Altenheimbewohner gehen auf Tiktok viral

Der Altenheim-Bewohner Edwin Szabaschus in einem ferngesteuerten kleinen Buggy-Auto.
epd video
Der Altenheim-Bewohner Edwin Szabaschus in einem ferngesteuerten Buggy-Auto mit "Money Gun" in der Hand.
Zwischen Ringlicht und Rollator
Altenheimbewohner gehen auf Tiktok viral
Hunderttausende schauen die Tiktok-Videos der Bewohner und Pflegekräfte der Seniorenresidenz Heideblüte. Mit ihrer Idee wollen die Initiatoren Spaß in den Heimalltag bringen und für den Pflegeberuf werben.

Altenheim-Bewohner Edwin Szabaschus düst in einem kleinen Buggy-Auto, einer Art Gokart mit Elektromotor, über die Flure der Einrichtung. Er trägt einen aktuell angesagten Fischerhut, eine goldfarbene Kette, einen Trainingsanzug und schießt mit einer sogenannten Money Gun Geldscheine in die Luft. Klingt nicht nach einem normalen Tag im Altenheim? In der Seniorenresidenz Heideblüte im niedersächsischen Schneverdingen schon.

Hier gestalten Bewohner und Mitarbeiter gemeinsam Videos für die Social-Media-Plattform Tiktok. Seit 2023 veröffentlichen sie dort Clips. Viele davon sind viral gegangen, das heißt, dass sie von zahlreichen Menschen gesehen wurden. Ein Video hat bereits 2,2 Millionen Aufrufe, andere Videos wurden rund 500.000 Mal angeschaut.

Szabaschus hat sichtlich Freude in seinem Gefährt. "Wie im Kinderstuhl, ist Bombe, find ich gut", sagt der 72-Jährige, der das erste Mal bei einem Tiktok-Dreh dabei ist. Ideen für die Videos kommen aus dem Team, aber auch von Bewohnerinnen und Bewohnern. "Es ist etwas aus der jungen Generation. Das finden die Bewohner cool", sagt Pflegefachkraft Marleen Baden. Bei manchen Drehs kommt ein Ringlicht für eine bessere Ausleuchtung zum Einsatz.

Tiktok ist eine Social-Media-Plattform, auf der unter anderem kurze Tanzvideos mit Musikuntermalung gezeigt werden. Hauptzielgruppe sind jüngere Menschen bis 29 Jahre. Mit den Videos wolle das Team "das verstaubte Image, das die Pflege hat, ein bisschen wegbekommen", sagt Baden. "Weil das so nicht ist."
Nachwuchs in der Pflege wird dringend gesucht. 2055 werden Schätzungen zufolge 6,8 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig sein. Bis 2049 fehlen in Deutschland voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Fachkräfte. Mit den Videos wollen die Macher potenziellen Nachwuchs ansprechen. "Wir wollen zeigen, dass der Beruf attraktiv ist", sagt Pflegedienstleiterin Natascha Sabrowski.

Dem Alltag entfliehen

Rund 50 Videos wurden bislang auf dem Account der Seniorenresidenz Heideblüte hochgeladen. Sie hat rund 5.300 Follower. Mit den Tiktok-Aktionen wollen sie Spaß in die Seniorenresidenz bringen, sagt Einrichtungsleiter Morad Bounoua. Die Seniorinnen und Senioren machten nur mit, wenn sie es wollen. Auch die Angehörigen würden gefragt.

"Unser Ziel ist, dass die Senioren dem Alltag entfliehen können und wir sie aus den Routinen herausholen", sagt Sabrowski. Bei den Drehs der Videos werde die Beziehung zwischen Bewohnern und Mitarbeitern gestärkt. Auch hätten sich dadurch Bewohner getroffen, die sich sonst nicht kennengelernt hätten, weil sie in verschiedenen Wohnbereichen leben.

Das Buggy-Auto fährt vorbei am Empfang und verkeilt sich an der Eingangstür. Doch der Clip soll in einem Guss gedreht werden. Erneut gehen alle auf Position. Datenschutzbeauftragter Vincent Wetterling nimmt das Tiktok-Video mit dem Smartphone auf. Sabrowski lässt die Musik laufen, einen Song des Rappers Eno. Bounoua lenkt das Fahrzeug mit einer Fernbedienung. Szabaschus genießt den Trubel sichtlich.

Was jetzt passiert, ist Teil der am Vortag einstudierten Choreografie. Mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtung stellen sich Szabaschus in den Weg und werden von ihm 'über den Haufen' gefahren. Frei nach dem Motto: Macht Platz, ich mach mein Ding. Eine Kollegin verliert ihre Handtücher, die Mitarbeiterin aus der Betreuung fliegen die Mal-Unterlagen aus der Hand, Marleen Baden fallen die Tabletten-Pöttchen zu Boden.

Zum Schluss fährt das Buggy-Auto nach draußen auf den Parkplatz. Cut: Szabaschus sitzt mit einer Mitarbeiterin aus der Pflege in einem Cabrio-Sportwagen - in Anlehnung an den Song des Rappers. "Das hat wirklich Spaß gemacht", resümiert der 72-Jährige.

Die Reaktionen auf die Clips seien durchweg positiv, berichtet Baden. "Das finden immer alle sehr lustig, was wir hier mit den Bewohnern machen." Auch an diesem Tag haben sich einige Senioren ein Plätzchen in der Sonne gesucht und schauen sich von dort das Treiben an. "Pflege ist so viel mehr als waschen oder Medikamente verteilen", sagt Baden. "Wir verbringen jeden Tag sehr viel Zeit mit den Bewohnern und bauen Beziehungen auf."