Der Duft von frischen Waffeln liegt in der Luft, Kinderlachen erfüllt den Raum. Bunte Wimpelketten schmücken die Wände und auf Tischen stehen Materialien für unzählige Bastelprojekte bereit.
Ich hatte mich gefragt, wo Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren Glauben entdecken können – in all ihrer Unterschiedlichkeit, mit all ihren Fragen. Wo sie in ihren Übergängen von Kindergarten zur Grundschule, vom Kind zum Teenie Halt finden. Und ich bin bei der "Kirche Kunterbunt" gelandet. Einer Kirche, die man als "frech, wild und wundervoll" beschreiben kann.
",Kirche Kunterbunt' ist wahrscheinlich die Kirche, in die Pippi Langstrumpf gehen würde", lacht Janina Crocoll. Sie ist Gemeindepädagogin und Teil des National- und Strategieteams der "Kirche Kunterbunt" im deutschsprachigen Raum, und steckt mich gleich mit ihrer Freude an der Arbeit mit Kindern an "Ich liebe ihre Kreativität, ihre Begeisterung und wie viel ich selbst für meinen Glauben von ihnen lerne."
"Kirche Kunterbunt" findet alle ein bis zwei Monate statt – für Kinder zwischen fünf und zwölf, aber eigentlich für ganze Familien. Sie ist eine "Fresh X", eine neue Ausdrucksform von Kirche für Menschen, die sich von klassischen Gottesdienstformaten nicht mehr abgeholt fühlen – und das kommt an. Die Messy Church aus England ist der Ursprung der Bewegung, die es heute in über 30 Ländern gibt.
Entspanntes Ankommen
Auch im deutschsprachigen Raum sind bereits über 350 Initiativen registriert – getragen von Kirchengemeinden, Jugendwerken oder rein ehrenamtlichen Teams. "Messi ist für uns ja eher negativ assoziiert, deshalb heißt es hier ,Kirche Kunterbunt'", sagt Janina Crocoll. "Aber ich finde die Bedeutung von messy eigentlich total schön: Gott kommt mitten hinein in meinen Alltag, in mein Chaos. Er ist da, wo Becher und Glitzer auf dem Boden landen. Und das ist gut."
Pünktlich zum Glockenläuten sitzen alle still auf ihren Plätzen? Nein, hier läuft das anders. Es gibt eine offene Willkommenszeit, in der Familien entspannt ankommen. "Mit kleinen Kindern pünktlich zu sein, ist ja so eine Sache", lacht Janina. Deshalb variiert die Uhrzeit je nach Ort: mal vormittags, mal nachmittags, so, wie es zur Gemeinschaft passt.
Diese Offenheit ist ihr wichtig: "Kirche schreckt viele erstmal ab, weil man keinen Bezug mehr hat. ,Kirche Kunterbunt' ist niederschwellig – man muss keine Gebete können, keine Lieder kennen. Man darf einfach kommen."
Mit allen Sinnen entdecken
Als alle da sind, versammeln wir uns zur Begrüßung. Es wird gesungen und spielerisch ins Tagesthema eingeführt. Heute: "Was tun, wenn etwas kaputt geht?" Inspiriert von Nehemia, der die Mauer Jerusalems wieder aufbaut. Schon sind wir mittendrin in einem Raum voller Kartons, der nach Zerstörung aussieht. Gemeinsam bauen wir die Mauer wieder auf.
Jetzt habe ich eine Stunde Zeit, die verschiedenen Angebote zu erkunden. "Es ist kein klassischer Stationenlauf, bei dem man alles schaffen muss, sondern ein freies Entdecken", sagt Janina. Und so verlieren sich einige bei einer einzigen Station, während andere durchwechseln. Es wird gebastelt, gewerkelt, ausprobiert, gestritten und gelacht. Manche Eltern bleiben anfangs im Hintergrund. Doch Janina ist wichtig, dass auch sie merken, wie sie geistlich berührt werden. "Viele denken, sie müssten Kindern etwas voraus haben. Aber manchmal reicht ein: Weiß ich nicht – lass uns gemeinsam schauen."
