Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach Neubauer auf dem Großevent "Hurricane" (bis 22.6.), das jährlich bis zu 80.000 Musikbegeisterte lockt, über klimafreundliches Feiern, politisches Engagement von Pop-Idolen und ihr neues Buch.
epd: Frau Neubauer, vielen Menschen macht die kriegs- und katastrophengeprägte weltpolitische Lage zu schaffen. Da hilft oft nur Eskapismus. Wer möchte da ausgerechnet auf Festivals jetzt noch etwas über die Erderwärmung hören?
Luisa Neubauer: Das werden wir herausfinden! Meine Erfahrung ist, dass sich gerade in Räumen der Kultur, also auch auf Festivals, Gelassenheit und Dringlichkeit treffen. Die Menschen dort merken vielleicht: Hier an meinem freien Wochenende habe ich Platz im Kopf, mich mit solchen Themen zu beschäftigen - was im Alltag oft zu kurz kommt. Außerdem fände ich es fatal, wenn wir nicht in neuen Räumen über die ökologischen Fragen sprechen. Die Klimakrise ist die größte Existenzkrise unserer Zeit - da kann man sich nicht verkriechen.
Gleichzeitig sind Festivals selbst energieintensiv, es entsteht viel Müll und CO2. Was müsste passieren, damit solche Großveranstaltungen klimaverträglicher werden?
"Die Klima-Bilanz ist wichtig, klar, aber in so dunklen Zeiten müsste man vielleicht auch mehr über die Hoffnungs-Bilanz sprechen."
Neubauer: Wenn ich nur an Orten sprechen würde, wo keine Emissionen produziert werden, könnte ich ja nirgendwo mehr auftreten. Für mich sind Klimaschutz und Großveranstaltungen nicht zwangsläufig ein Widerspruch. Viele Festivals bemühen sich, Recyclingsysteme zu etablieren und klimafreundliche Anreisekonzepte zu entwickeln. Die Klima-Bilanz ist wichtig, klar, aber in so dunklen Zeiten müsste man vielleicht auch mehr über die Hoffnungs-Bilanz sprechen. Wo werden Menschen bestärkt? Wie sorgt man dafür, dass sie mit einem ermutigenden Gefühl nach Hause fahren und Lust haben, etwas zu bewegen? Und wenn ich da einen Unterschied machen kann, indem ich aus meinem Aktivismus berichte, dann bin ich froh.
Was raten Sie Festivalbesuchern, die sich zwar für Klimaschutz interessieren, aber nicht wissen, wo sie konkret anfangen sollen?
"Wir sagen unter Aktivistinnen und Aktivisten oft '50 Prozent of activism is showing up': Einfach mal hinzugehen und sich was anzuhören, ist schon das halbe Engagement."
Neubauer: Wir sind ja alle den ganzen Tag am Handy. Der erste Schritt wäre es einmal zu googeln: Was passiert bei mir vor Ort, in meinem Viertel, meiner Arbeitsstelle, meiner Schule oder Uni. Gibt es da nicht eine Initiative, wo ich einfach mal hingehe und mir das angucke? Wir sagen unter Aktivistinnen und Aktivisten oft "50 Prozent of activism is showing up": Einfach mal hinzugehen und sich was anzuhören, ist schon das halbe Engagement.
Wünschen Sie sich mehr Engagement von Künstlern mit großer Reichweite? Coldplay lässt seine Fans zur Energieerzeugung auf einer Art Superbatterie tanzen.
Neubauer: Wir brauchen die Kunst und die Kultur mehr denn je. Musik bewegt und berührt Menschen dort, wo Reden nicht ankommen. Coldplay ist ein gutes Beispiel, ich war selbst auf einem ihrer Konzerte und fand es beeindruckend. Vor allem, weil sie Klima innovativ und kreativ denken. Aber es gibt auch hier tausende Möglichkeiten, sich einzubringen: mit der eigenen Stimme, in Form von Musik und Songs über die Welt oder indem man seine Bühne mit Aktivistinnen und Aktivisten teilt.
