Weil Marken immer wichtiger werden, hat die ARD-Tochter Degeto "Blind ermittelt" vor einigen Jahren in den Euro-Krimi eingemeindet: Seit 2020 heißt die 2018 gestartete Donnerstagsreihe "Der Wien-Krimi" heißen. "Blind ermittelt" war ohnehin bloß die halbe Wahrheit: Der frühere Wiener Chefinspektor Alexander Haller (Philipp Hochmair) hat zwar bei einem Bombenanschlag sein Augenlicht verloren, aber dafür sind seine sonstigen Sinne seither umso geschärfter; ein Händedruck genügt, und schon ist er über den Erregungszustand einer Person im Bilde.
Außerdem dient ihm sein Freund und Chauffeur Niko Falk (Andreas Guenther) als Augenersatz. In der vierten Episode der Reihe (eine Wiederholung von 2020) kehrt der einstige Taxifahrer quasi in seinen früheren Beruf zurück: Bankier Schachner ist an mit Zyankali versetztem Kokain gestorben, das er kurz zuvor bei einem Fiakerkutscher gekauft hat. Niko soll sich unters Kutschvolk mischen, um verdeckt zu ermitteln.
Im Vergleich zu den ersten beiden Filmen, die auch optisch beeindruckten, war Nummer drei ("Der Feuerteufel von Wien") nur noch ein Krimi wie jeder andere. "Tod im Fiaker" liegt dazwischen: Die Inszenierung ist nicht so kunstvoll wie die beiden Auftaktepisoden, aber die handwerkliche Qualität ist deutlich höher. Regisseurin Katharina Mückstein konnte zudem mit einem interessanten Ensemble arbeiten. Für Hallers ehemalige Kollegin Laura (Jaschka Lämmert) steht außer Frage, dass die Witwe, Solveig Schachner (Florence Kasumba), den Bankier gemeinsam mit ihrem Geliebten (Gabriel Raab) aus dem Weg geräumt hat: Bei einer Scheidung wäre sie leer ausgegangen, nun erbt sie alles.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Allerdings gibt es noch einen mysteriösen Unbekannten, der Schachner erpresst hat. So beginnt der Film auch: Spätabends hat jemand vor der luxuriösen Villa ein Paket abgestellt. Als Solveig es öffnet, ertönt ein typisches Bombenpiepsen, das Ehepaar erstarrt vor Angst, dann gibt es einen Knall, und ein Schwall goldener Glitzerschnipsel fliegt durchs Wohnzimmer; auf einem Zettel steht "Letzte Warnung". Dem effektvollen Auftakt folgt ein weiterer Spannungshöhepunkt, als Schachner das Kokain schnupft und zusammenbricht.
Hallers Schwester Sophie (Patricia Aulitzky) ist mit Solveig befreundet; als sie den Bankier reanimieren will, vergiftet sie sich ebenfalls. Vierte Frau der Geschichte ist Therese (Emily Cox), Kellnerin in einem Lokal, in dem die Fiakerfahrer ihr Feierabendbier trinken. Hier beginnt Niko seine Nachforschungen, denn Haller vermutet, dass der unsympathische Wirt (Rainer Wöss) seine Kutscher als Dealer einsetzt. Den Job auf dem Bock bekommt Niko allerdings von Thereses Vater (Karl Fischer), der ihn auf Anhieb mag und ihm nach und nach seine tragische Lebensgeschichte erzählt. Dass sich der verdeckte Ermittler in die Tochter verguckt, versteht sich fast von selbst.
Natürlich nutzt Mückstein Nikos Kutschjob, um ein bisschen durch Wien zu fahren; eine Verfolgungs-"Jagd" im Fiakertempo ist tatsächlich mal was Neues. Die Regisseurin und ihr Stammkameramann Michael Schindegger haben ohnehin sichtbar viel Aufwand in die Bildgestaltung investiert. Mückstein, für ihre Kinofilme mehrfach ausgezeichnet, wollte ihrem TV-Debüt ausdrücklich einen "glamourösen Look" geben. Trotzdem bleibt die Blindheit der Hauptfigur das Alleinstellungsmerkmal. Immer wieder stellt Hans-Henner Hess in seinem ersten Buch für die Reihe entsprechende Bezüge her. Eine von Solveig Schachner kuratierte Ausstellung im Bankgebäude ist barrierefrei.
Das Leitsystem auf dem Boden führt Haller allerdings in die Damentoilette.
Dass Mückstein keine große Sache aus diesem kleinen Irrweg macht, ist typisch für den sympathischen Humor des Films; Hallers Fähigkeit, Frauen an ihrem Duft zu erkennen, sorgt mehrfach für hübsche kleine Verblüffungen. Seine Anspielungen auf die Blindheit sind selbstironisch, aber nie verbittert, und daher eine schöne Ergänzung zum kernigen Humor des Partners.
Tatsächlich hat Andreas Guenther aufgrund der Arbeitsteilung diesmal sogar die etwas dankbarere Rolle: hier der Denker, der meist keine Miene verzieht, dort der Lenker, dem der Karmann Ghia des Freundes weitaus besser gehorcht als die Kutschpferde. Abgesehen von einer kleinen Ungereimtheit nach dem fesselnden Finale in der Unterwelt, bei dem sich Haller dem Mörder als Geisel zur Verfügung stellt, ist "Tod im Fiaker" rundum sehenswert, zumal neben der Bildgestaltung auch die flotte Musik sehr präsent ist.