Eine biografische und zugleich globale Historie der Ukraine
Das Anliegen des renommierten Historikers ist eine Darstellung der Geschichte seines Heimatlandes, in der die langen Prozesse der Entwicklung bis zur Gegenwart aufgezeigt werden. Zugleich werden diese Abläufe nicht nur innerhalb der Ukraine beschrieben, sondern immer auch in den globalen Kontext gestellt. Mit diesem wissenschaftlichen Ansatz ist ein Buch entstanden, dessen Komplexität und Lesbarkeit es zu einem "Bestseller" gemacht haben.
Es bedrückt, die Entwicklung dieses Landes und Volkes in ihren Prozessen aufgezeigt zu bekommen. Imposant, wie diese Nation zu ihrem Selbstbewusstsein gefunden hat und was es für die Menschen heißt, dieses zu erhalten.
Es beeindruckt, wie sich ein Land zwischen Nachbarstaaten, Unterdrückung, Kolonialisierung, Ausbeutung, Befreiung, Urbanisierung, Industrialisierung und Landwirtschaft zur heutigen Ukraine entwickelt hat.
Es ist ein unverzichtbares Buch, um die gegenwärtige Situation im Russland-Ukraine-Krieg auch nur annähernd einschätzen zu können.
Dieses Buch gehört unanfechtbar in jede gute Bibliothek!
Dirk Purz
Hrytsak, Yaroslav: Ukraine - Biographie einer bedrängten Nation. Yaroslav Hrytsak. Dt. von Karlheinz Dürr u. Norbert Juraschitz. 2. Aufl. München: C.H.Beck 2025. 480 S. ; 22 cm. Aus d. Ukrain.
ISBN 978-3-406-82162-2, geb.: 34,00 €
Ein Einblick in die Situation queerer Menschen in Georgien und die Abwägungen, die sie treffen müssen
Elene lebt in Georgiens Hauptstadt Tbilissi als freie Lektorin und Übersetzerin. Als sie das zweite Zimmer ihrer Wohnung an eine junge Aktivistin untervermietet, prallen zwei Weltansichten aufeinander: Auf der einen Seite Elene, die keine Aufmerksamkeit erregen möchte, um ihre Sexualität zu verstecken, sogar eine Scheinehe eingegangen ist und die sich schämt für offen gezeigte Zuneigung zwischen homosexuellen Menschen.
Auf der anderen Seite Lena, die sich offen in Gefahr begibt, um für die Gleichstellung von queeren Menschen, aber auch für ihre Rechte als Frau in der Gesellschaft einzutreten, die auf Demos geht, sich mit der Polizei anlegt, Guerilla-Aktionen durchführt. Und die Elene vor die Entscheidung stellt, aus ihrem Leben im Schatten herauszutreten.
Das Buch gibt einen Eindruck von den Gefahren, denen queere Menschen in Georgien ausgesetzt sind, wo Homosexualität, wie es im Nachwort heißt "nach geltender Verfassung (Mai 2024) zwar legal, aber weitgehend tabuisiert ist." Im Oktober 2024 wurde ein neues Gesetz erlassen, das nach russischem Vorbild die Rechte sexueller Minderheiten einschränkt und Repräsentation als "Propaganda" bezeichnet. Auch über das Thema LGBTQ hinaus ein guter Einblick in das Leben in Tbilissi.
Miriam Weinrich
Kalandadse, Magda: Das zweite Zimmer. Magda Kalandadse. Dt. von Rachel Gratzfeld. Weimar: Ed. Europastraße 2024. 159 S. ; 21 cm. Aus d. Georg.
ISBN 978-3-948259-31-0, geb.: 22,00 €
Der schon als Kind nach Deutschland emigrierte Autor blickt auf seine Eltern und den russischen Angriffskrieg
Was macht man, wenn die eigene Mutter den ganzen Tag Zigaretten und russische Propagandasender konsumiert und Putins Lügen glaubt? Der Ich-Erzähler im autobiographisch geprägten Roman schwankt ständig zwischen dem Bedürfnis nach Distanz und Nähe.
Zu viel hat man als ukrainisch-jüdisch-moldawische Familie miteinander erlebt, z. B. im titelgebenden Leipziger Lebensmittelladen, in dem er zwischen osteuropäischen Fleischprodukten, Räucherfisch und Krimsekt aufgewachsen ist. Im zweiten Teil des lebendig geschriebenen, mit Sprachen spielenden Buchs, trifft er die Entscheidung, trotz des Krieges die Ukraine und seine dortigen Freunde zu besuchen. Der den ersten Teil prägende Humor wird nun zum Galgenhumor. Wie Kapitelmans frühere Werke ist auch dieses preiswürdig.
Es besticht durch einen unterhaltsamen Stil, der nie oberflächlich ist, weil es gelingt, Alltagserlebnisse von Immigranten mit der (post-)sowjetischen Zeitgeschichte und der bedrückenden Gegenwart zu verbinden. Breite Empfehlung. Nicht so leichte Kost wie die ähnlichen Werke von Wladimir Kaminer.
Tobias Behnen
Kapitelman, Dmitrij: Russische Spezialitäten. Roman. Dmitrij Kapitelman. München: Hanser Berlin 2025. 182 S. ; 21 cm.
ISBN 978-3-446-28247-6, geb.: 23,00 €
Der Altphilologe Peter Hurd entscheidet sich 1992 im belagerten Sarajewo zu bleiben, ein Experiment mit dem eigenen Ich
Der am 19. Mai in Graz verstorbene Autor kehrt in seinem letzten Buch wieder in seine Heimatstadt zurück. Zum Ich-Erzähler macht er den Übersetzter und Autor Rajko, der Hurd bewundert und ihm Obdach zunächst bei seiner Tante und dann bei seiner Mutter gewährt. Vor dem Hintergrund dieses Rahmens lässt uns Karahasan tief in den Alltag, die Nachbarschaft und die Abgründe in der abgeriegelten und unter Granatfeuer liegenden Stadt blicken.
In einer Szene im Bunker reflektiert Rajko das Verhalten seiner Mitmenschen. "Die einen schienen zu sagen: es ist Krieg und die Welt zerfällt, deshalb müssen wir die Gesetze der Welt wie ein Heiligtum in uns bewahren, denn nur so können wir Menschen bleiben. (...) die anderen (...) jetzt ist die Gelegenheit und der richtige Moment, alles zu tun, was mein Herz begehrt." Emotionslos und distanziert begibt sich der Intellektuelle Hurd auf eine - u.a. von Drogen gesteuerte - Reise zu den eigenen moralischen Grenzen. Obwohl es den beiden Protagonisten schließlich gelingt, die Stadt lebend zu verlassen, setzt sich der körperliche und menschliche Verfall Hurds fort.
Der Roman zeigt Krieg als "eine Zeit des entblößten Menschen" und weist damit über die historische Situation in Sarajewo hinaus in unsere europäische Gegenwart. Für eine geübte, belastbare Leserschaft.
Karahasan, Dževad: Einübung ins Schweben. Roman. Dževad Karahasan. Dt. von Katharina Wolf-Grießhaber. Berlin: Suhrkamp 2023. 302 S. ; 21 cm. Aus d. Bosn. ISBN 978-3-518-43122-1, geb.: 25,00 €
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Das Themenheft "Literatur als Brücke – Einblicke in die Beitrittskandidaten der EU" ist ab Ende August bestellbar.