Auf diesem Weg ist Siegbert Wesner jeder Meter vertraut. 33 Jahre lang schon geht der Jurist die gut zwei Kilometer in Bremen morgens zu Fuß zur Arbeit und nach Dienstschluss wieder zurück: Von der Haustür an einer Fahrradstraße entlang, durch einen Park, zwischen Dom und Marktplatz Richtung Weser. Über dem Fluss pustet es meist ordentlich - die Chance, die Lungen durchzulüften.
Dann steht er vor seinem Büro. So sind hin und zurück über die Jahre mehr als 30.000 Kilometer zusammengekommen: eine Strecke so lang, als würde man entlang des Äquators drei Viertel der Erdkugel umrunden.
Besonders der Weg durch die idyllischen Wallanlagen am Rand der historischen Altstadt hat es ihm angetan. Wesner liebt die denkmalgeschützte grüne Oase. Wenn er morgens an alten Bäumen und ruhigen Wasserflächen entlanggeht, gibt ihm das einen mentalen Schub für den Tag, wie er erzählt: "Das ist so schön, besonders natürlich, wenn die Sonne scheint."
Frauen laufen mehr
Wesner ist Trendsetter: Laut Fachverband Fußverkehr Deutschland sind die Wege zu Fuß die wachstumsstärkste Mobilitätsform. "2017 wurden nach einer Studie des Verkehrsministeriums unter dem Titel 'Mobilität in Deutschland' 22 Prozent aller Weg komplett zu Fuß zurückgelegt, 2023 waren es schon 26 Prozent", sagt Vorstand Roland Stimpel. Zahlen zu den Arbeitswegen gebe es leider nur für 2017. "Die heutigen Werte dürften höher sein." Damals seien neun Prozent aller Wege zum Job komplett zu Fuß gemacht worden. "Frauen laufen öfter zur Arbeit. Sie legten elf Prozent ihrer Arbeitswege zu Fuß zurück, Männer acht Prozent."
Am häufigsten würden natürlich kurze Arbeitswege gegangen: "Unter 500 Meter zu 73 Prozent, zwischen 500 und 1.000 Metern zu 43 Prozent, aber immerhin noch 7 Prozent der Wege von zwei bis fünf Kilometern Länge."
Zufriedener und gesünder
Siegbert Wesner braucht für seine Strecke etwa 30 Minuten. "Im Büro sitze ich den ganzen Tag, auf dem Weg zur Arbeit habe ich Bewegung und frische Luft, da kann ich ohne großen Aufwand etwas für meine Gesundheit tun", sagt der ausdauernde Fußgänger, der nur im Ausnahmefall bei ganz schlechtem Wetter mit der Straßenbahn fährt. "Der Fußweg ist für mich vitalisierend, vertreibt morgens die Müdigkeit, bringt mich in Schwung."
So ist es ihm gelungen, eine gute Stunde Bewegung ohne Mehraufwand in seine tägliche Routine einzubinden. "Auf dem Hinweg lasse ich mir manchmal durch den Kopf gehen, was auf dem Programm steht, kann meine Gedanken ordnen und starte gut vorbereitet in den Arbeitstag", erzählt er. Ende November geht er offiziell in den Ruhestand.
Dass neben dem Geldbeutel auch Körper und Geist vom Fußweg zur Arbeitsstelle profitieren, bestätigt eine britische Langzeituntersuchung mit knapp 18.000 erwachsenen Probanden. Die Forscher fanden heraus, dass es Menschen mental zufriedener gemacht hat, sie sich im Job besser konzentrieren konnten und sich weniger gestresst fühlten, wenn sie zu Fuß oder mit dem Rad zur Arbeit kamen. Und auch körperlich sorgt ein aktiver Weg zur Arbeit für Pluspunkte, etwa durch ein geringeres Risiko, Diabetes oder Bluthochdruck zu entwickeln, wie weitere Untersuchungen zeigten.
Sicherheit verbessern
Auf Wesners Weg zur Arbeit gibt es aber nicht nur Idylle, sondern teils auch viel Verkehr, unter anderem drei große Kreuzungen. "Nie was passiert", freut sich der Bremer. Generell allerdings seien Fußgängerinnen und Fußgänger als "Verkehrsteilnehmende ohne Knautschzone" besonders gefährdet, warnt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat. So wurden im vergangenen Jahr in Deutschland laut Statistischem Bundesamt knapp 28.000 Fußgänger im Straßenverkehr verletzt, 402 getötet. Ältere über 65 Jahre sind besonders gefährdet.
Analysen deuten laut Verkehrssicherheitsrat an, dass Fußgängerunfälle häufig von Autos verursacht werden. Aber auch, wenn Fußgänger Fehler machen, steigt das Risiko - etwa, wenn sie bei Rot über eine Straße gehen, plötzlich hinter einem Hindernis hervortreten oder die Straße kreuzen, ohne auf den Verkehr zu achten.
Um die Sicherheit zu erhöhen, könne viel getan werden, betont Verbandsvorstand Roland Stimpel. Er hat drei Prioritäten: Tempo 30, wo Fahrbahnen zu Fuß überquert werden müssen, dazu mehr Zebrastreifen, Mittelinseln, freie Sichtfelder am Bordstein, nicht zugeparkte Kreuzungen - und Gehwege, die nicht befahren und auf denen auch nicht geparkt wird.
Viele dieser Maßnahmen sind auf dem Weg von Siegbert Wesner bereits umgesetzt. Gute Voraussetzungen für den Arbeitsweg zu Fuß, der im Ruhestand aber für den 66-Jährigen wegfällt. Trotzdem will er weiterhin per pedes unterwegs sein. "In die Stadt, zu Terminen, bei Spaziergängen, so oft es geht - mir tut das gut, das gebe ich nicht auf."



