Kinderkurheime: Was wirklich geschah

Ein Junge blickt nachdenklich aus dem Fenster
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viele Kinder erlebten Kuraufenthalte in der Nachkriegszeit nicht als Erholung, sondern als belastende Erfahrung (Symbolfoto).
Bericht deckt auf
Kinderkurheime: Was wirklich geschah
Ein neuer Forschungsbericht zeigt: Viele Missstände in Kinderkurheimen der Nachkriegszeit waren auf schlechte Finanzierung, Personalmangel und mangelnde Kontrolle zurückzuführen. Millionen Kinder waren betroffen – oft ohne spätere Konsequenzen für die Einrichtungen.

Missstände in Kinderkurheimen sind einem Forschungsbericht zufolge häufig durch Unterfinanzierung bedingt gewesen. Die Pflegesätze seien gering gewesen, erklärte der Historiker Alexander Nützenadel von der Berliner Humboldt-Universität am Montag bei der Online-Vorstellung des Berichts. Nützenadel leitete die Forschungsgruppe.

Weitere Ursachen waren dem Forschungsbericht "Die Geschichte der Kinderkuren und Kindererholungsmaßnahmen in der Bundesrepublik 1945-1989" zufolge Personalknappheit, die räumliche Isolation vieler Heime sowie eine oft mangelhafte Aufsicht. Individuelles Fehlverhalten habe oft keine Konsequenzen gehabt, erklärte Nützenadel: "Es wurde kein Heim geschlossen aufgrund von Beschwerden."

Zwischen 1951 und 1990 haben dem Bericht zufolge zwischen 9,8 und 13,2 Millionen westdeutsche Kinder Aufenthalte in diesen Heimen durchlaufen. Dabei seien viele der sogenannten Verschickungskinder Missständen wie mangelnden hygienischen Verhältnissen, schlechter Betreuung und Zwangsmaßnahmen bis hin zu physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen. Insgesamt identifiziert der Bericht mehr als 2.000 Einrichtungen im alten Bundesgebiet.

Nützenadel wies darauf hin, dass die Spannbreite zwischen den Heimen sehr groß gewesen sei: "Es waren nicht alle Heime von Missständen geprägt." Kinder hätten von positiven Erinnerungen an ihre Kuraufenthalte berichtet. Wie groß das Problem gewesen sei, könne die Studie nicht aufklären, schränkte er ein: "Rückwirkend ist keine repräsentative Quantifizierung der Missstände möglich."
Christiane Dienel von der Initiative Verschickungskinder sagte, der Forschungsbericht könne von Betroffenen als "Angriff auf die Authentizität ihrer Schilderungen" aufgefasst werden. Das Ziel des Berichts sei aber nicht, etwas zu verschleiern, sondern historisch einzuordnen. Er komme auch genau im richtigen Moment. Dienel verwies darauf, dass die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart habe, die Aufarbeitung der Kinderkuren zu unterstützen.