In der Aktivzeit werden biblische Geschichten lebendig. "Bei uns gibt es kein richtig und falsch. Es gibt auch nicht die eine Methode, Glaube und Beten zu vermitteln, sondern es geht darum, Neugier zu wecken. Wir wollen, dass Kinder entdecken, dass in der Bibel Menschen sind, die ähnliche Emotionen erleben wie wir", erklärt Janina. Ob beim Verstecken wie Zachäus oder beim Spazieren wie die Emmaus-Jünger. Es geht ums Nacherleben und darum, was das mit dem eigenen Leben zu tun hat.
Mitnehmen, was berührt hat
Bei Kindern zwischen sechs und zwölf werden die Fragen tiefgründiger. "Wie ist Gott eigentlich?", "Warum gibt es so viele Religionen?", "Was passiert nach dem Tod?" Auch emotionale Fragen zu Verlust, Streit, Freundschaft oder Identität haben Raum. "Auch wenn das Umfeld oft quirlig und fröhlich ist, gibt es Platz für Tiefe", betont Janina.
Nach der Aktivzeit versammeln sich alle zur Feierzeit mit Musik und Verkündigung. Sie erinnert am ehesten an einen Gottesdienst, ist aber deutlich lebendiger und kindgerechter. "Da wird das, was wir vorher erlebt haben, zusammengepackt – wie ein Puzzle", erklärt Janina. Ein Moment der Zusammenführung, bei dem jeder mitnehmen kann, was ihn berührt hat.
In der Feierzeit geht’s nicht nur um den Moment, sondern um etwas, das weiterwirkt. "Kirche Kunterbunt" will mehr sein als ein schöner Mittag. Es geht um Rituale, die tragen. Um Gebete, die Kinder selbst entdecken. Um Formen, die zu Hause Wurzeln schlagen.
Bibeln und Konfetti
"Gerade Rituale sind für die emotionale Entwicklung so wichtig", sagt Janina Crocoll. "Für Sicherheit, für Identitätsbildung, aber auch, um den Alltag zu strukturieren." Und weil Kinder verschieden sind, darf auch das Beten verschieden sein. "So bunt wie wir sind, so bunt sind auch die Wege zum Glauben."
Deshalb stehen bei "Kirche Kunterbunt" nicht nur Kerzen und Bibeln auf dem Tisch, sondern auch Konfettikanonen, Murmeln oder Kellogspackungen. Janina erzählt etwa von einer Perlenkette, mit der man beten kann, bei der jede Farbe für ein Gefühl steht – von traurig schwarz bis goldglänzend schön. "Viele Familien brauchen so etwas ganz Praktisches", sagt sie. "Weil man im Alltag einfach oft nicht dazu kommt, sich selbst ein Socken-Gebet auszudenken."
Impulse für den Alltag
Viele der Ideen, die in der "Kirche Kunterbunt" ausprobiert werden, lassen sich auch zu Hause umsetzen und helfen Familien, ihren eigenen Zugang zum Glauben zu finden.
- Konfetti-Segen
Mit einer selbstgebastelten Konfettikanone (Papierrolle & Luftballon) steht jedes Familienmitglied im Kreis. Wer abfeuert, spricht dabei einen Segenssatz:"Gott, der Vater, der dich geschaffen hat, lässt seine Liebe über dich regnen." - Socken-Segen
Für diesen Segen ziehen alle die Schuhe aus und stehen in Socken vor Gott. Vielleicht ein bisschen unangenehm, vielleicht sogar mit Stinkesocken. Aber genau darum geht’s: "Gott kennt deine Verletzlichkeit. Er sieht deine peinlichen Momente – und liebt dich." - Prickel-Segen
Brausetütchen aufreißen, mit dem Finger rein und schmecken, wie Glaube kribbelt: "Jesus macht dein Leben aufregend und prickelnd. Der Heilige Geist lässt dich überschäumen und Gottes Liebe in die Welt tragen." - Seifenblasen-Gebet
Gemeinsam pustet sich die Familie in eine riesige imaginäre Seifenblase: Erst werden Sorgen und Belastungen vor Gott gebracht, dann das, wofür man dankbar ist. Am Ende platzt die Seifenblase mit einem lauten "Amen". - Loops-Gebet
Bunte Froot Loops stehen für verschiedene Anliegen: Gelb für Dank, Lila für Bitte, Pink für Mut. Beim Essen der Loops wird gebetet – still oder laut. Eine einfache Form, den Tag gemeinsam mit Gott zu beginnen. - Danke-Erbsen-Gebet
Ein Erbsensäckchen wandert durch die Familie. Jede Person zieht eine Erbse und nennt etwas, wofür sie dankbar ist. Eine einfache, aber tiefgehende Dankesform.
