es bringt sie spielerisch dazu, sich mit dem Inhalt zu beschäftigen." 

Wenn seine Konfis die Gebetsstationen durchgegangen sind, gibt es eine kurze Auswertung per App. Da können die Konfis anklicken, welche Station ihre liebste war oder Sätze auswählen wie:

  •  "Im Gebet kann ich Gott alles sagen."
  •  "Im Gebet nehme ich Verbindung zu Gott auf."
  •  "Beten gibt mir neue Kraft."
  •  "Im Gebet erfahre ich Gottes Nähe."

Diese Aussagen bekommen erstaunlich viel Zustimmung. Und auch: ‚Ich bete regelmäßig.‘ wird öfter angegeben, als der Pastor erwartet hätte. Was dagegen jedoch fast nie angeklickt wird, ist: ‚Beten ist Zeitverschwendung‘ oder ‚Wer betet, spricht nur mit sich selbst‘. Das macht dem Dozenten Hoffnung. 

Wie Glaube in Unsicherheit wachsen kann

Gerade in schwierigen Situationen kann Gebet Jugendlichen Halt geben – auch wenn sie selten offen darüber sprechen. "Vielen geht es wie in dem Lied von Adel Tawil und sie fragen sich: Ist da jemand?", erzählt Karsten Damm-Wagenitz. "Ich rate ihnen, Beten einfach mal auszuprobieren. Vielleicht tut das gut. Vielleicht ist es nur ein Selbstgespräch, aber vielleicht ist da ja doch jemand."

Dass sich in der Konfi-Zeit etwas bewegt, zeigt sich auch in Zahlen. In einer großen Studie stimmten zu Beginn des Unterrichts 43 Prozent der Aussage "Beten ist für mich wichtig" zu, am Ende 53. Bei Jugendlichen aus nicht-religiösen Elternhäusern stieg der Wert von 31 auf 47 Prozent. "Das finde ich bemerkenswert", so Damm-Wagenitz. Manchmal hört der Pastor Sätze wie: Ich habe zu Gott gefunden. "Wenn so etwas entsteht, ohne dass wir es vorgeben, dann ist da wirklich etwas gewachsen, das nicht von außen kam, sondern aus ihnen selbst", freut sich der 63-Jährige. 

Fragen statt Antworten – und ganz viel Respekt

Der Pastor hat den Eindruck, dass Eltern ihre Kinder heute wieder bewusster zur Konfi-Zeit schicken – auch, weil sie spüren: In der Kirche werden Werte vermittelt. Gerade in einer Zeit, in der vieles unsicher scheint, kann das Halt geben. Und für viele Jugendliche ist genau das ein Zugang: "Wenn wir über Werte sprechen, sind wir nah dran an dem, was sie bewegt", sagt er. Es geht nicht um Regeln, sondern um Fragen wie: Was trägt mich? Was ist mir wichtig?"Dann diskutieren sie. Respekt, Freundschaft, Liebe – das ist ihnen ernst."

Was Erwachsene tun können? "Selbst Respekt zeigen. Ich bin überzeugt: Jugendliche merken in Sekunden, ob ihnen jemand mit Respekt begegnet. Ob da jemand ist, der ihnen zugewandt ist, der sie ernst nimmt, der ihnen etwas zutraut." Das sei die Grundlage, damit überhaupt etwas in Bewegung komme – auch im Blick auf Glaube oder Beten. "Nicht von oben herab sagen, wie alles richtig geht. Sondern gemeinsam hinschauen."

Persönliche Erfahrung statt Pflichtstoff

Für die Zukunft der Konfi-Arbeit wünscht sich Karsten Damm-Wagenitz weniger Pflichtstoff und mehr Perspektive. "Ich wünsche mir, dass wir uns stärker daran orientieren, was Jugendliche wirklich brauchen. Nicht: Was müssen sie für die Konfirmation wissen? Sondern: Was macht sie stark fürs Leben?" Zudem soll Glauben nicht nur erklärt, sondern erlebt werden. "So entsteht Raum, in dem sie sich selbst entdecken können – etwa über den Bibliolog oder das Nachspielen von Bibelgeschichten. Und dann merken sie: Diese alte Geschichte hat irgendwie mit mir zu tun."

Was er den Jugendlichen am Ende ihrer gemeinsamen Zeit mitgeben möchte, fasst Damm-Wagenitz in drei Punkten zusammen:

  • Das Vaterunser als Schatz - "Ich frage nichts ab, meine Konfis müssen nichts auswendig lernen," sagt er. "Aber am Ende einer Stunde sprechen wir gemeinsam das Vaterunser. Und ich hoffe einfach, dass sie das mitnehmen. Nicht als etwas, das sie auswendig gelernt haben, sondern als etwas, das sie als Teil der Christenheit verbindet." 
  • Die Goldene Regel - Wie möchte ich, dass andere mit mir umgehen? Und dann daraus abgeleitet: Wie gehe ich selbst mit anderen um? "Es ist eine alltägliche Regel. Und sie steht nicht nur in der Bibel, sondern in fast allen großen Traditionen."
  • Die Zusage: Gott ist für euch da- "Das ist etwas, dass ich bewusst mitgebe", sagt Damm-Wagenitz. "Das wird ihnen später auch bei der Konfirmation im Segen zugesprochen. Aber ich finde, es ist gut, das zwischendurch auch immer wieder zu hören."

Wenn Worte ermutigen und ermächtigen

Es gibt Stimmen, die würden die Konfirmation lieber in ein früheres Alter verschieben, oder nach hinten. Denn ja, zwischen 12 und 15 Jahren passiert so viel und das ist nicht immer leicht. Für Karsten Damm-Wagenitz jedoch ist es unglaublich wertvoll, die Jugendlichen gerade in diesen Momenten begleiten zu dürfen. "Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, die Jugendlichen zu ermutigen, einen eigenen Standpunkt zu finden." Denn genau in dieser aufwühlenden Zeit kann Glaube und Gebet eine willkommene Stütze sein. 

Im nächsten Teil geht es um das Beten mit Jugendlichen ab 15. Jan Crocoll erzählt, wie Glaube in diesem Alter oft außerhalb kirchlicher Räume weiterlebt – stiller, freier, persönlicher. Und wie Erwachsene jungen Menschen helfen können, diesen Weg zu gehen, ohne ihn vorzugeben.