Rettungsschiff im Mittelmeer "willkürlich" festgesetzt

Rettungsschiff "Nadir"
Paula Gaess
Helfer berichtet aus erster Hand
Rettungsschiff im Mittelmeer "willkürlich" festgesetzt
Stefen Seyfert rettet mit der "Nadir" Geflüchtete auf dem Mittelmeer. Das Schiff wird zuletzt oft festgesetzt.

Eigentlich soll die "Nadir" Menschenleben im Mittelmeer retten – doch nun wurde sie 20 Tage lang festgesetzt. "Im Hafen von Lampedusa hören wir die ganzen Funksprüche und Notfallmeldungen aus der Umgebung", berichtet Stefen Seyfert. Der Mainzer ist derzeit auf der italienischen Insel und wartet darauf, mit dem Rettungsschiff erneut in See stechen zu können. Es sei "sehr frustrierend", wenn man auf See sein könnte, um zu helfen, es aber rechtlich nicht dürfe.

Seit vier Jahren ist die "Nadir" des Vereins Resqship im Einsatz. In dieser Zeit habe man über 12.000 Menschen Hilfe leisten können.Stefen blickt zurück: "Es war nicht immer einfach, aber wir sind bisher immer in sehr engem Austausch mit den italienischen Behörden gewesen und haben auch nie irgendeine Sanktion bekommen."

Das ist nun anders: Im Juni und Juli sei das Schiff mit "willkürlichen Argumenten" festgesetzt worden. Bevor die "Nadir" mit geretteten Menschen an Bord in einen Hafen einläuft, informiert sie die Behörden in verschiedenen Ländern und wartet auf die Genehmigung.

In den vergangenen Fällen sei von der Seenotrettungsleitstelle in Rom erteilt worden. "Im Nachgang wurden dann Vorwürfe erhoben, dass zum Beispiel nicht alle Stellen in den anderen Ländern informiert wurden", erklärt Stefen. Seerechtlich müsste das Rettungsschiff nur eine Rettungsleitstelle informieren, gibt aber von sich aus bereits mehreren Bescheid. Für Stefen ist klar: "Wir spüren den zunehmenden politischen Druck von der italienischen Regierung, auch gegenüber kleineren Schiffen."

In der Nacht von Freitag auf Samstag endet die Festsetzung. Sobald das Wetter es zulässt, werde das Rettungsschiff wieder auf See fahren, sagt Stefen Seyfert. "Was auf See passiert, weiß man nie genau. Aber wenn Menschen in Not sind, sind wir da und können unterstützen."

Ein wunderschöner Sonnenaufgang an Deck eines Schiffs auf dem Mittelmeer. Klingt wie aus einer Urlaubsstory. Ist es aber nicht. Stefen Seyfert sieht Schattierungen am Horizont, die sich als zwei graue Schlauchboote herausstellen. Ein Rettungseinsatz steht bevor. Voller Kontraste war Stefens erste Einsatzerfahrung 2016 auf dem Mittelmeer. Der damals 25-jährige Stefen war mit dem Verein Sea-Watch unterwegs, um Menschen in Notlagen zu helfen. 

Stefen hilft auf dem Mittelmeer: Verein Resqship

Stefen Seyfert hat seinen Wehrdienst bei der Marine gemacht, es sei eine technische Ausbildung gewesen. Als er von den vielen Menschen in Not auf dem Mittelmeer gehört habe, wollte er etwas tun. Auch sein technisches Know-how über Maschinen wollte er einbringen und hat sich dann bei Sea-Watch beworben. Auf diesem Einsatz habe er auch Leichen geborgen und sehr verzweifelte Menschen gesehen. Trotzdem ist er bis heute dabei geblieben.

Steffen Seyfert

Stefen kommt aus Mainz und ist hauptberuflich Jurist. In seiner Freizeit engagiert sich der 33-Jährige rund 20 Stunden pro Woche ehrenamtlich im Verein Resqship. Diesen Verein hat er im Juni 2017 mitgegründet. Der Verein hilft an der Küste der süditalienischen Insel Lampedusa mit einem motorbetriebenen Segelboot. Die "Nadir" ist 18 Meter lang, liegt im Hafen von Malta und leistet in der Regel erste Hilfe, bis die italienische Küstenwache übernimmt.

Stefen war im Juli 2024 das letzte Mal auf dem Mittelmeer und habe mit der Crew sechs Booten Hilfe geleistet. Ein Einsatz dauert drei Wochen, dafür nimmt sich Stefen frei. Das heißt, ein großer Teil seines Jahresurlaubes nutzt er für sein Engagement auf dem Mittelmeer. Für ihn sei die Gesamtsituation absurd, man komme aus einem friedlichen Alltag, steige in den Flieger, komme in Malta an und sei plötzlich in einer komplett anderen Welt. Da würde ihm immer ein Licht aufgehen, wie gut es uns in Europa ginge.

Handylicht rettet 21 Menschen

Bei seinem letzten Einsatz hatte Stefen Wache und die Kursberechnung übernommen, um so ein Boot anzutreffen, das in Seenot geraten war. Die Koordinaten des Bootes bekommt die Crew der Nadir von der Küstenwache, die wiederum die Koordinaten von "Watch the Med Alarm Phone" erhält. Anhand der Koordinaten konnte Stefen berechnen, wo das Boot ungefähr sein muss. Doch auf die Situation, die sie nachts im Meer erwartete, konnten sie sich nicht vorbereiten. Das Boot war bereits gesunken. Ein Mensch habe sein Handy in die Luft gehalten, nur durch dieses kleine Licht, wurde Stefen auf die 21 Menschen aufmerksam, die schon im Wasser waren.

Die siebenköpfige Crew konnte alle Menschen retten, trotzdem vermeide Stefen das Wort Erfolg. Dafür sei die Situation zu schrecklich, aber natürlich sei es etwas sehr positives zu sehen, dass sie es geschafft haben, allen Menschen zu helfen.

Geschichten der Geflüchteten bleiben im Kopf

Im Podcast "echt gefragt - der Deeptalk" berichtet Stefen über seine Einsätze und der großen Verantwortung für die Menschen in Not, die er spüre.

Stefen erklärt, dass er wenige Fragen stelle, zum Hintergrund der Flucht, um keine Retraumatisierung auszulösen. Trotzdem würden die Menschen ihm schreckliche Dinge erzählen, von Rassismus, Vergewaltigungen und Gewalt. Einige hätten ihm auch schon ihre Verletzungen und Wunden gezeigt, das bleibe im Kopf. Eindrücklich sei es auch, wenn Menschen mit Babys flüchteten. Das jüngste Baby, das er gerettet habe, sei erst einen Monat alt gewesen. Das mache ihn nachdenklich, weil dahinter stecke, dass die Familien Schreckliches durchgemacht hätten. Außerdem bedeute es auch, dass sie die Flucht über das Mittelmeer als weniger gefährlich empfänden, als was sie an Land durchmachen würden.

Stefen sieht die Verantwortung bei uns in Europa. Es gehe um unsere Außengrenze, um ein Gebiet, wo wir etwas bewirken können. Deshalb wolle auch er etwas tun, sehe sich in der Verantwortung und wolle nicht wegschauen, wenn jemand quasi vor unserer Haustür ertrinke.

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