Noch mehr kreative Anleitungen, Segen, Gebete und Impulse gibt es unter:
www.jugendarbeit.online/dpf_redaktion/kirche-kunterbunt
Für zu Hause gibt es das neue Familien-Glauben-Wimmel-Entdecken-Buch. "Wie eine kleine ,Kirche Kunterbunt' fürs Wohnzimmer", lacht Janina. Wer selbst eine "Kirche Kunterbunt" starten oder eine in der Nähe finden möchte, wird hier fündig.
Gemeinschaft erleben
Jetzt kommt das, worauf alle schon gewartet haben: das leckere Buffet, zu dem jeder etwas mitgebracht hat. Manchmal gibt’s auch Spaghetti für alle – inklusive Tomatenflecken auf T-Shirts und Tischdecken. Das gemeinsame Essen ist ein fester Bestandteil der "Kirche Kunterbunt", sagt Janina. Es geht um Beziehung, Gemeinschaft. Und deshalb findet sie oft auch nicht im klassischen Kirchenraum statt, sondern da, wo Familien sowieso sind: im Park, in Kitas oder Gemeindehäusern.
Zum Abschluss bekommen wir alle eine Postkarte. Und den Auftrag, sie zu zerreißen. "Gott, hier ist ein Riss", steht darauf. "Im Papier. In meinem Herz. Er ist wieder zusammengeklebt. Aber es tut noch ein bisschen weh. Heile, was verletzt ist. Halt mich zusammen, wenn ich traurig bin. Amen." Ich zögere. Zerreiße. Ich weiß, wenn ich die Teile zu Hause wieder zusammenklebe, wird die Karte nicht mehr sein wie vorher. Aber vielleicht anders gut. Mit Glitzer oder Gold – wie bei der japanischen Reparaturmethode Kintsugi, wo zerbrochene Keramik mit Goldlack wieder zusammengeklebt wird.
Janina sagt, sie wolle den Familien etwas mitgeben. Eine Idee, einen Impuls, ein Gebet. "Etwas, das in den Alltag hineinwirken kann."
Mitnehmen in den Alltag
Die "Kirche Kunterbunt" ist eine der am stärksten wachsenden Gemeindeformen im deutschsprachigen Raum. "Jeden Monat habe ich etwa elf neue Initiativen", sagt Janina Crocoll. Für sie zeigt das: Familien wollen, dass Glaube alltagstauglich wird. Und tatsächlich wirkt "Kirche Kunterbunt" über den Nachmittag hinaus. Janina erzählt vom Nachbarskind, das seitdem abends beten will. Von Sprachnachrichten, in denen Kinder nach dem nächsten Termin fragen. Und von Familien, bei denen der Gebetswürfel mittlerweile selbstverständlich auf dem Esstisch liegt.
"Es geht nicht darum, alles zu übernehmen", sagt sie. "Aber darum, dass man spürt: Wir dürfen. Wir dürfen unseren eigenen Zugang zu Gott entdecken und ausprobieren, was sich für uns gut anfühlt." Für manche wird "Kirche Kunterbunt" so zum Ort, an dem Kirche überhaupt (wieder) erlebbar wird: mitten im eigenen Leben. Nicht perfekt. Aber echt.
Und genau darin liegt auch die Chance für zu Hause: dass Familien ihre eigenen Rituale finden – kleine, liebevolle Formen des Betens, die in ihren Alltag passen. Und dass daraus ein Glaube wächst, der wirklich zu ihnen gehört. Wie dieser Glaube mit dem Älterwerden weiterwächst, wenn aus Fragen Zweifel werden und aus Ritualen erste eigene Entscheidungen, darum geht es im nächsten Teil: beim Beten mit Jugendlichen in der Konfizeit.