Im Anfang war es einsam
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. (Johannes 1,1-5)
Einsamkeit ist anscheinend nichts Gutes in der Bibel. Zumindest nicht als Dauerzustand. So kann man die Tatsache, dass Gott überhaupt etwas erschafft, als Akt gegen die Einsamkeit verstehen. Wenn im Anfang nur das Wort ist und das Wort auch noch bei Gott ist und Gott das Wort ist, das bei Gott ist, wo bleibt dann das Gegenüber? Gott ohne Schöpfung kann man sich einsam vorstellen, denn selbst die Engel sind ja Geschöpfe.
Vielleicht ist das der Grund, warum Gott auch beim Menschen bald Einsamkeit diagnostiziert. In der Erzählung vom Garten Eden ist der Mensch zunächst lediglich als eine Person vorhanden.
Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Und Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach. (1.Mose 2,18-20)
Gott legt sich ordentlich ins Zeug, damit der Mensch nicht allein ist. Sämtliche Tiere werden ihm präsentiert. Und auch, wenn wir nicht erfahren, was genau dem Menschen an ihnen noch nicht so ganz passte, so können wir doch annehmen, dass es etwas mit Sprache oder körperlicher Ähnlichkeit zu tun hatte. Darum beschließt Gott, beim nächsten Versuch, das potenzielle Gegenüber für den Menschen nicht wieder aus Erde zu machen, sondern aus Menschenmaterial.
Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der HERR baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. (1. Mose 2,21-23)
Auch wenn die Feinheiten des Hebräischen Originals in der Lutherübersetzung nicht ganz wiederzuerkennen sind, so kann man doch sehen: Der Mensch ist begeistert von dem Gegenüber, das ihm so ähnlich ist. Der Mensch ist, da ist die Bibel recht eindeutig, ein Wesen, dem Beziehung gut tut. Gott hat dafür gesorgt, dass "der Mensch nicht allein" sein muss.
Auch in der Einöde: Begegnungen
Überhaupt geht es in der Bibel vor allem um Gemeinschaft. Wie muss man sie regeln? Wie regelt man das Zusammensein mit Gott? Wir geht man mit anderen Menschen um? Und dennoch suchen immer wieder Menschen auch in der Bibel die Einsamkeit. Interessanterweise kommt es in solchen Momenten der selbstgewählten Einsamkeit in der Bibel meist zu recht merkwürdigen Begegnungen. Vor allem, wenn sich die Personen an abgelegene Orte begeben. Hier ein paar prominente Beispiele:
Jakob hat eine Begegnung mit seinem Bruder Esau vor sich, den er vor Jahren betrogen hat. Am Vorabend des Wiedersehens schickt Jakob seine gesamte Familie voraus und bleibt allein am Ufer des Flusses Jabbok zurück.
Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. (1.Mose 32,25—29)
Elia, der Prophet, hat sich im Namen Gottes verausgabt. Er hat sich mit seinem König angelegt und dessen Propheten getötet, weil sie dem Baal dienten. Sein König schwört Rache, Elia flieht in die Einsamkeit der Wüste. Er bleibt dort ebenfalls nicht allein.
Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. (1.Könige 19,4-7)
Jesus geht nach seiner Taufe in der Wüste, um in der Einsamkeit zu fasten, und er bekommt es dort sogar mit dem Leibhaftigen zu tun.
Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht. (Matthäus 4,3-4)
Diese Liste von besonderen Begegnungen in der Einsamkeit lässt sich munter fortsetzen: Mose treibt seine Schafe über die Wüste hinaus und trifft auf Gott in einem brennenden Dornbusch (2.Mose 3). Philippus wird in die Einöde geschickt, damit er dort einen potenziellen Christen aus Afrika treffen kann (Apostelgeschichte 8,26-42), Jesus sucht Ruhe im Ausland und trifft dort eine wortgewandte Frau (Matthäus 15,21-28).
Einsamkeit tut weh
Einsamkeit ist nichts Erstrebenswertes in der Bibel. Wer einsam ist, leidet darunter, weil Hilfe und Unterstützung fehlen. Einsamkeit bedeutet, verlassen worden zu sein. Die Psalmen zeugen davon.
Ich bin wie eine Eule in der Wüste, wie ein Käuzchen in zerstörten Städten. 8 Ich wache und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dache. 9 Täglich schmähen mich meine Feinde, und die mich verspotten, fluchen mit meinem Namen. 10 Denn ich esse Asche wie Brot und mische meinen Trank mit Tränen. (Psalm 102,7-10)
Jesus geht am Abend seiner Verhaftung in den Garten Gethsemane zum Beten. Dazu will er allein sein mit Gott, aber trotzdem bittet er seine Jünger in der Nähe, wach zu bleiben.
Und er nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge, und sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst! Und er kam und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen? (Markus 14,33-37)
Am Ende steht Gemeinschaft
Darum ist es auch verständlich, dass in der Bibel alles darauf hinausläuft, dass am Ende die Gemeinschaft mit Gott steht. Keine Einsamkeit mehr. Für niemanden.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein. (Offenbarung 21,2-4).