Informiert in die Migrationsdebatte

Nachgestellte Demonstrationsszene im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven
epd/Dieter Sell
Auch kontroverse Debatten rund um Asyl und Migration werden im Auswandererhaus thematisiert, wie diese nachgestellte Demoszene verdeutlicht.
Auswandererhaus Bremerhaven
Informiert in die Migrationsdebatte
Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven wurde vor 20 Jahren an einem historischen Ort eröffnet - dort, wo zwischen 1830 und 1974 mehr als sieben Millionen Menschen ein Schiff bestiegen haben, um auszuwandern. Seit dem Start schaltet sich das Museum mit emotionalen Ausstellungen, Fakten und wissenschaftlicher Forschung in die bundesdeutsche Debatte um das Thema Migration ein. Das sei dringender nötig als je zuvor, sagte Direktorin und Historikerin Simone Blaschka.

Frau Blaschka, am 8. August feiern Sie Jubiläum, das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven besteht dann seit 20 Jahren. Was war die Gründungsidee?

Simone Blaschka: Es ging um zwei Ziele. Das Museum wollte die Geschichte der über 7,2 Millionen Menschen erzählen, die von Bremerhaven aus ausgewandert sind - am historischen Ort, denn hier war einst der größte kontinentaleuropäische Auswandererhafen. Dieses Authentische war von Anfang an wichtig. Und Migrationsgeschichte in einem Museum zu erzählen, das war damals etwas ganz Neues. Die Stadt wiederum wollte mit dem Haus eine touristische Attraktion schaffen. Mittlerweile haben bundesweit viele Museen Migration als Teil der deutschen Geschichte in ihrer Dauerausstellung aufgenommen. Das ist gut so. Wir haben hier in Bremerhaven als Themenmuseum trotzdem noch ein Alleinstellungsmerkmal. Wir können tiefergehend Zusammenhänge herstellen.

Wie war das damals, was für eine Rolle hat im Jahr der Eröffnung das Thema Migration in der Gesellschaft gespielt?

Blaschka: Das Wort "Migration" wurde noch gar nicht verwendet. Man sprach auch noch nicht vom Einwanderungsland Deutschland, da gab es heftige Debatten. Zuwanderungsland war der Begriff, auf den sich alle einigen konnten, weil das eher etwas Temporäres hat. Daran sieht man: Obwohl Deutschland eine über 300-jährige Einwanderungsgeschichte hat, wurde das noch nicht angenommen. Das hat sich mittlerweile geändert - und wir als Museum sind in dieser Debatte gewachsen, etwa durch zwei Erweiterungsbauten, die das Thema Einwanderung aufnehmen. Die Ausstellungen haben bis jetzt rund 3,4 Millionen Besucherinnen und Besucher gesehen.

Worauf kommt es Ihnen in der gesellschaftlichen Debatte um Ein- und Auswanderung an? Was soll bei einem Besucher oder einer Besucherin nach einem Rundgang durch das Auswandererhaus im Gedächtnis bleiben?

Blaschka: Aufklärung und Informationen waren von Anbeginn wichtig. Und sie sind angesichts der rechtsradikalen Positionen zum Thema Migration, die in den Bundestag eingezogen sind, noch dringender geworden. Wir vermitteln Ein- und Auswanderungsgeschichte als Teil der nationalen, der europäischen und natürlich auch der globalen Geschichte. Dabei haben wir immer den einzelnen Menschen im Blick. Wir dürfen nicht verallgemeinern, sondern müssen das Individuum betrachten und seine Geschichte respektieren. Migration, das wollen wir vermitteln, ist ein komplexes Thema. Einfache Antworten auf die damit zusammenhängenden Fragen gibt es nicht.

Das ist für ein Museum nicht einfach in der Präsentation.

Blaschka: Ja, tatsächlich. Viele Aspekte von Migration kann ich in keine Vitrine stellen. Etwa die Gründe, die einen Menschen dazu bewogen haben, nach Deutschland zu kommen. Das sind Gedanken, das hat etwas mit Gefühlen zu tun. Wir müssen das die Menschen selbst erzählen lassen. Deshalb haben wir eine Sammlung von Biografien aufgebaut, die inzwischen europaweit einzigartig ist. Wir haben Objekte aus 58 Ländern der Welt, die für die Menschen bei der Aus- und Einwanderung wichtig waren und die mit Erinnerungen verbunden sind. Das war immer unser Ziel: authentisch persönliche Geschichte erzählen aus der Perspektive der Menschen.

Besucher:innen können im Museum den Schicksalen einzelner Auswanderer folgen.

Extrem wichtig sind dabei unsere Inszenierungen in der Ausstellung. Wir wollen die Besucherinnen und Besucher hineinversetzen in einen historischen Moment oder in eine historische Umgebung. Beispielsweise an der Kaje, die wir nachgebaut haben und an der im November 1888 der Schnelldampfer "Lahn" abfährt. Ich nenne das den bittersüßen Moment: Einerseits Abschied, verbunden mit Sorgen, Ängsten und Wehmut, andererseits in die Zukunft schauen, das Herz voller Hoffnungen. Die Kaje stellt eine Atmosphäre her, die offenbar die Gefühle glaubhaft transportiert. Da haben schon Menschen gestanden und angefangen zu weinen.

"Ich glaube, wir erleben gerade einen sehr kritischen Moment."

Wie hat sich das Haus wirtschaftlich entwickelt?

Blaschka: Wir haben privatwirtschaftlich begonnen, sind aber seit 2017 gemeinnützig. Wir kriegen eine kleine Förderung von der Stadt Bremerhaven, zum Beispiel für unser Depot. Für Forschungsprojekte und Sonderausstellungen erhalten wir Fördermittel vom Bund. Und wir arbeiten daran, dass wir unabhängig von Projekten eine permanente institutionelle Teilförderung bekommen für Sammlung, Wissenschaft, Vermittlung und Ausstellung. Mit Migration und Integration geht es schließlich um gesellschaftlich zentrale Themen.

Wie hat sich der Umgang mit diesen Themen nach Ihrer Wahrnehmung in den vergangenen 20 Jahren verändert, wo stehen wir heute?

Blaschka: Ich glaube, wir erleben da gerade einen sehr kritischen Moment, eine politische Situation mit Hetze, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland und weltweit. Der Ernst und die Gefahren dieser Lage werden aus meiner Sicht im Moment nicht genug gewürdigt. Der gesellschaftliche Rechtsruck, die Verschiebung des Sagbaren in immer größere Radikalität, das finde ich gefährlich. Deshalb ist unsere Arbeit umso wichtiger: aufklären, informieren. Das Auswandererhaus versteht sich da als ein Ort, an dem man sich austauschen kann, als Teil einer lebendigen Demokratie. Das wünsche ich mir auch für die Zukunft.

Das Deutsche Auswandererhaus ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Letzter Einlass ist jeweils eine Stunde vor Ende der Öffnungszeit. Über die Website https://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de lassen sich mit Blick auf die Auswanderung über Bremerhaven einzelne Personen in bestimmten Zeiträumen über Passagierlisten online recherchieren.