TV-Tipp: "Polizeiruf: Spiel gegen den Ball"

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22. Juni, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf: Spiel gegen den Ball"
"Spiel gegen den Ball" ist kein Fußballfilm, aber die Szenen auf dem Platz sind durchaus überzeugend. Das gilt ohnehin für sämtliche Darbietungen.

Der kriminalistische Begriff "Overkill" ist ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg und bezeichnete die Fähigkeit, einen Feind theoretisch gleich mehrfach vernichten zu können. Im Krimi findet das Wort Verwendung, wenn ein Mord auf sehr persönliche Motive schließen lässt, weil ein Opfer gewissermaßen mehrfach getötet worden ist. Die Polizei spricht in solchen Fällen von "Übertötung", wenn jemand zum Beispiel nicht bloß einmal erschlagen wurde, sondern wie in diesem "Polizeiruf" von der deutsch-polnischen Grenze zwanzig- oder gar dreißigmal; derartige Taten lassen auf große Wut schließen.

Die Tote, eine Deutsche, war Besitzerin einer polnischen Gerüstbaufirma; einer ihrer Mitarbeiter findet ihre Leiche in Müllsäcke verpackt auf seinem Lkw. Der Mord hat am Abend zuvor stattgefunden, nachdem Deutschland im Viertelfinale der Europameisterschaft unglücklich gegen Spanien ausgeschieden ist. Das ist schon mal ein reizvoller Hintergrund für die Geschichte, zumal Fußball ohnehin eine große Rolle in dem Drehbuch spielt, an dem auch Regisseur Christian Werner mitgearbeitet hat: Das Opfer, Olivia Briegel, war zudem Präsidentin und Mäzenin des örtlichen Fußballclubs.

Der Verein ist bekannt für seine ausgezeichnete Jugendarbeit, einige der 13- und 14 Jahre alten Jungs können sich berechtigte Hoffnungen machen, während eines anstehenden Turniers von einem Scout der großen Clubs entdeckt zu werden. "Spiel gegen den Ball" ist trotzdem kein Fußballfilm, aber die Szenen auf dem Platz sind durchaus überzeugend. Das gilt ohnehin für sämtliche Darbietungen. Hanno Koffler (als Trainer) ist zwar der einzige bekannte Mitwirkende, doch auch die weiteren Rollen sind gut und treffend besetzt.

Gerade beim "Polizeiruf" aus dem Grenzort Świecko ist es natürlich besonders von Vorteil, wenn ein Schauspieler wie Adrian Topol polnische Wurzeln hat und beide Sprachen spricht. Wichtiger war diesmal allerdings die Besetzung der Jugendlichen, denn sie rücken mehr und mehr ins Zentrum der Handlung. Wortführer eines verschworenen Trios ist der ehrgeizige Kevin (Franz Ferdinand Krause). Der Stürmer hat vermutlich die besten Aussichten auf eine Profikarriere, deshalb sollen ihn seine Freunde Robert (Lauri Kröck) und Marco (Len Blankenberg) bestmöglich in Szene setzen. Allerdings ist es mehr als fraglich, ob er sich gerade auf Marco verlassen kann: Oliva Briegel war seine Mutter. 

Während sich das Ermittlungsduo Vincent Ross (André Kaczmarczyk) und Alexandra Luschke (Gisa Flake) durch das übliche Beziehungsgeflecht arbeitet und Alibis überprüft, schält sich schließlich ein ganz anderer Aspekt heraus: Homosexualität ist nach wie vor ein Tabu im Fußball. Rein statistisch müssten fünf bis zehn Prozent der Profis schwul sein, aber anders als bei den Frauen traut sich aus Furcht vor Diskriminierungen kein Kicker, sich während seiner aktiven Karriere zu "outen". Schon allein entsprechende Gerüchte können sich negativ auswirken. 

Damit sind die Autoren Michael Fetter Nathansky, Daniel Bickermann und Werner bei einem Thema, das den weiteren Verlauf der Handlung prägt: Der Verein gilt in der Jugendliga als "anders", im polnischen Sprachgebrauch offenbar eine Umschreibung für Homosexualität; im Kontext des nach wie vor stark vom Katholizismus geprägten und entsprechend konservativen Polen spielt das noch mal eine größere Rolle als hierzulande. Kein Wunder, dass es gegen Ende zu einer heftigen Prügelei kommt, als Kirchners Jungs vom gegnerischen Team entsprechend provoziert werden. Aber natürlich bleibt die Frage: Was hat das mit dem Mord zu tun?

Werner ist eigentlich Dramenregisseur; zu seinen ausnahmslos sehenswerten bisherigen Arbeiten gehört unter anderem "Kleine Eheverbrechen" (2023), eine ZDF-"Herzkino"-Produktion mit Philipp Hochmair als Krimiautor, der einen Gedächtnisverlust vortäuscht, um seine Ehe zu retten. In der verblüffend heiteren Tragikomödie "Irgendwann ist auch mal gut" (2020, ZDF) spielt Fabian Hinrichs einen Bestatter, der den Suizid seiner Eltern verhindern will. "Kommt ein Vogel geflogen" (2023, Kino) ist eine Tragikomödie über einen Papagei, der Nazi-Parolen plappert.

Einen Krimi hat Werner auch schon gedreht: "Die Tote mit dem falschen Leben" (2024) war der Auftakt der Reihe "Der Geier" (ZDF) mit Hochmair als Popstar und Ex-Polizist. Sonntags im "Ersten" gelten jedoch etwas andere Regeln, hier darf es gern ein bisschen spannender zugehen, aber davon kann bei "Spiel gegen den Ball" nicht zuletzt aufgrund der vielen Dialogszenen keine Rede sein.