Manche halten Coldplays Bemühungen für Greenwashing. Wer das Klima wirklich retten will, sollte vielleicht nicht Jahr für Jahr auf Welttournee gehen, oder?
Neubauer: Ich halte diese Denke für gefährlich. Wenn man allen Leuten, die sich für eine bessere Welt einsetzen, sagt: Weil du nicht alles richtig machen kannst, mach lieber gar nichts. Was passiert dann? Dann überlassen wir die Bühne doch letztlich denen, die das Klima kaputt machen wollen.
Ihr neues Buch "Was wäre, wenn wir mutig sind?" enthält keine Verbotsfantasien, obwohl Klimaschützer ja mitunter als Verbotsfetischisten dargestellt werden. Ist das der Preis, den man zahlt, wenn man wie Sie oft den Finger in die Wunde legt?
Neubauer: Ach, ich habe eher den Eindruck, dass jene, die um keinen Preis selbst anpacken wollen, sich gerne hinter dieser ewigen Erzählung von Klimaschutz verstecken, der nur verbietet und nichts gibt. Wer den Ernst der Lage noch immer nicht erkennt und Klimaschutz unbedingt für linkes Spinnergut halten will, legt sich dieses Narrativ vielleicht auch als bequeme Ausrede für die eigene Gleichgültigkeit zurecht. Wenn man anerkennen würde, dass gerechter Klimaschutz immer etwas mit Freiheit und Lebensfreude zu tun hat - ja, dann gäbe es wirklich wenig Gründe, nicht selbst loszulegen.
Um die "Macht der Gleichgültigkeit" dreht sich auch ein Kapitel Ihres Buchs. In Deutschland scheint sich derzeit eine ziemliche Klima-Lethargie breitzumachen. Wie lautet Ihr Rezept dagegen?
"Sich Jahr für Jahr einzureden, das ist jetzt irgendwie eine blöde Phase und die wird schon wieder vorbeigehen, wäre naiv."
Neubauer: Es lohnt, sich zu fragen, wie man das eigene Leben verbringen möchte. Wir werden den Rest unseres Lebens mit der Klimakrise beschäftigt sein. Selbst wenn wir meinen, das geht uns alles überhaupt nichts an, wird sie einfach da sein. Sich Jahr für Jahr einzureden, das ist jetzt irgendwie eine blöde Phase und die wird schon wieder vorbeigehen, wäre naiv. Ich kann deshalb nur jeden dazu ermutigen, einen Weg zu finden, sich selbst einzubringen, im Kleinen oder Großen - weil es einen auch frei macht, wenn man sich nicht länger vor der Welt verstecken muss.
Zur Hochzeit von Fridays For Future sind noch Millionen junger Menschen auf die Straße gegangen. Heute ist die Bewegung fast vollständig erlahmt. Wie ließe sich denn eine neue Aufbruchstimmung inmitten all der Krisen erzeugen?
Neubauer: Die Klimaschutzbewegung ist nicht irgendeine Wohltätigkeitsarbeit für eine abstrakte Welt. Es geht um uns alle. Unsere Großeltern werden sich von jetzt an jeden Tag fragen, ob sie diesen Sommer noch schaffen wegen der extremen Hitzewellen. Gleichzeitig ist es wichtig, jetzt nicht die Zuversicht und die Hoffnung zu verlieren. Hoffnung heißt für mich aber nicht, dass irgendwann alles gut wird. Sondern, dass wir diesen Moment ernst nehmen und das Richtige tun.
Info: Am 28.9. startet Luisa Neubauer eine Lesereise zu ihrer Neuerscheinung "Was wäre, wenn wir mutig sind?" quer durch Deutschland in acht Städten: Termine gibt es in Münster, Osnabrück, Oldenburg, Essen, Heidelberg, Frankfurt a.M., Jena und Freiburg.