ZDF-Tochtersender Neo wiederholt heute mit "Marie Brand und der Duft des Todes" (2018) einen Krimi, der das Schema konsequent auf den Punkt bringt: Hinnerk Schönemann darf seinen Kommissar Simmel am Bildrand mit all’ den mitunter kaum wahrnehmbaren Manierismen ausstatten, die ihn so unverwechselbar machen. Leitmotiv des Drehbuchs von Leo P. Ard (alias Jürgen Pomorin) und Michael B. Müller ist die olfaktorische Wahrnehmung, weshalb sich Simmel und Brand (Mariele Millowitsch) schließlich gegenseitig versichern, dass sie sich gut riechen können.
Der Titel nimmt vorweg, dass die spannende Exposition der Geschichte zwar kein Ablenkungsmanöver, aber noch nicht das eigentliche Thema ist: Zwei Männer brechen aus dem Keller des Nachbarhauses in eine Kölner Bank ein, der Alarm schrillt, sie flüchten durchs Treppenhaus, stoßen dort mit einem Ehepaar zusammen, eine Maske verrutscht, die Frau sieht das Gesicht eines der Täter, der erschießt sie kaltblütig. Am Tatort ist Brand recht bald klar, dass die Räuber es offenbar auf ganz bestimmte Schließfächer abgesehen haben. Die Identität der Männer steht ebenfalls rasch fest, zumal einer der beiden mit dem eigenen Wagen vorgefahren ist. Kompliziert wird es erst, als der Mörder seinerseits umgebracht wird und sein Komplize, Ziegler (Jürg Plüss), samt Tochter (Emma Drogunova) verschwindet.
Viel Zeit widmet der Film den Inhabern der Schließfächer, und nun schlägt Simmels Stunde, wenn auch nicht unbedingt als Ermittler: Zu den Beraubten gehört unter anderem die Schauspielerin Tabea Schön (Anke Sevenich), für die der Hauptkommissar einst geschwärmt hat. Prompt ist er hin und weg, als er sie befragen darf, zumal er sie aus höchster Not befreien kann; selbst wenn es sich bei der vermeintlichen Bedrohung bloß um eine Probe für anstehende Dreharbeiten handelt. Viel interessanter und dank des Bezugs zum Titel auch direkt mit dem roten Faden des Drehbuchs verknüpft sind die Szenen mit dem Ehepaar Julia und Peter Gronwald (Adina Vetter, Kai Ivo Baulitz), das eine millionenschwere Firma für synthetische Duftstoffe namens Odorio betreibt. In ihrem Schließfach befanden sich angeblich nur ein paar Erinnerungsstücke an Julias verstorbenen Bruder, aber Regisseur Michael Zens deutet früh an, dass es um mehr als bloß eine alte Uhr vom Großvater geht; deshalb ist weder die spätere Erpressung der Gronwalds noch die Identität des Drahtziehers der ganzen Sache eine echte Überraschung. Immerhin zeichnet sich Zens’ Inszenierung neben der guten Führung der Schauspieler auch durch eine schöne Kameraarbeit (Enzo Brandner) aus.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte ist zwar clever eingefädelt und lebt natürlich auch ein bisschen von der Frage, welches Geheimnis das Schließfach der Gronwalds wohl gehütet hat, aber sehenswert ist "Marie Brand und der Duft des Todes" vor allem für die Fans von Schönemann, selbst wenn ihn eine strengere Regie vermutlich hier und da gebremst hätte. Andererseits muss man einen derartigen Instinktschauspieler einfach gewähren lassen, weil nur dann ein darstellerisches Gesamtkunstwerk entsteht, zumal Schönemann die Personifizierung des retardierenden Moments ist: als wolle er seine Szenen auskosten, indem er kleine Verzögerungen einbaut. Davon abgesehen macht es einfach Spaß, dabei zuzuschauen, wie Simmel aus dem Häuschen ist, als er den Traum seiner schlaflosen Jugendnächte kennenlernen darf, oder wie er etwas linkisch den Sicherheitschef von Odorio in den Arm nimmt, als der sich auf den Weg macht, um das Lösegeld zu übergeben. Dass die Umarmung nicht ohne Hintergedanken erfolgt ist, gehört zu den wenigen echten Verblüffungen der Geschichte.
Sehr präsent ist auch Burgschauspielerin Adina Vetter, eins der österreichischen "Vorstadtweiber", damals hierzulande noch eher selten zu sehen, aber mittlerweile Stammgast in diversen Krimireihen. Sehenswert sind auch zwei Drehmotive. Die Gronwalds residieren in einer Villa, die von außen wie ein englischer Herrensitz wirkt, innen jedoch mit den unverputzten Wänden einen ganz speziellen Kontrastcharme ausstrahlt. Vater und Tochter Ziegler werden in einem heruntergekommenen ehemaligen Schlachthof eingesperrt, dessen marodes Erscheinungsbild tatsächlich wie ein Vorhof zur Hölle wirkt. An der Tür ihres Gefängnisses hat der Entführer eine Sprengladung mit gut sichtbarem Countdown angebracht; die entsprechende Spannung verschenkt Zens allerdings zugunsten eines aus dem Hut gezauberten Schlusseffekts.