Was hilft bei Langzeitarbeitslosigkeit?

Foto: Junge Frau schaut ängstlich während sie im Wartezimmer neben leeren Stühlen sitzt.
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Die Wartezimmer des Jobcenters sind für zahlreiche Langzeitarbeitslose ein unangenehmer Ort. (Symbolbild)
Hoffnung statt Druck
Was hilft bei Langzeitarbeitslosigkeit?
In Deutschland fehlen Arbeitskräfte – und gleichzeitig finden viele langzeitarbeitslose Menschen dennoch keinen Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Warum das so ist, beleuchtet die Studie "Arbeit lohnt sich immer?! – Zwischen Sollen, Wollen und Können" des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und soziale Integration (EFAS).

Langzeitarbeitslosigkeit ist kein Etikett, das sich Menschen gerne oder freiwillig aufkleben. Wer in Deutschland länger als ein Jahr ohne Beschäftigung ist, gilt aber bereits als langzeitarbeitslos. Hinter dem Begriff verbergen sich häufig jedoch keine "arbeitsscheuen Leistungsempfänger", sondern Menschen mit vielfältigen Biografien, Brüchen, Krankheiten und Ängsten. Das zeigen die Ergebnisse der Studie, die jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Die Studie, wissenschaftlich begleitet von Prof. Franz Schultheis (Zeppelin Universität) und Prof. Claudia Schulz (EH Ludwigsburg), hat dabei einen neuen Weg gewählt: Geschulte Langzeitarbeitslose führten selbst Interviews mit Betroffenen – das Ergebnis ist ein ungeschönter Blick auf Lebenswirklichkeiten, die im politischen Diskurs oft nicht wahrgenommen würden. 

"Die Krankheit hat mich arbeitslos gemacht – die Arbeitslosigkeit macht mich krank. Und das ist der Kreislauf, der sich immer weiter fortsetzen würde", fasst es beispielsweise Gina P., eine der befragten Langzeitarbeitslosen für sich zusammen. Sie ist dabei kein Einzelfall. In vielen Antworten berichten die Interviewten der Studie von einem sich selbst verstärkenden Zustand aus Isolation, Selbstzweifeln und Ohnmacht. 

Und ein weiteres Vorurteil bestätigt sich nicht: Arbeitslos sein ist kein Vergnügen. Spaß oder Freude an diesem Zustand spüren die wenigsten der Befragten. Daniel B. spricht daher für etliche andere Menschen, wenn er sagt: "Also ich möchte nicht mehr arbeitslos sein. Ich habe auch keine Lust mehr. Ich habe das jetzt lange genug. Es ist ja kein Leben, man führt ja zu Hause kein Leben. Ich bin der Meinung, ich brauche es jetzt. Ich muss ja jetzt mein Leben von vorne anfangen. Und ich bin der Meinung, eine Arbeit gehört zum vernünftigen Leben."

Angst – das unterschätzte  Hindernis

Was die Studie besonders deutlich macht: Die zentrale Hürde ist nicht allein ein Mangel an Qualifikation, eine Statusempfindlichkeit, etwa auf einen niedrigeren Posten umzusteigen oder die fehlende Motivation – sondern Angst. Die Angst, beispielsweise im neuen Job zu versagen. Oder konkret die Angst vor dem Jobcenter selbst oder einem Rückfall in die Krankheit. "Das ist eine reine Angstsituation. Warum, weiß ich nicht. Ich denke, dass es vielen so geht", sagt Matze, einer der Interviewten. Diese Ängste sind nicht irrational, sondern oft realitätsnah: Wer einen schlecht bezahlten Job annimmt, steht mitunter finanziell schlechter da als zuvor. Der sogenannte "Drehtüreffekt" – ein ständiges Pendeln zwischen Kurzzeitjob und Arbeitslosigkeit – macht die Perspektive auf eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt unsicher.

Arbeitslosigkeit als Stigma 

Die Studie zeigt zudem: Den typischen Langzeitarbeitslosen gibt es nicht. Es betrifft Menschen mit belastenden Bildungsbiografien bis hin zu Akademiker:innen mit psychischen Erkrankungen oder familiären Belastungen. So berichtet etwa C.B. , trotz Studienabschluss wegen einer Schizophrenie keinen Fuß im Berufsleben gefasst zu haben. Und Ela S. fühlt sich angesichts von Jobs unterhalb ihres Qualifikationsniveaus schlicht "verarscht". Wer einmal aus dem System gefallen ist, tut sich schwer, wieder Anschluss zu finden.

Nicht alle Erfahrungen mit den Jobcentern sind negativ – aber viele sind es. Einige Befragte berichten von mangelnder Empathie, Bürokratie und Druck. "Ich habe Angst vor dem Jobcenter. Kann man sich nicht vorstellen, aber ist so", sagt Nicole S. Gleichzeitig zeigt sich: Dort, wo individuelle, vertrauensvolle Unterstützung erfolgt, wächst Hoffnung. "Wir schaffen das schon – das ist das, was mich gerade hält", ergänzt sie im Gespräch über ihre engagierte Coachin.

Der Wunsch nach mehr individueller Begleitung zieht sich durch viele Interviews. Kirsten Schwenke, Vorständin des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe, sagt dazu: "Statt Sanktionsandrohungen müssen die subjektiven Ängste der Betroffenen ernst genommen werden. Die Ideen und Ressourcen der Betroffenen müssen gespiegelt und verstärkt werden. Unsere diakonischen Beschäftigungsträger haben Erfahrungen damit, wie ein solches individuelles Coaching auf Augenhöhe gelingen kann und wie ein Teil der langzeitarbeitslosen Menschen an Arbeitgeber des ersten Arbeitsmarktes herangeführt werden kann. Die Instrumente sind da – die Politik sollte sie aber cleverer einsetzen und mit ausreichend Geld untersetzen."

Ein wohlwollender Druck sei wesentlich wirksamer als die geforderten Sanktionen, ist ein weiteres Fazit der Studie, denn Motivation entstehe eher durch Zutrauen als durch Angst. Die Schuld liege aber nicht bei den Menschen, die in den Jobcentern arbeiten. Es fehle oft schlicht an den Ressourcen: Jobcenter und Träger brauchen personelle und finanzielle Mittel, um wirksam zu helfen. Empfehlenswert sei es auch, Übergänge niedrigschwelliger zu machen. Beispiele sind: Einfache Bewerbungsverfahren, Praktika und persönliche Kontakte zu Arbeitgebern, die den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt erleichtern.

Nicht zuletzt weist die Studie einen weitverbreiteten Mythos zurück: Dass das Bürgergeld Arbeit unattraktiv mache, lasse sich wissenschaftlich nicht belegen. Die Studie, so heißt es in der Presseerklärung möchte daher zur Versachlichung der Debatte um Langzeitarbeitslosigkeit beitragen, Ursachen benennen und Handlungsoptionen aufzeigen. Was es braucht, da sind sich die Macher der Studie einig, seien Lösungen, die die Menschen nicht nur als Arbeitskräfte sehen, sondern als Menschen mit Geschichte, Fähigkeiten, Ängsten und Hoffnungen. Wie sagt Ronja so treffend: "Ich bin ja nicht faul, ich will ja auch was machen. Das ist es ja."

Zur Studie: Die vollständige Untersuchung ist kostenfrei abrufbar unter: https://arbeit-lohnt-sich-immer.de