Historiker Schlögel erhält Friedenspreis

Historiker Karl Schlögel
epd/Jochen Guenther
Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den deutschen Historiker und Essayisten Karl Schlögel zum diesjährigen Träger des Friedenspreises gewählt.
Deutscher Buchhandel
Historiker Schlögel erhält Friedenspreis
Wieder steht Osteuropa im Blickpunkt des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Dieses Jahr ist es der deutsche Historiker Karl Schlögel, der für seine Bücher über die Sowjetunion, ihre Folgestaaten und deren Konflikte geehrt wird.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an den deutschen Historiker und Essayisten Karl Schlögel (77). Schlögel gelte als einer der profiliertesten Kenner Osteuropas und habe dessen Kultur- und Zeitgeschichte neu erzählt, teilt der Stiftungsrat des Friedenspreises am Dienstag in Frankfurt am Main mit. Er verbinde "als Seismograf gesellschaftlicher Veränderungen" empirische Geschichtsschreibung mit persönlichen Erfahrungen. "Mit seiner Erzählweise, die Beobachten, Empfinden und Verstehen verbindet, korrigiert er Vorurteile und weckt Neugier", lobt die Jury.

Schlögel habe Kiew (Kyjiw) und Odessa, Lemberg (Lwiw) und Charkiw auf die Landkarten seiner Leserinnen und Leser gesetzt und St. Petersburg oder Moskau als europäische Metropolen beschrieben, führt der Stiftungsrat aus. Mit Werken wie "Terror und Traum" oder "Das sowjetische Jahrhundert" habe er Maßstäbe für eine anschauliche, lebendige Geschichtsschreibung gesetzt. Als einer der Ersten habe Schlögel vor der aggressiven Expansionspolitik Wladimir Putins und seinem autoritär-nationalistischen Machtanspruch gewarnt. "Ohne eine freie Ukraine kann es keinen Frieden in Europa geben., mahne er.

Karl Schlögel, 1948 in Hawangen im bayerischen Allgäu geboren, reiste den Angaben zufolge 1966 erstmals in die damalige Sowjetunion. Nach einem Studium der osteuropäischen Geschichte, Philosophie, Soziologie und Slawistik an der Freien Universität Berlin promovierte er dort 1981 mit einer Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion. Aufenthalte in Moskau (1982/83) und Leningrad (1987) prägten seine Forschung. 2014 reiste Schlögel in die Ukraine, um sich ein Bild vom Konflikt mit Russland nach der Besetzung der Krim zu machen. "Er hob früher als andere hervor, dass Osteuropa zum kulturellen Bestand Gesamteuropas gehört", lobte der Stiftungsrat.

Bereits in Schlögels Werk "Moskau lesen" (1984) sei dessen ungewöhnliche Herangehensweise, eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen in seine Schriften einzubauen, deutlich geworden. Für sein Buch "Terror und Traum. Moskau 1937" (2008), in dem er die Gleichzeitigkeit von Utopie und Gewalt in der Stalinzeit thematisiert, wurde ihm 2009 der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen. Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution erschien 2017 sein monumentales Werk "Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt". Das Werk erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse.

In "Der Duft der Imperien" (2020) wählte Schlögel eine literarische Form: Ausgehend von einem Parfüm, das im Osten als "Rotes Moskau" und im Westen als "Chanel N°5" berühmt wurde, erzählt er eine Duft-Geschichte des 20. Jahrhunderts. 2022 erschien die aktualisierte Neuausgabe "Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen". Von sowjetisch-amerikanischen Affinitäten und Differenzen handelt Schlögels jüngstes Buch "American Matrix" (2023). Karl Schlögel war bereits zweimal Laudator beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: 2009 hielt er die Laudatio auf Claudio Magris, 2013 auf Swetlana Alexijewitsch.

Der Friedenspreis, einer der bedeutendsten Kulturpreise Deutschlands, wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Auszeichnung wird traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse am 19. Oktober in der Paulskirche verliehen. Im vergangenen Jahr wurde die amerikanisch-polnische Journalistin und Historikerin Anne Applebaum ausgezeichnet.